Programmatic Advertising ist in aller Munde. Doch in der Praxis nutzte man die automatisierte Auslieferungsmethode meist für Retargeting-Kampagnen. Doch das ändert sich momentan. Immer mehr große Publisher geben ihr Inventar für automatisierte Buchungen frei. Jetzt scheint der Weg frei zu neuen Ufern.
Ein User interessiert sich in einem Online-Shop für ein Produkt; er wird mit einem Cookie markiert. Verlässt er den Shop ohne Einkauf, wird er später auf anderen Websites mit Anzeigen zu diesem Produkt angesprochen. Das ist die Urform von Retargeting. Doch heutige Technologien können viel mehr leisten. Vor allem, wenn Daten ins Spiel kommen.
Wie man Retargeting weiterdenken kann, zeigt Kupona. Der Performance-Marketing-Spezialist bietet ein sogenanntes E-Commerce-Profiltargeting an. Während beim klassischen Retargeting der Shopbetreiber die Besucher seines Shops markieren lässt, um sie später mit dynamischen Anzeigen anzusprechen, stellen beim E-Commerce-Profiltargeting die Shopbetreiber diese Daten Kupona zur Verfügung. Hersteller und Marken können diese 3rd Party Data dann in ihren Kampagnen nutzen. Kupona agiert dabei als neutraler Dienstleister zwischen Publishern, Werbungtreibenden und Profildaten-Providern wie Online-Shops und Preisvergleichsportalen.
Die 3rd Party Data kauft das Unternehmen nicht auf Marktplätzen, sondern erhält sie direkt von den Shopbetreibern. Diese haben stets die Chance, der Verwendung ihrer Daten für andere Kampagnen zuzustimmen oder sie abzulehnen. „Auf Datenmarktplätzen sind echte Intent-Daten kaum verfügbar, da Shopbetreiber sie dort nicht anbieten“, sagt Melanie Vogelbacher, Director Data Driven Advertising bei Kupona. Zu groß sei die Angst vieler Händler, dass Wettbewerber ihre Daten kaufen könnten. Bei Kupona sichert daher die direkte Beziehung zu den Shopbetreibern die Sicherheit und die Aktualität der Daten. Getargetet wird nur auf Profilinformationen, die nicht älter als 14 Tage sind.“
Durch die 1-zu-1-Beziehungen zu den Datenlieferanten sind auch Co-Branding-Kampagnen möglich. Dabei kann beispielsweise ein Hersteller ohne eigenen Online-Shop in einer Display-Kampagne für seine Marke werben und die Nutzer, die das Werbemittel anklicken, in einen passenden Partnershop schicken, in dem das Markenprodukt direkt gekauft werden kann. Solche Kampagnen verbessern einerseits das Branding der Marke und helfen andererseits dem Online-Händler seinen Abverkauf zu steigern.
Die veredelten Kampagnen werden aber bisher nur zu einem kleinen Teil programmatisch ausgeliefert. Rund 70 % der Media wird direkt eingekauft, 30 % programmatisch. „Das Verhältnis ändert sich natürlich stetig zugunsten des programmatischen Einkaufs, da immer mehr hochwertiges Inventar dort verfügbar ist“, erläutert Vogelbacher näher. Vor allem auf Premiumumfeldern entwickelt sich der deutsche Programmatic-Markt momentan rasant.
Branding im Zusammenspiel der Technologien
„Die Branche wird nicht beim automatisierten Retargeting stehen bleiben. ‚Programmatic‘ bietet ein viel größeres Potenzial“, sagt Joachim Schneidmadl, Vorstand von Virtual Minds. Vermarkter sollten vor allem gedanklich davon abkommen, mit Programmatic eine Restplatzmechanik zu assoziieren, meint Schneidmadl. Heute seien ganz andere Konstrukte mit den Echtzeittechnologien möglich als noch vor wenigen Jahren.
Wichtig dabei ist: Sollen für Branding-Kampagnen Sonderformate oder individuelle Lösungen automatisiert gebucht werden, müssen die Demand-Side-Technologien und die Technologien auf der Supply Side eng zusammenspielen.
Die Technologieholding Virtual Minds hat ein solches Zusammenspiel etabliert und die entsprechende Infrastruktur aufgebaut. Zum Beteiligungsportfolio der Freiburger zählen unter anderen Yieldlab mit ihrer Supply-Side-Plattform (SSP) und der Düsseldorfer Adserver-Anbieter Adition Technologies, der über eine Demand-Side-Plattform (DSP) verfügt. Schon seit knapp zwei Jahren werden unter dem neutralen Dach von Virtual Minds daher auch Branding-Kampagnen programmatisch abgewickelt, die Sonderformate oder sehr individuelle Werbemittel benutzen.
Programmatic für den kompletten Mediaplan
Für die Programmatic-Spezialisten von Spree7 in Berlin spielt Retargeting schon heute eine nur noch untergeordnete Rolle im automatisierten Advertising. „Die Anfragen nach reinen Programmatic Retargeting nehmen ab, sie machen bei uns nur noch 20 % der ausgespielten Werbeeinblendungen aus. Als fester Bestandteil einer Gesamtkampagne ist Retargeting aber weiterhin Teil fast aller Kampagnen“, sagt Spree7-CEO Viktor Zawadzki. Jeder einzelne Abschnitt eines Sales-Funnel wird bei den Berlinern auf die DSP des Shareholders Mediamath übertragen. „Wir setzen komplette Mediapläne 1-zu-1 programmatisch um“, erläutert Zawadzki. Die Kampagnenziele können dabei höchst unterschiedlich sein – vom Retargeting über die Leadgenerierung bis hin zu Branding-Kampagnen. Entsprechend verschieden sind auch die Daten, die dafür benötigt werden.
„Wir benutzen die klassischen Mediaplanungsinformationen und unterlegen sie mit echten Targeting-Daten“, sagt Zawadzki. Nahezu alle Zielgruppeninformationen lassen sich programmatisch abbilden: Von Alter und Geschlecht über Geoinformationen bis hin zu Interessen. Selbst LOHAs (Lifestyles of Health and Sustainability) können von Spree7 indirekt über Drittanbieter eingespielt werden. In der Mediamath-DSP sind rund 30 Datenanbieter integriert, die Zugriff auf zigtausende Einzelsegmente bieten.
Schon allein aufgrund dieser verfügbaren Datenvielfalt scheint Programmatic für ein einfaches Retargeting überdimensioniert zu sein. „Programmatic ist ungleich Retargeting“, betont Zawadzki und ergänzt: „Das klassische Retargeting fokussiert auf Abverkauf über Last-Klick-Modelle und Display-Standard-Werbemittel. Programmatic nutzt hingegen auch die Kanäle Video und Social, in denen Abverkauf eine untergeordnete Rolle spielt.“ Auch können großformatige Display-Werbemittel eingesetzt werden. Für Branding-Ziele sind programmatisch gebuchte Kampagnen nach Zawadzkis Erfahrung daher bestens geeignet. Die Daten für entsprechende Kampagnen sind grundsätzlich vorhanden.
Algorithmus versus Handschlag
Doch letztlich entscheiden nicht allein die verfügbaren Daten darüber, ob Programmatic sich erfolgreich im Brandingbereich etablieren kann. Auch organisatorisch muss nach Ansicht von Schneidmadl umgedacht werden. „Vertriebsmitarbeiter, die gegen Provision Brandingkunden betreuen, wehren sich schon immer intuitiv gegen jeden Kontrollverlust. Und automatisierte Werbebuchungen suggerieren aus Sicht dieser Mitarbeiter einen Kontrollverlust. Solange dies so ist, wird diese wichtige Entwicklung von den Organisationen verzögert oder blockiert werden“, sagt Schneidmadl. Abhilfe können hier Private Marketplaces und Private Deals bieten.
Vor allem die großformatigen Branding-Anzeigen werden in der Regel über Private Marketplaces oder Private Deals gehandelt. „Bei den Topvermarktern geht der Trend ganz klar zum Private Marketplace. Diese Entwicklung ist als klares Signal an die Brand-Advertiser zu verstehen, plattformbasiert Media auf Premiumplätzen einzukaufen“, sagt Marco Klimkeit, Vorstand von Yieldlab.
Während im 2. Quartal 2014 der auktionsbasierte Anteil auf der Yieldlab-Plattform noch bei 97 % lag, wurden im 2. Quartal 2015 mehr als 50 % des Plattformvolumens über Deals abgewickelt. Brand-Advertiser fordern laut Klimkeit zu Recht die Realisierung großflächiger Werbeformate auf Premiumplätzen für den programmatischen Einkauf. „Hier werden sich in naher Zukunft immer mehr Möglichkeiten für die Werbungtreibenden ergeben“, ist der Experte überzeugt. Die technischen Voraussetzungen dafür hat das Unternehmen auf seiner Vermarktungsplattform bereits geschaffen. „Auf Seiten der Publisher sehen wir aktuell sehr große Entwicklungsschritte“, sagt Klimkeit. Gerade erst hat der Yieldlab-Publisher-Partner Spiegel Online bekanntgegeben, Werbeflächen für Wallpaper, Dynamic Sidebar sowie das Mobile Content Ad 2:1 auf der Homepage für das Programmatic Advertising freizugeben.
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