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Facebooks Atlas kommt langsam in Schwung

Jens von Rauchhaupt, 23. Juli 2015
sheelamohanchandran-dollarphotoclub.com

Bald ist es ein Jahr her, dass Facebook Ende September 2014 den Launch von Atlas verkündet hat. Viel wurde über den Adserver Atlas geschrieben, viel gemutmaßt. Tatsächlich konnten zu Beginn nur einige der ganz großen Agenturnetzwerke Facebook Atlas testen. Inzwischen kommt Atlas auch in Deutschland langsam in Schwung und öffnet sich auch kleineren Agenturen. Doch noch immer scheint Atlas personell in Deutschland völlig unterbesetzt zu sein. Dabei könnte dieser Adserver den Online-Werbemarkt auch hierzulande massiv beeinflussen.

Im Jahr 2013 hat Facebook den Adserver Atlas von Microsoft gekauft und baute diesen komplett neu auf. Ende 2014 folgte dann der Relaunch und seit Anfang 2015 ist der Adserver auch in Deutschland im Einsatz. Die grundsätzliche Idee hinter Atlas ist, dass man die anonymisierten Facebookdaten der Nutzer für ein
Targeting auch außerhalb von Facebook für Display-Werbung einsetzt. Dabei kommt Atlas inzwischen ohne Cookies aus. Stattdessen nutzt es eine Facebook ID mit anonymisierten Targetingdaten.

In der heutigen Cross-Device-Welt geht es den Agenturen darum, die Nutzer zu identifizieren und die Werbewirkung und den Werbeerfolg im Ganzen messen zu können. Meistens handelt es sich dabei um Nutzerinteraktionziele, die erreicht werden sollen. Sei es Verweildauer auf einer Website oder der Abverkauf eines Mobiltelefons. Das haben die Agenturen und Advertiser bisher mit Cookies gemessen. Allerdings mehr schlecht als recht.

Cookiereichweiten scheinen deutlich überschätzt

Laut einer Untersuchung von Facebook Atlas hätten 74 Prozent der Nutzer mehr als einen Cookie für eine Webseite, 15 Prozent hätten sogar mehr als 10 Exemplare desselben Cookies. Die Folge: Cookiebasierte Erfolgsmessungen der Kampagnen weisen so eine zu hohe Reichweite aus. Wird zum Beispiel eine Reichweite von 11,5 Millionen Kontakten angegeben, wurden in Wirklichkeit nur 10 Millionen Personen erreicht. Über die zu hohe Reichweite entstehen weitere Probleme in der Erfolgsmessung: Die Frequenz ist zu niedrig. Die Impressions pro Person sind in den meisten Fällen höher als das durch Cookies gemessene Ergebnis.

„Cookies sind nicht personengebunden. Die Cross-Device-Nutzung über Büro-PC, Heim-PC, Laptop, Tablet und Smartphone führt dazu, dass ein und derselbe Nutzer mehrere Cookies vom Advertiser erhält. Cookies führen zur Überschätzung von Reichweiten und Unterschätzung von Transaktionen“, sagt auch Nico Shenawai, Geschäftsführer von Performance Media.

Nico Shenawai

Die Hamburger Online-Mediaagentur Performance Media setzt bereits seit Anfang des Jahres Atlas für ausgewählte Kunden ein. Möglich wurde das durch die eng Zusammenarbeit mit Facebook, u. a. auch durch die eigene Ausgründung des Facebook-Spezialists esome, der inzwischen zu dem wohl größten deutschen Ad Spender auf Facebook zählt. „Wir können Atlas inzwischen auf Knopfdruck dazu schalten für jene Kunden, die Atlas nutzen wollen, um geräteübergreifend Transaktionen messen zu können. Hierbei kommunizieren unsere Systeme mit Atlas per API, welches dann parallel zu unserem eigenen Adserver zum Einsatz kommt. Ein detaillierter Datenaustausch zwischen Atlas und unseren Systemen findet im Hintergrund statt“, erläutert Shenawai das Procedere.

Agenturen, die Atlas bereits einsetzen, berichten von einem erheblichen Uplift um bis zu 20 Prozent. „Im Performancebereich messen wir mehr Abverkäufe. Wenn der Nutzer sich im Büro über ein Produkt informiert hat, das er später zu Hause am Laptop kauft, können wir das ihm jetzt zuordnen. Wir können einfach mehr Bestellungen messen, damit sinken die Kosten pro Bestellung“, so Shenawai.

Die Erfahrungen von Shenawai decken sich mit den Messungen von Atlas selbst. Denn eine auf Cookies basierende Erfolgsmessung der Conversions unterschätzen den tatsächlichen Einfluss der Werbeanzeigen: Real werden 15 Prozent mehr Conversions erreicht als dass es reine Cookiemessungen vermuten lassen. Dies liegt laut Atlas zu großen Teilen daran, dass Menschen Anzeigen sehen, aber nicht auf diese klicken. Werbung, die über Atlas ausgespielt wird, kann dieses Manko aufdecken. „Online kommen 80 Prozent der Hotelreservierungen von Menschen, die eine Anzeige zwar gesehen, aber niemals auf diese geklickt haben. Bei einer cookiebasierten Erfolgsmessung kann so ein extremes Missverhältnis zwischen ausgewiesenen und wirklich erreichten Conversions entstehen“, heißt es in einerAtlas-Mitteilung.

Targeting über Cookies zu ungenau

Bei demographischen Zielgruppenkriterien liegt die durchschnittliche Genauigkeit von Cookies für das Geschlecht bei 59 Prozent, bei der Kombination von Alter und Geschlecht sogar nur noch bei 32 Prozent. Das erschwert die genaue Ansprache sowie die Auswertung von Kampagnen, wenn es darum geht, wie viele Menschen innerhalb der Zielgruppe erreicht wurden.

Brian Boland

Atlas wirbt bei Werbetreibenden mit Planungssicherheit: „Bei demographischen Zielgruppenkriterien wie Geschlecht und Alter liegt Atlas durch die Verwendung anonymisierter Facebook-Daten bei einer Genauigkeit von 92 Prozent“, sagt Brian Boland, VP Advertising Technology, Facebook.

Adserverumstellung schreckt Kunden ab

Als Targetingkriterien stehen bei Atlas zurzeit allerdings nur Alter, Geotargeting und Geschlecht zur Verfügung. Und es gibt eine weitere, wichtige Einschränkung: „Bisher kann man nur nach Ausspielung der Werbung in der Nachbetrachtung sehen, welche Nutzer man mit der Werbung erfolgreich angesprochen hat“, berichtet Jan Philipp Wachsmuth, Director Social Media, Display & Affiliation bei der Performance Mediaagentur eprofessional. Die Hamburger Performance-Marketing-Agentur hat seit etwa sechs Wochen die Möglichkeit, Atlas zu nutzen. „Dem ersten Kunden, mit dem wir über die Nutzung von Atlas gesprochen haben, ging das noch nicht weit genug“, berichtet Wachsmuth. Hinzu kommt, dass die Kampagne auf den Atlas-Adserver ausgeliefert werden muss. „Für viele Advertiser ist das eine echte Hürde, denn eine Umstellung auf einen anderen Adserver ist ein beträchtlicher administrativer Aufwand, vor dem viele zurückschrecken, vor allem wenn sie im Vorfeld noch nicht wissen, ob sich dieser Aufwand lohnen wird“, so Wachsmuth.

Deutsche Vermarkter machen mit

Natürlich stellt sich die Frage, ob die deutschen Vermarkter langfristig Kampagnen über Atlas überhaupt zulassen werden. Die Befürchtung, dass Atlas und damit auch Facebook mit Kampagnendaten außerhalb des eigenen Netzwerkes „schlau“ werden, um diese Informationen für die eigene Vermarktung auf Facebook einsetzen könnte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Shenawai ist der Meinung, dass die Vermarkter durch Atlas nichts zu befürchten haben. „Bisher hatten wir keinen Vermarkter, der den Atlas-Adtag nicht zugelassen hätte. Die Werbung wird bei allen großen Vermarktern ausgespielt. Atlas ist Stand heute kein Werbesystem wie AdWords oder eine DSP, sondern ein reines Adserving- und Messsystem, das uns hilft, geräteübergreifend Transaktionen zu messen und zuzuordnen. Dem Vermarkter erwächst aus Atlas kein Nachteil, im Gegenteil: Der dokumentierte Werbeerfolg steigt und damit auch die Zahlungsbereitschaft der Werbetreibenden. Der Unterschied zwischen Atlas und einem anderen Adserver liegt einfach darin, dass wir die Transaktionen über alle Geräte hinweg ohne Cookies messen können. Hierbei sind 15 bis 30 Prozent Uplift für Transaktionskunden einfach ein überzeugendes Argument.“

Noch setzt Performance Media Atlas ganz überwiegend für Performancekampagnen ein. Doch dabei soll es nicht bleiben. „Wir arbeiten aber bereits an einem neuen Modul. Noch ist es in einer Testphase, aber später werden wir mit Atlas auf GRP-Basis Brandingkampagnen optimieren können“, prognostiziert Shenawai.

Shenawai spricht bei Atlas von bisher rudimentären Grundfunktionen. „Atlas ist noch sehr neu und für uns eher ein Trackingtool. Bei komplexen Kampagnen kann Atlas noch gar nicht alles abbilden. Das wird sich in Zukunft sicherlich ändern.“ Langfristig habe Atlas sogar das Zeug, Marktführer zu werden; nicht nur im Adserving, sondern auch im Programmatic Buying, glaubt Shenawai: „Falls Atlas eine DSP auf den Markt bringen sollte und man auf Basis von Facebook-Daten Werbeleistung auf normalen Werbeträgern einkaufen kann, wird sie eine starke Rolle spielen und den Markt sicherlich verändern. Eine Atlas-DSP wäre dann einfach die logische Fortführung dieses Geschäftsmodells.“

Jan Wachsmuth

Auch Wachsmuth glaubt, dass die Vermarkter kaum Einwände gegen Atlas haben, da der klassische Mediaeinkauf für „Atlas-Kampagnen“ noch keine Gefahr birgt. „So wie aktuell für Atlas eingebucht wird, verdienen die Vermarkter ja gut mit.“ Das sieht vielleicht anders aus, wenn Atlas, wie von vielen gemutmaßt, eine DSP-Funktion erhält. „Dann können die Agenturen viel gezielter die Nutzer ansprechen“, glaubt Wachsmuth, der seine positive Erwartungshaltung an Atlas nicht hinter dem Berg halten will: „Atlas ist für alle eine vielversprechende Lösung. Die Cross-Device-Fähigkeit von Atlas, durch die Nutzung der Facebook ID, ist so am Markt absolut einmalig. Wenn Atlas weitere Targetingkriterien hinzufügt und dann noch eine DSP-Plattform dazukommt, werden viele Advertiser Atlas einsetzen.“

Gerüchte zu Atlas :

  • Ein monatliches Einkaufsvolumen von 200 Mio. Ad Impressions sollten es schon sein, um für Atlas als Testkunde geeignet zu erscheinen.
  • Bis Q1 2016 sollen alle Facebook-Targetingkriterien auch über Atlas einsetzbar sein.
  • Es wird erwartet, dass Atlas Mitte 2016 eine DSP-Funktion (Einkaufsplattform) für Programmatic Buying anbietet.

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