Online-Marketeers geraten schnell mal ins Schwärmen, wenn es um das Thema „Dynamische Attribution“ geht. Zumal sehr reizvoll klingt, was immer mehr Technologieanbieter an neuen Möglichkeiten zur Liveanalyse der Customer Journey und Optimierung der Budgetallokationen in Echtzeit bieten. Gerade, wenn es z. B., wie beim Zukunftsfeld Bewegtbild, um die Wechselwirkungen zwischen den beiden Medien bzw. Mediamixkanälen TV und Internet geht.
Tatsächlich bietet die nächste Entwicklungsstufe der budgetären Gewichtung der Werbekanäle bzw. -kontaktpunkte entsprechend ihres Beitrags zur Konversion zahlreiche Chancen, Werbebudgets nachhaltig zu optimieren. Aber die softwarebasierte automatisierte und sich selbst optimierende Gewichtung birgt auch zahlreiche Herausforderungen.
Statische Standardattributionsmodelle und ihre natürlichen Grenzen
In der Praxis nutzt nach wie vor der überwältigende Teil der Online-Marketeers das Last-Klick-Modell. Eine wachsende Anzahl an Marketeers arbeitet aber mittlerweile verstärkt auch mit statischen Attributionsmodellen, jedoch sind diese klar in der Minderheit. Das hat einen guten Grund: Eine möglichst realitätsnahe, ganzheitliche Erfassung und Abbildung der tatsächlichen Customer Journeys so unterschiedlicher Zielgruppen wie Bestandskunden, Neukunden und Prospects in einem Attributionsmodell und die entsprechende monetäre Gewichtung der Kanäle und Kontaktpunkte ist relativ komplex und setzt vor allem eines voraus: umfassende Daten. Das betrifft vor allem auch die Integration von Offline-Touchpoints wie Flyer, TV oder Telefon (Callcenter), für die digitale Verknüpfungen geschaffen werden müssen.
An welchem Punkt im Sales Funnel (Kaufentscheidungsprozess) welcher Kanal bzw. Kontaktpunkt relevant ist. – Wo entstand der Erstkontakt? Welche Kanäle/ Touchpoints haben den Nutzer in seiner Kaufentscheidung wie weiter unterstützt? Wo ist letztlich die Konversion erfolgt? – Und wie die Konversionsrelevanz der einzelnen Kontaktpunkte bewertet und zu den anderen gewichtet wird, dafür stehen unterschiedlichste statische Standardverteilungsmodelle zur Verfügung. Je nach Wahl des Attributionsmodells ergeben sich für die einzelnen Kanäle bzw. Touchpoints unterschiedliche Umsatzverteilungen.
Ob linear, U-Modell (auch bekannt als „Badewanne“) oder kundenindividuelle Modelle: Sie alle bieten funnelspezifische Vor- und Nachteile. Ein limitierender Faktor ist dabei allen gleichermaßen gemein: Die Budgetverteilung erfolgt auf Basis starrer Zuteilungsregeln, deren Grundlage Ex-post-Betrachtungen der einzelnen Kanal- bzw. Kontaktpunktbeiträge vergangener Kampagnen sind. Entscheidend für die Aussagefähigkeit des Attributionsmodells und die Güte und Effizienz der Allokationsentscheidung ist hier nicht zuletzt auch das Analysespektrum der zum Einsatz kommenden Tracking- und Attributionstools. Hochwertige Lösungen erlauben inzwischen umfassende Analysen statischer wie auch kundenindividueller (auch dynamischer) Modelle nicht nur auf Kanalebene, sondern bis hinunter auf Keyword- oder Werbemittelebene – teilweise mehrere parallel in einem Web-Interface. Aber auch sie vermögen nicht das Grundproblem der statischen Attribution abzuschaffen: keine Nutzung von Echtzeitdaten zur ganzheitlichen Budgetoptimierung, keine (kurzfristige) Kanal- bzw. Kontaktpunktflexibilität, keine Abbildung und Gewichtung realer Wirkungszusammenhänge sowie keine sinnvolle Bewertung aller anderen Werbemaßnahmen entsprechend ihres tatsächlichen Konversionsbeitrags.
Von der statischen zur dynamischen Attribution: Chancen und Herausforderungen
Abhilfe kann hier das Modell der dynamischen Attribution leisten, das die Möglichkeit einer ganzheitlicheren Analyse und Bewertung sowie Budgetallokation in Echtzeit eröffnet.
Bei diesem für gewöhnlich unternehmensindividuell konzipierten Attributionsmodell wird ein softwarebasierter programmatischer Prozess implementiert, im Rahmen dessen laufend aktuelle Daten – CRM-Daten, Nutzerverhalten, neue Kanäle und Kontaktpunkte, zeitabhängige Einflussfaktoren etc. – in den zugrunde gelegten Attributionsansatz einfließen. Ziel ist eine lückenlose, datengetriebene und nicht annahmebasierte Abbildung der Customer Journey – idealerweise endgeräteübergreifend, was generell zu den größten Herausforderungen von Attributionsmodellen zählt, bei der dynamischen Attribution durch die Echtzeitkomponente und mobilspezifische technische Restriktionen aber noch verschärft wird. Auf dieser Basis erfolgen flexible und an den tatsächlichen, kampagnenaktuellen Konversionsbeiträgen ausgerichtete dynamische Budgetoptimierungen in Echtzeit.
Auch wenn diese datengetriebene Attributionssystematik noch ganz am Anfang ihres Lebenszyklus steht, zeichnen sich schon jetzt zahlreiche Potenziale und Vorteile ab. Zu ihnen zählen u. a., dass die strikte und stringente Nutzerzentrierung die Erweiterung der Customer Journey durch die Erfassung neuer, bislang nicht bekannter bzw. berücksichtigter Kontaktpunkte ermöglicht. Zudem lassen sich mit dem selbstlernenden System anhand von Ähnlichkeitsmustern (statistische Zwillinge) für bestimmte Kundengruppen Prognosen zur optimalen konversionsbasierten Kanalgewichtung generieren und dadurch die Budgets entsprechend anpassen. Insgesamt entsteht eine höhere und vor allem marktnähere Transparenz.
Aber wie jede Medaille hat auch die dynamische Attribution ihre zwei Seiten. Um diese und weitere Potenziale konsequent ausschöpfen zu können, müssen die Modelle regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob die Optimierungen tatsächlich die gewünschten ROI-Steigerungen erzielen. Ihre Reife erlangen hochwertige und kontinuierlich optimierte Systeme, das zeigt die Erfahrung, erst nach ca. zwölf Monaten. Das erfordert teilweise erhebliche Investitionen in Technologien und Lösungen sowie in die Qualifikationen und Skills der betreffenden Mitarbeiter. Und die Ergebnisse, die dynamische Attributionsmodelle liefern, bergen in den werbetreibenden Unternehmen nicht selten „politischen“ Sprengstoff: Kanäle gewinnen und verlieren an Relevanz, oftmals sind quantitative Analysen nicht mehr ausreichend und müssen durch qualitative ergänzt werden. Gerade für Marketing¬verantwortliche – aber auch Publisher –, die performancebasiert entlohnt werden, ist die dynamische Attribution häufig eine Black Box mit schwer kalkulierbaren Erfolgsgrößen. Exakte Kenntnisse über Kosten, aber auch Nettoerträge stellen die Marketeers vor große Herausforderungen. Hinzu kommt, dass eine Steuerung über feste Zielvorgaben kaum mehr möglich ist, hier bedarf es alternativer Steuerungsgrößen. Die gesamte Budgetplanung und -verteilung muss sich der dynamischen Logik anpassen – in letzter Konsequenz kann dies nur noch eine Investitionsobergrenze bei völliger Abkehr von Kanalbudgets bedeuten. Für all diese Folgewirkungen müssen häufig Strukturen und Prozesse in den Unternehmen überarbeitet bzw. neu aufgesetzt werden.
Das alles setzt vor allem eines voraus: Know-how und Expertise sowie Vertrauen in das System und das Prinzip, dass die datengetriebene maschinelle Attribution der erfahrungsbasierten Budget-allokation von Menschhand überlegen ist.
Aber auch hier gilt: Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.
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