Programmatic TV klingt zuerst verheißungsvoll nach neuartiger automatisierter TV-Werbung. Endlich programmatisch auf Fernsehspots bieten, mag sich so mancher danken. Allerdings ist der Ausdruck mit Vorsicht zu genießen, denn es ist nicht überall Programmatic drin, wo Programmatic draufsteht. Und in diesem Fall ist häufig noch nicht einmal TV drin. Bisher gibt es auf dem Markt zwei Varianten, die wohl beide unter Programmatic TV gehandelt werden könnten, jedoch nicht wirklich Programmatic oder TV sind.
'Programmatic Videostream' – nicht TV
Der erste Fall trifft auf den deutschen Markt in den seltensten Fällen zu und bezieht sich mehr auf ausländische Märkte wie zum Beispiel Frankreich. Hier sind Set-Top-Boxen, die das Fernsehprogramm über das Internet streamen oder auch Video-on-Demand (VoD) anbieten, weitverbreitet. Vor kurzem hat der Anbieter von Multiscreen-Video-Werbetechnologie StickyAdsTV in einer Pressemitteilung verkündet: Programmatic TV steht vor dem Durchbruch. Gemeint war der programmatische Handel über die Online-TV-Streams der Set-Top-Boxen und Smart-TVs. Der Durchbruch: Das Unternehmen bietet, wie im programmatischen Anzeigengeschäft mittlerweile schon fast üblich, nun Automated Guaranteed auch für seine Online-TV-Streams an. Zu den ersten Sendern, die ihr Inventar über die Private Exchanges zur Verfügung stellen, gehören mit France Télévision, M6 und NextRégie hauptsächlich französische Sender. In Deutschland ist bisher nur Spiegel. TV an das neue Angebot angeschlossen.
Dr. Oliver Vesper, Vorstand der smartclip AG, erklärt, warum der Begriff Fernsehen beziehungsweise TV hier trügerisch sein kann: „Angebote wie Spiegel. TV sind Streaming-Angebote, von Haus aus digitaler Natur und haben daher mit klassischem linearem TV nichts zu tun. Wir subsummieren solche Angebote weder unter Addressable TV, welches im unmittelbaren Zusammenhang mit linearem TV steht, noch unter Programmatic TV, wenn man diesen Begriff noch gebrauchen will. Werbung in Video-Apps, die über Smart-TVs oder über Konsolen wie PlayStation oder Xbox abgerufen werden können, sind On-Demand-Angebote im Rahmen einer digitalen Multiscreen-Nutzung. Überall dort gehören IP-Technologien, wie zum Beispiel Adserver, zum Standard, und ermöglichen eine Ansprache, wo beispielsweise nur mobile Devices angesteuert werden. In diesem Segment des Online-Videos findet dann auch Programmatic Video Advertising, welches seinen Siegeszug angetreten hat, seinen Einsatz.“
Addressable TV – nicht Programmatic
Auf der anderen Seite des Spektrums befindet sich Addressable TV (ATV). Auch hier wird häufig von Programmatic gesprochen, obwohl die Anzeigenplätze nicht programmatisch gehandelt werden. Werbetreibende buchen hier klassisch das Inventar des Publishers. Benötigt wird dazu ein Smart-TV oder eine Set-Top-Box, die einen Fernseh- wie auch einen Internetanschluss hat. Das Fernsehsignal läuft dabei unabhängig von der ausgespielten Werbung über Satellit, Kabel oder ähnliches. Durch den HbbTV-Standard (Hybrid Broadcasting Broadband TV) können Werbemittel während der linearen TV-Sendung ausgespielt werden, ohne in das Signal einzugreifen. Ein Beispiel: Man sieht eine Sendung und plötzlich wird das Bild verkleinert und am Bildschirmrand erscheint Bannerwerbung. Dieses Werbemittel wird allerdings nicht durch das normale Fernsehsignal eingespeist, sondern über das Internet. Beim Bewegtbildvermarkter smartclip spricht man bewusst von Addressable TV. Echtzeit-Inventar-Handel spielt in der aktuellen Marktphase im ATV keine Rolle. Zudem sind die Werbemöglichkeiten klar auf statische Werbemittel limitiert, wie Oliver Vesper erklärt: „Im Moment sind die probaten Mittel primär grafische Werbeformate. Durch den hohen Innovationsgrad, der durch die IP-Technologien Einzug erhält, bringen diese den größten kurzfristigen Mehrwert für den TV-Werbemarkt. Im Zuge der Erweiterung auf den Standard HbbTV 2.0, der dann aber erst flächendeckend in den Smart-TVs aktualisiert werden muss, werden auch weitere Entwicklungsschübe möglich sein.“
Im Gegensatz zur linearen Fernsehwerbung können ATV Ads kontextbezogen an den Nutzer ausgestrahlt werden und so zum Beispiel auf die äußerlichen Umstände wie Zeit und Ort oder ähnliches eingehen.
Vesper verdeutlicht, warum das, was viele unter Programmatic TV verstehen, eigentlich nichts mit dem programmatischen Handel zu tun hat, den man aus dem Online-Videogeschäft kennt: „Das Wort Programmatic wird im Moment sehr stark genutzt, weil es unmittelbar mit einem gewissen Innovationsgrad verbunden ist. Wenn zum Beispiel von Programmatic Print geredet wird, heißt das übersetzt, dass über sogenannte Schnittstellen (APIs) Datensätze, zum Beispiel über Verfügbarkeiten in Echtzeit, ausgetauscht werden. Solche Workflow-Optimierungen haben auch in das TV-Geschäft Einzug erhalten und erleichtern gewisse Teilaspekte des Mediaeinkaufs. Das hat aber keinen Zusammenhang zum ‚Real-Time Bidding‘ als Teilaspekt (Preisfindungsmodell) des Programmatic Video Advertising.“
In Zukunft vielleicht doch Programmatic TV?
Es wird in Zukunft darum gehen, die Lücke zwischen linearem Fernsehen und den bislang vorwiegend im Internet angewandten digitalen Vermarktungsinstrumenten zu schließen. TV-Sender könnten sich dadurch eine neue Erlösquellen erschließen, während Werbetreibende einen weiteren sehr attraktiven Touchpoint dazugewinnen. Doch bevor die Mediaeinkäufer wirklich auktionsbasiert Online-Bewegtbilderbung auf dem Fernseher einkaufen können, wird noch etwas Zeit vergehen. Bisher steht die Vermarktung von linearen Inhalten am Smart-TV über HbbTV noch am Anfang. Technisch gesehen liegt der Grund am derzeitigen HbbTV-1.5-Standard, der es schwierig macht, Bewegtbildspots fehlerfrei auf dem großen TV-Screen auszuliefern. Aber auch die Angebotsseite, sprich die TV-Sender stellen bisher kaum Bewegtbild-Content über die HbbTV-fähigen Geräte bereit. Es wird sich zeigen, ob mit der Möglichkeit Bewegtbildwerbung über HbbTV einzuspielen, auch das Interesse der TV-Sender an weiteren Vermarktungsmöglichkeiten geweckt wird. Dies wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Programmatic TV.
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