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Was leistet die Spieltheorie in der Marketing-Attribution?

Frederik Timm, 31. März 2016
Grafik: Krasimira Nevenova Dollarphotoclub.com

Über die Customer-Journey-Analyse versuchen Marketer herauszufinden, wie sie die einzelnen Marketingkanäle budgetieren müssen, um den Nutzer zur Konversion zu bewegen. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder aufpoppt, ist die sogenannte Spieltheorie, ein Entscheidungsmodell aus der Mathematik. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Spieltheorie im Bereich der Martketing-Attribution als Buzzword.

Was ist die Spieltheorie?

Die „Spieltheorie“ ist eine mathematische Methode, die das rationale Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen davon ableitet, dass der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von den Aktionen anderer abhängt.

Auf die Marketing-Attribution bezogen würde dies so zu verstehen sein: Die erfolgreiche Customer Journey hängt nicht nur von einem Touchpoint ab, wie es das Abrechnungsmodell „Last Cookie Wins“ vorsieht, sondern ergibt sich auch aus dem Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Touchpoints beziehungsweise Werbeschaltungen auf allen Kanälen. Es wird also nicht nur das Werbemittel, auf das die Konversion folgt, als maßgeblich für den Erfolg gesehen, sondern auch die Werbekontakte davor. Wenn nun zum Beispiel ein bestimmter Touchpoint in 1000 Customer Journeys immer drei Schritte vor der tatsächlichen Konversion ermittelt wurde, dann wird ihm ein entsprechend positiver Beitrag für die Konversion zugeordnet, der bei der späteren Attribution des Marketingbudgets berücksichtigt werden sollte.

Die Spieltheorie in der Marketing-Attribution - Mehr Schein als Sein?

Anbieter von Marketing- und Attributionssoftware arbeiten mit Algorithmen, die nicht selten auch Ansätze der Spieltheorie verwenden sollen. Für die Marketing-Attribution werden in der Regel erfolgreiche Customer Journeys analysiert und die Touchpoints bewertet. Es stellt sich die Frage nach einer schlüssigen Analogie zur angeführten Entscheidungstheorie. Gefragt sind ja Entscheidungshilfen für den Advertiser durch die Prognose des Konsumentenverhaltens, das wiederum nur aufgrund von Wahrscheinlichkeiten vorhergesagt werden kann.

Bild: Prese exactag Jörn Grunert

Der Geschäftsführer von exactag, Jörn Grunert, klärt auf: „Bei der Spieltheorie handelt es sich um ein Buzzword. Im reinen spieltheoretischen Ansatz kann man nur die erfolgreichen Customer Journeys bewerten und das auch nur in der Retroperspektive. Das Problem ist, wenn man nur erfolgreiche Ketten beziehungsweise Customer Journeys bewertet und die nicht erfolgreichen Ketten außer Acht lässt, kann es sein, dass man aus den Daten falsche Schlüsse zieht. Deshalb sind wir dem Ansatz gefolgt, sämtliche Ketten anzuschauen und Wahrscheinlichkeiten aufgrund der bisher gesammelten Daten zu berechnen. Unser Unternehmen nutzt fünf Prozent der Spieltheorie. Der Rest setzt sich aus Informations- und Wahrscheinlichkeitstheorie zusammen.“

Spieltheorie vs. Regressionsanalyse

Die Regressionsanalyse untersucht die Wirkung von unabhängigen Variablen auf eine abhängige Variable. Bezogen auf den Bereich Online-Marketing lässt sich so der Einfluss von unabhängigen Variablen, wie On- und Offsite-Verhalten von Nutzern auf die abhängige Variable, nämlich Konversionen, ermitteln.

Bild: Presse adclear Dimitrios Haratsis

Dimitrios Haratsis, Geschäftsführer von Adclear, nutzt die Regressionsanalyse als Grundlage für die Marketing-Attribution. Er meint: „Die Spieltheorie ist ein Entwicklungsschritt in der Evolution der Attribution. Spieltheoretische Ansätze sind ein erster Schritt weg von Last Cookie Wins, jedoch nur halbherzig und nicht konsequent. Das Userverhalten onsite wird gänzlich ignoriert, obwohl darin der höchste Erklärungsgehalt für die Attribution liegt. Dazu benötigt man die Regressionsanalyse. Hierbei können sowohl Onsite- als auch Offsite-Informationen des Users analysiert werden. So können wir genaue Vorhersagen für die Attribution treffen.“

Haratsis führt weiter aus: „Die Spieltheorie gibt lediglich Aufschluss über die Position der Kanäle in der Customer Journey. Die Regressionsanalyse betrachtet jedoch wesentlich mehr Informationen. Die Onsite-Daten liefern Informationen zur Qualität des Nutzers, wie unter anderem die Verweildauer auf der Seite oder die Anzahl der Page Impressions. Die Offsite-Daten bieten unter anderem Auskunft darüber, über welchen Kanal die Nutzer die Werbemittel erhalten, welche Werbemittel zur Konversion führen und welche Position die Kanäle in der Customer Journey besetzen.“

Jörn Grunert hält dagegen: „Die Regressionsanalyse funktioniert in der Realität nicht. Diese gilt nur für festgelegte Regeln in der Vergangenheit, aber sobald neue Touchpoints oder Publisher dazukommen, versagt sie. Sie ist nicht dynamisch wie der spieltheoretische Ansatz in Verbindung mit Informations- und Wahrscheinlichkeitstheorie. Unternehmen, die die Regressionsanalyse nutzen, berechnen die Ergebnisse in unregelmäßigen Abständen. Wir machen das täglich. Wenn ein neuer Touchpoint hinzukommt, kann die Regressionsanalyse nicht flexibel darauf reagieren.“

Haratsis erwidert: "Die regressionsbasierten Ansätze sind multivariate Verfahren und nicht eindimensional, wie der spieltheoretische Einsatz. Damit geben sie am besten das Userverhalten wieder. Unsere Kaufentscheidungen laufen nach bestimmten Mustern ab, die in der Praxis sehr stabil sind. Dabei mag auch die Reihenfolge der Kontakte eine gewisse Rolle spielen, aber sicher nicht die dominierende. Schließlich kaufen wir einen Fernseher auch eher wg. der Diagonale, des Designs, der Features, der Marke oder des Preises und nicht, weil es der erste Fernseher ist, den wir gesehen haben. Die regressionsbasierten Ansätze lernen aus den Daten und basieren auf stabilen Mustern, die erkannt werden. In der Praxis funktionieren diese Regeln auch bei neuen Touchpoints sehr gut. Dadurch haben die regressionsbasierten Ansätze gegenüber den spieltheoretischen Ansätzen einen klaren Vorteil: Sie können neue Touchpoints und Kanäle mit geringem Traffic sofort bewerten und müssen nicht immer bei null anfangen."

Wieviel Daten sind notwendig?

Nach Einschätzung eines hierzu befragten Experten aus der Forschung stellt die Spieltheorie kein sinnvolles Mittel dar, um Konversionspfade im Online-Marketing zu messen. Um auswertbare Ergebnisse durch die Spieltheorie zu erhalten, benötige man Millionen von Datensätzen beziehungsweise Customer Journeys. In der Marketing-Attribution sei dies nicht realistisch.

Und auch Jörn Grunert meint: „Man kann nicht alle Daten in einen Topf werfen. Dafür sind die Customer Journeys für verschiedene Produkte zu verschieden. Es sind jedoch nicht Millionen Datensätze für unsere Analyse nötig. Je nach Konversionsrate benötigen wir nur circa 2.000 erfolgreiche Konversionen. Darauf kommen dann circa nochmal das Zehn- bis Hundertfache an nicht erfolgreichen Konversionen. Aus diesen Daten können wir die erfolgreichen Kanäle herausfiltern und Vorhersagen über die Wirksamkeit von Werbeplatzierungen treffen.“

Fazit

Die Spieltheorie ist im Zusammenhang mit der Marketing-Attribution eher ein Buzzword und eine leere Worthülse. Als isolierter Ansatz kann die Spieltheorie nicht für die Marketing-Attribution nutzbar gemacht werden. Zu leicht kann die vergleichsweise eindimensionale Betrachtung der erfolgreichen Konversionen missinterpretiert werden und außerdem würde es für eine erfolgreiche Analyse an genügend Daten mangeln. Allerdings bieten die Ansätze der Spieltheorie die Möglichkeit, in Verbindung mit anderen Theorien Werbekanäle zu analysieren und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs dieser Kanäle vorauszusagen.

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