Der Wettbewerb im E-Commerce erfordert eine Umverteilung der Werbebudgets. Ohne Aussteuerung in profitable, streuverlustarme Kanäle pro Kunde ist der Return-on-Marketing-Investment (RoMI) gefährdet. Das gilt auch für den Fall, wenn Shopping-Anbieter mit neuen Käufern nicht schnell genug einen positiven Deckungsbeitrag erwirtschaften. Zeit für eine Neubewertung der Kategorie Performance-Marketing und die Bedeutung der Marke im Handel.
Die schlechte Nachricht zuerst: Einfacher wird’s nicht, als E-Commerce-Anbieter profitabel zu sein. Laut Erik Siekmann, Chef der Hamburger Strategieberatung Digital Forward, sind die Zeiten des schnellen Wachstums im Online-Handel gezählt. Der zunehmende Wettbewerbsdruck erfordere es, Werbung nahe am Grenznutzen auszusteuern, und gehe im schlimmsten Fall sogar knapp an der Wirtschaftlichkeit vorbei:
„Profitables Wachstum hinzubekommen, wird den Markt immer stärker herausfordern“, ist Siekmann überzeugt. Da bleibt nur ein schwacher Trost: Seit das Versteigerungsprinzip der Digitalwirtschaft auch im Online-Handel dominiert, „schlagen Analyse- und Bewertungsvermögen Einkaufsmacht und Größe“, skizzierte Siekmann auf der vor kurzem gelaufenen ersten Hamburger Exe-Konferenz. Für den Digital-Forward-Chef heißt das im Klartext, dass ein hochgradig analytisch arbeitender Handels-David in der Lage sein wird, Goliath – pardon – einen merkantilen Riesen zu besiegen.
Die meisten Online-only-Shops werden nicht überleben
Laut einer aktuellen Studie des ECC Köln werden 90 Prozent der derzeitigen Online-Pure-Player – also derjenigen Händler ohne weitere Vertriebskanäle neben dem Web – die nächsten Jahre nicht überleben. Der Verdrängungswettbewerb hat längst begonnen. Nischen schrumpfen. Große Cross-Channel-Händler profitieren derweil von Skaleneffekten wie Einkaufsmacht und Prozesseffizienz durch Automatisierung. Der Plattform-Platzhirsch Amazon wird online in immer mehr Kategorien dominieren, so die Studienmacher in Köln. Mittelfristig würden alle Händler, die unter 400 bis 500 Millionen Euro Umsatz liegen, ernsthafte Probleme bekommen. Abhilfe schafft laut ECC Köln nur eine „brutale Kundenorientierung“ – im Zusammenspiel mit Konzepten, die on- wie offline funktionieren müssen. Diesen Anforderungen wird indes nicht jeder Shop-Anbieter gewachsen sein.
Kanalübergreifende Betrachtung ist ein Muss
Aber jetzt bitte die gute Nachricht: Händler, die ihr Marketing mit einer gezielten System- und Reportingstruktur steuern, bewerten und optimieren, haben zumindest gute Karten, im Geschäft zu bleiben. Folgt man Siekmann, werden Händler beispielsweise das Zusammenspiel von Traffic-Akquisition, Onsite-Conversion-Rate-Optimierung, Kundenwert, Preis und Produkt immer genauer unter die Lupe nehmen müssen. En vogue geraten in der Praxis neben den kanalspezifischen die kanalübergreifenden Betrachtungen. Man denke an die Kosten-Umsatz-Relation (KUR) einer kompletten Customer Journey. Oder an Reaktionen auf Kannibalisierungseffekte. Vor diesem Hintergrund warnt der Digital-Forward-Chef davor, falsche Zielwerte oder mangelhafte Budgetierungsgrundlagen zu nutzen. Oder davor, mit Organisations- und Datensilos buchstäblich einzugehen.
Umverteilung zu Lasten von SEA, SEO und Affiliate Marketing
Wie reagieren die Händler? Aktuell nehmen sie in den verschiedenen Kanälen Budgetumschichtungen vor, denn: Erstens gerät Paid Search (SEA) – bislang der Löwenanteil von bis zu 90 Prozent im E-Commerce – oft defizitär. „Ich kenne keinen reifen Player, der unter Profitabilitätsgesichtspunkten über steigende SEA-Budgets verfügt“, erläutert Siekmann. Mit 95 Prozent der generischen Keywords in der bezahlten Suche verdienten Advertiser – im Gegensatz zu Google und den Arbitrageuren – längst kein Geld mehr. Zweitens bewege sich die Suchmaschinenoptimierung (SEO) trotz Content-Marketing in eine Kostenspirale hinein. „Unter Kostengesichtspunkten wird sich SEO in die Bedeutungslosigkeit verabschieden“, provoziert Siekmann. Drittens schrumpften die Unternehmen ihr Affiliate Marketing gesund. Viertens wachse (programmatische) Display-Werbung als DER Neukundenkanal auch jenseits des Retargeting rasant. Insbesondere Facebook als einer der „Walled Gardens“ (d. h. als Login-Plattform) sowie datenbasierte Managed Services profitierten von diesem Trend. Fünftens werde Retargeting zur displaybasierten – sechstens – CRM-Disziplin.
Social-Media-Marketing als Chance
In der Umverteilung – partiell weg von der bezahlten Suche – sieht auch René Otto sein Heil: „Wegen des Keyword-Wettbewerbs und Kostensteigerungen bei Google müssen wir den SEA-Kanal mit Blick auf Grenz- und Vollkosten beschneiden und das gesparte Budget an Kunden, die in anderen Channels unterwegs sind, umverteilen“, skizziert der Geschäftsführer des Merchandising-Händlers Rock N Shop und Chef der E-Commerce-Beratung Trust in Dialog, beide mit Sitz in Hamburg. Otto erreicht seine Kunden mit den sozialen Netzwerken – vor Facebook, aber auch Instagram und Twitter – als Anstoßkanal kostengünstiger. Hinzu kommt: „Hier sehen wir beim Budgetsplit derzeit ein Umsatzpotenzial von bis zu 15 Prozent“, erläutert der Rock-N-Shop-Chef. Schon 2016 will er mit Social-Media-Marketing einen Umsatzanteil von mindestens zehn Prozent erreichen. Zum Vergleich: In Monaten, in denen die Hamburger keine aktive Kanalsteuerung in Facebook vornehmen, erreichen sie laut eigenem Bekunden einen generischen Umsatz von lediglich bis zu drei Prozent über die sozialen Medien.
Was bringt’s Otto unterm Strich? Die Kosten-Umsatz-Relation (KUR), anfänglich negativ, dreht bei den über Social Media gewonnenen Kunden binnen rund zwölf Monaten in den profitablen Bereich, verzeichnet einen sinkenden Cost-per-Click und bessere Conversions. Und vor allem: „Social-Media-Leads weisen ein ausgesprochen gutes Nachkaufverhalten auf“, betont Otto. Im Gegensatz dazu tendiere das Nachkaufverhalten von über Google gewonnenen Kunden bei Rock N Shop nahezu gegen null.
Leads anstatt Sales: „Ausweg aus der Google-Falle“
Vor dem Hintergrund von Effizienzsteigerungen und gefährlichen Effekten nahe am Grenznutzen („Was skaliert denn?“) skizzierte Robert Käfert, Geschäftsführer des Berliner Collaborative Marketing Clubs und Ex-Mister-Spex-Marketer, auf der Exe-Konferenz einen Ausweg aus dem Erlösdilemma:
„Wenn Sie vom Sales-Modell zum Lead-Modell hin umdenken, haben Sie eine Kundenbeziehung gestartet“, sagte Käfert auf dem Event und verwies auf das emotionale Fallbeispiel des Outdoor-Shopping-Clubs Huckberry.com. Die Plattform (Claim: „Basecamp for Inspiration“) hat sich eine loyale Fangemeinde aufgebaut, kommt ganz ohne Paid Keywords aus und verzeichnet im Neukundengeschäft dank emotionaler Inhalte mehr als 50 Prozent Direct-Type-ins. Man könnte glatt „zukunftsorientierte Lead-Generierung“ darunterschreiben. Die Redaktion erzählt Geschichten und liefert u. a. im Newsletter zu jedem Produkt die Begründung, warum Kunden es besitzen sollten. „Damit skizziert sie einen Ausweg aus der Google-Falle“, erklärte Käfert. Den Kunden sauber durch den „Customer-Experience-Funnel“ (kennen, besuchen, kaufen, wiederkaufen etc.) zu treiben bzw. die Treiber, aber auch die Schwachstellen im Funnel zu erkennen und zu optimieren, erweist sich als „pure Magie“, schwärmt Käfert.
Ohne Marke keine Performance und kein Gewinn
Galt im Conversion-Funnel noch vor wenigen Jahren das salesorientierte Performance-Marketing als DAS Mantra schlechthin, so hat sich diese Sichtweise mittlerweile geändert: „Das Performance-Marketing im E-Commerce hat – bis auf ein paar Leuchttürme wie Amazon, Ebay, Zalando und wie sie alle heißen – jahrelang die Bedeutung der digitalen Markenstärke unterschätzt“, kommentiert André Soulier, Geschäftsführer der Münchner Digitalagentur Nayoki. Ein Händler am Puls der Zeit müsse die Schlacht um den Direct-Type-in gewinnen.
„Dies gelingt umso leichter, je stärker das Zugpferd Marke ist“, erklärt der Agenturchef. „Ohne Markentugenden können Händler heute im Performance-Marketing nicht mehr nachhaltig erfolgreich sein“, begründet er. Das heißt: Ganz ohne Search (sowohl SEA als auch SEO) werden Effizienz und Effektivität im E-Commerce zwar nicht funktionieren. Aber da in der Suche nicht viel mehr zu holen ist, müssen sich Händler einer facettenreichen, dynamischen Kanalaussteuerung widmen. Dies geht weit über die Suchdisziplinen hinaus.