Die Marketingbranche entwickelt sich nicht weiter, wenn man die Kreativen nicht mitnimmt. Insbesondere in den Wachstumsmärkten Mobile, TV und OOH sind emotionale, innovative Konzepte gefragt. Der Tenor der diesjährigen Adtrader Konferenz in Berlin war folglich, dass sich Kreation und Technologie stärker aufeinander zu bewegen müssen.
Zum fünften Mal schon traf sich die Adtech-Branche zum jährlichen Stelldichein auf der Adtrader Konferenz. Die ersten zwei Jahre fand das Event in Hamburg statt und seit 2014 ist man in Berlin zu Hause, ein Umzug, der der Entwicklung der Veranstaltung sichtlich gutgetan hat.
Knapp 500 Teilnehmer versammelten sich, um die Entwicklungen der digitalen Marketingbranche zu diskutieren, Neben dem Stammpublikum aus dem Herzen der technischen Dienstleistung kommen inzwischen immer mehr Publisher, Werbungtreibende und Kreative im Frühsommer nach Berlin. Für alle Beteiligten ist klar: Nur im Schulterschluss wird es gelingen, etwa Mobile Advertising attraktiv zu machen und damit zum Beispiel zu verhindern, dass die User mobile Adblocker installieren.
DenAuftakt machte Jochen Schlosser, Senior Vice President von Adform. Er hielt ein Plädoyer dafür, aus Werber- und Agentursicht eine zentrale Datenplattform einzurichten und zu pflegen, in der insbesondere die Targeting-Daten und Audience-Profile hinterlegt sind. Nur mit einer solchen Struktur kann es gelingen, eine Kommunikation aus einem Guss zu gewährleisten und den Geschwindigkeitsanforderungen von Programmatic Marketing Herr zu werden.
Im ersten Panel des Tages diskutierte Moderator Thomas Duhr vom BVDW mit den Teilnehmern über die Frage, ob Programmatic die neue DNA des digitalen Marketings sei. Es bestand Einigkeit darüber, dass die Echtzeitautomatisierung das Zeug dazu hat und letztlich vor allem als Tool zu begreifen sei. Doch bis dahin ist auch noch ein weiter Weg. Frank Wolfram, CEO der Agentur Interone, gab zu bedenken, dass Daten ohne Kreativität auch keine guten Kampagnen abgeben.
Und Advertiser Richard Ugwu, Business Innovation Manager bei der Metro Group, ist sich auch der Qualität dieser Daten nicht immer sicher: „Bei manchen Kampagnen fällt es den Dienstleistern ja schon schwer, Männchen und Weibchen sauber zu unterscheiden.“
Ugwu gab aus seiner Perspektive zu verstehen, dass vor allem Google und Facebook ihre Hausaufgaben machen und ein Paket bieten, das für Werbungtreibende griffig ist. Genau das illustrierte Oliver Busch, Head of Agency bei Facebook, im anschließenden Vortrag deutlich. Er zeigte unter anderem eine Fallstudie von Tchibo, bei der man zielgerichtet auf Personas zuging und auch für jeden Kundentyp sehr unterschiedliche Videos produzierte. Mit den sogenannten „Mindsights“ geht Facebook deutlich über das klassische Demographie-Targeting hinaus, macht es aber auch gleichzeitig leicht zu handhaben. Ist die Advertising-Technologie so gut?
Nach der ersten Pause schrieb Sacha Berlik von The Trade Desk der Branche ins Stammbuch, dass man sich vielleicht nicht zu lange auf den technologischen Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen sollte. Schon heute, so Berlik, werden viele programmatische Anfragen wegen Timeouts abgebrochen. Wenn die Branche weiterwächst und somit mehr Parameter und mehr Interessenten in jeder einzelnen Werbeplatzauktion auf den Markt treten, dann reicht die bisherige lineare Infrastruktur nicht mehr aus. Man braucht eine komplexere Logik mit Entscheidungsbäumen.
Eine andere Form der Entscheidungshilfe präsentierte Sotir Hristev von Havas Media. Er setzt auf künstliche Intelligenz, um aus dem gesamten Datendschungel die relevanten Informationen herauszufiltern. Dieser Ansatz ermöglicht Data Governance, was schließlich auch den Nutzer in die Lage versetzen kann, sein individuelles Datenschutz/Targeting-Niveau zu definieren.
Mit Thomas Heinz kam anschließend ein Kreativer auf die Bühne. Der Kreativdirektor der vornehmlich klassisch agierenden Agentur Antoni sieht keinen Widerspruch in Daten/Automatisierung und Kreation. Er betonte aber, dass man das Thema Daten immer zu sehr im Zusammenhang mit Mediaausspielung diskutiere. Für Heinz sind Insights über die potenzielle Zielgruppe, mit denen es die Kreativagentur zu tun hat, mindestens ebenso wichtig.
Das darauffolgende Panel stellte sich die Frage nach der Zusammenarbeit zwischen Kreativagenturen, Mediaplanern und technischen Dienstleistern. Klar scheint zu sein, dass Media- und Kreativagenturen sich wandeln müssen. Sebastian Küpers, Leiter Artificial Intelligence bei Pixelpark, stellte klar, dass auch Kreativagenturen ohne eine eigene, starke Technologiekompetenz auf Dauer nicht weiterkommen.
Best Practices
Nach der Mittagspause eröffneteGerald Banze mit der Perspektive eines Quereinsteigers. Von der Mediaagentur kommend arbeitet er nun in der Datenvermarktung. Q Division aggregiert Daten über die Kaufwahrscheinlichkeiten der Nutzer. Auch Banze erwartet von der Adtech-Branche, dass sie stärker auf die Werbungtreibenden und Publisher zugeht.
Was passiert, wenn Technologieanbieter und Medien enger zusammenarbeiten, demonstrierten Marcus Peikert von StickyAds und Mark-Olaf Winter vom Spiegel Quality Channel. Der Spiegel bietet einen Gutteil seines Inventars inzwischen in Private Marketplaces an. Die Privatauktion erfüllt die Bedürfnisse der Medien, den direkten Vertrieb an große Marken nicht zu kannibalisieren, sorgt aber gleichzeitig für den dynamischen Auktionshebel, der höhere TKPs erwirtschaften kann. Und genau das ist beim Spiegel geschehen. In allen Messgrößen haben sich die Erlöse für den Spiegel verbessert. „Wir hatten eigentlich gar keine Not, aber es hat sich gelohnt“, sagte Winter.
Wirkungsnachweise wie dieser sind inzwischen unverzichtbar auch für die Kundengewinnung. Frederike Voss, CEO von Orbyd, erwartet, dass mehr Transparenz in den Markt kommt, damit Werber zum Beispiel auch programmatische Kampagnen gegenüber direkt eingekauften Kampagnen ausbalancieren können. Dass da nicht alles Gold ist, was glänzt, betonte Michael Baum, CEO von Stailamedia: „Ohne gute Fraud Protection kommt man mit keinem Advertiser mehr ins Geschäft.“
Zum Abschluss des dritten Blocks beleuchteten Stefan Beckmann von SPOTXund Martin Schwager von den Netzathleten die Chancen, die im dynamisch wachsenden Markt Bewegtbildwerbung liegen. Auch hier macht das Thema Automatisierung nicht halt. Bis zu 14 Prozent höhere eCPM erzielte man mit einer Beispielkampagne, solange der ausgespielte Werbeinhalt zum Video passt. Der größte Hebel liegt in den Werbeflächen, die um das Video herum platziert werden, die sogenannte Outstream-Werbung.
TV, Radio und Mobile
Den letzten Block eröffnete Jens Mittnacht, Managing Director bei Sevenone Media. Er skizzierte die Transformation, die das Hause Pro7Sat1 gerade durchmacht. „Alles wird IP-basiert“, erklärt Mittnacht und zeigt damit, dass nicht nur die TV-Signale mittelfristig programmatisch buchbar werden, sondern dass er auch in der Lage ist, TV-Kampagnen mit Online-Marketing zu synchronisieren. HBBTV, also die Smart-TV-Interaktion stellt für Pro7Sat1 hier derzeit das Mittel der Wahl dar.
Die einzige weibliche Referentin der Adtrader 2016 kam aus Großbritannien, von Yahoo. Dora Michail, Director Audience, berichtete von der weit fortgeschrittenen Standardisierung bei Yahoo in Sachen Native Advertising. Besonders gut funktionieren die Kampagnen, wenn man in der Lage ist, User stringent auf dem Desktop und im mobilen Kontext zu beliefern. Yahoo hat eine eigene ID-Struktur, mit der die Briten in Deutschland 60 Prozent der User identifizieren können. In UK sind es 85 Prozent, weil weniger legale Hürden existieren.
Tatsächlich ist das Thema Mobile Advertising noch recht problematisch für die meisten Agenturen und Advertiser. Kern der von Daniel Rieber (Adsquare) geleiteten Diskussion waren folgerichtig die Möglichkeiten, die die Branche hat, um den Kontext des mobilen Nutzers besser erfassen zu können. Google identifiziert die wichtigsten Situationen als Mobile Moments. Lothar Prison von Vivaki zeigte sich selbstkritisch: „Wir müssen enger mit den Kreativen arbeiten, um bessere Kampagnen zu entwickeln, das Potenzial, das in Mobile existiert, ist enorm.“ Nach wir vor hinken die Werbegelder (knapp 10% vom Gesamttopf Online-Marketing) der Nutzungsfrequenz deutlich hinterher. Einzelne Medien berichten von bis zu 70% mobilen Zugriffen, der Durchschnitt liegt irgendwo bei 30%.
Den Schlusspunkt der diesjährigen Adtrader Konferenz setzte Tobias Conrad vom Audiovermarkter RMS.Die „Tonspur“ begleitet den User über den ganzen Tag hinweg und kann ihn auch mobil gut erreichen, vor allem weil Transaktionsaktivitäten auf dem Smartphone davon nicht gestört werden. Auch die Radiovermarktung bewegt sich mit hohem Tempo in Richtung Programmatic.
Unterm Strich stand eine Adtrader Konferenz 2016, in der neben neuen Technologien auch viele nachdenkliche Töne angeschlagen wurden. Die Branche befindet sich trotz des Wachstums in einer Konsolidierungsphase. Mehrheitlich wurde der Wunsch geäußert, man möge nächstes Jahr noch mehr Kreative mit an den Tisch holen. Wir sind gespannt.
Hinweis: Weitere Fotos von der Adtrader Conference 2016 finden Sie auf Flickr und Videos auf Youtube.
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