Europäische Datenschutzverordnung: 2018 wird eine Zeitenwende für die digitale Werbewirtschaft
Jens von Rauchhaupt, 18. Dezember 2015Im Rechtsauschuss des Europäischen Parlaments haben die Rechtsexperten gestern Vormittag mit einer deutlichen Mehrheit von 52 zu 2 Stimmen bei einer Enthaltung eine Einigung über die neue Datenschutzverordnung (DSVO)erzielt. Diese Grundverordnung für Datenschutz soll unter anderem in Zeiten von Cloud Computing, Social Networks und Smartphone-Nutzung die EU Bürger vor Missbrauch ihrer personenbezogenen und personenbeziehbaren Daten schützen. Doch die neue DSVO schießt weit über dieses Ziel hinaus und gefährdet zahlreiche Geschäftsmodelle aus den Bereichen Display Advertising, Dialogmarketing sowie Data und Targeting, die bisher in Deutschland als datenschutzkonform galten. Sowohl vonseiten des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) als auch vom Bundesverband Digitaler Wirtschaft (BVDW) hagelt es deshalb Kritik.
Größte Kritikpunkte der Verbände sind das Einwilligungserfordernis des Nutzers (Opt-In), wenn Werbeunternehmen Cookies oder Tracking-Codes im Client-Browser setzen wollen und die fehlende Möglichkeit, Bewegungsdaten pseudonymisiert nutzen zu können.
Die DSVO wird ab dem 01.01.2018 die aus dem Jahr 1995 stammende Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 95/46/EG ) gänzlich ersetzen. Im Gegensatz zur Richtlinie 95/46/EG wird die neue Datenschutz-Grundverordnung ohne Umsetzungsakt unmittelbar in allen EU-Mitgliedsstaaten gelten. Den Mitgliedsstaaten wird es daher nicht möglich sein, den von der Verordnung festgeschriebenen Datenschutz durch nationale Regelungen abzuschwächen oder zu verstärken.
ZAW: zu unbestimmt, zu bürokratisch und unberechenbar
Der ZAW ist der Auffassung, dass die DSVO für die Werbewirtschaft erhebliche Rechtsunsicherheit produzieren wird. Insbesondere das Direktmarketing, aber auch das datengetriebene Online-Werbegeschäft werden ab 2018 unmittelbar davon abhängen, wie die Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln der Verordnung von den Aufsichtsbehörden interpretiert werden. Bis Gerichte die Verordnung in Rechtssicherheit geklärt haben, werden nach Einschätzung des ZAW Jahre vergehen.
Trotz jahrelanger Verhandlungen sei es nicht gelungen, ausreichend klare und damit berechenbare Rechtsgrundlagen zu schaffen. „Das Ausmaß, nach dem sowohl bislang legales unternehmerisches Handeln wie auch zukünftige Investitionen und Innovationen unter Interpretationsvorbehalt von Behörden gestellt werden, ist äußerst bemerkenswert. Dies ist eine große Hypothek für die Praxistauglichkeit der Datenschutzgrundverordnung“, betont Dr. Bernd Nauen, Geschäftsführer des ZAW.
Zwar zeigt sich der ZAW erleichtert, dass eine ganze Reihe von Datenverarbeitungsverboten keinen Eingang in die Verordnung gefunden hat. Die überbordende Vielzahl und Vielgestaltigkeit von Informations-, Auskunfts-, Dokumentations- und Begründungspflichten für die Verarbeitung von Daten ist aber ein erhebliches Problem der neuen Regulierung. Spürbare Mehrkosten für die Unternehmen der Werbewirtschaft sind sicher; manche Regelungen bzw. deren Kumulation könnten sich aber auch als faktisches Verbot auswirken.
Den großen US-Anbietern in die Karten gespielt
Der ZAW zeigt sich auch deshalb skeptisch, weil die DSVO in ihren Auswirkungen bestimmte Geschäftsmodelle bevorzugen dürften. Gemeint sind hier Log-In basierte Angebote wie beispielsweise die von Google und Facebook. „Wenn, was natürlich dem Ausmaß nach auch von der Interpretation der Verordnung abhängt, große Plattformunternehmen – mitsamt ihren einwilligungsbasierten Netzwerkstrukturen – in Bezug auf die Erhebung und Verarbeitung von Daten weniger reguliert werden als die unternehmerische Datenverarbeitung auf Opt-Out-Basis, so wie sie von der Vielzahl deutscher und europäischer, hauptsächlich mittelständischer Unternehmen der Werbewirtschaft betrieben wird, würde die Verordnung weder den Schutz der Daten noch den Erhalt fairer Wettbewerbsbedingungen fördern. Gerade diese Effekte der Verordnung werden wir genau beobachten“, erklärt Dr. Bernd Nauen, Geschäftsführer des ZAW.
BVDW: Überregulierung und Benachteiligung für europäische Unternehmen
Auch der BVDW kritisiert die neue Datenschutzgrundverordnung, weil sie an der Realität und den Anforderungen einer modernen Informationsgesellschaft vorbeiginge und notwendige Differenzierungen und Risikoabstufungen vermissen lasse. Dem europäischen Gesetzgeber sei es mit der DSVO nicht gelungen, moderne und zukunftssichere Regeln für den Umgang mit Daten im 21. Jahrhundert zu schaffen.
„Das Internet als wirtschaftlicher Wachstumsmotor wird im Ergebnis überreguliert, die Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen Wettbewerb deutlich begrenzt“, heißt es in einer Pressemitteilung des BVDW. Etablierte Lösungen zum technischen Datenschutz, wie sie zum Beispiel das deutsche Recht mit der in der Praxis bewährten Pseudonymisierung von Daten (dabei wird der Personenbezug der Daten durch einen Code ersetzt, der die Identifizierung verhindert), werden weitestgehend vernachlässigt – obwohl Digitale Wirtschaft und Datenschutzbehörden während des gesamten Entstehungsprozesses dieser Verordnung immer wieder auf die Notwendigkeit einer Implementierung der Pseudonymisierung hingewiesen haben.
Widerspruch zum Grundsatz der Datensparsamkeit
In wichtiger Punkt für den BVDW ist die fehlende Risikoabstufung bei der Verarbeitung von Daten, die als elementare Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen mit datenbasierten Geschäftsmodellen gilt. Dies wird vor allem kleineren und mittleren Unternehmen die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle erschweren. Auch wird im Ergebnis ein Kernziel des Gesetzgebers, ein Mehr an Datensparsamkeit, verfehlt – denn die strenge Einwilligungserfordernis (Opt-In) wird dazu führen, dass die Nutzer durch loginbasierte Registrierungen, die nun weiter zunehmen werden, noch mehr Klardaten offenlegen werden.
BVDW-Vizepräsident Thomas Duhr: „Grundsätze wie eine europaweite Harmonisierung und ein Wechsel zum Marktortprinzip sind zwar grundsätzlich zu befürworten, der Kompromiss zur Datenschutz-Grundverordnung zeigt aber leider mit aller Deutlichkeit, dass der europäische Gesetzgeber die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Die für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Digitalbranche so wichtige Risikodifferenzierung fehlt völlig. Stattdessen haben wir nun einen realitätsfernen, einwilligungsbasierten ‘one-size-fits-all‘-Ansatz, der erhebliche Hürden für entgeltfreie Dienste, also den Kern des Internets, schafft. Das widerspricht sowohl den Interessen der Unternehmen als auch denen der Nutzer.“
Der BVDW erwartet von der Europäischen Kommission als Exekutive im Falle der abzusehenden unveränderten Umsetzung dieses Regelwerks ein deutliches Engagement bei der Konkretisierung der Verordnung mit dem Ziel, die heute etablierten Geschäftsmodelle und Möglichkeiten der Digitalen Wirtschaft zu erhalten und im globalen Wettbewerb zu fördern. „Andernfalls wird die Zukunftsfähigkeit des Standorts Europa massiv gefährdet“, sagt Thomas Duhr.
Die neue DSVO, die inhaltlich auf den nun vorliegenden Kompromiss basiert, soll im März oder April 2016 dem EU-Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Mit einer Zustimmung der Parlamentarier ist zu rechnen. Mit der DSVO geht ein jahrelanger Diskurs hinsichtlich einer Vereinheitlichung des europäischen Datenschutzrechts zu Ende.
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