Es rumort zwischen den Bewegtbildvermarktern und den Werbetreibenden. Der Grund ist ein Streit um zwei Standards in der Online-Videowerbung. Denn der allgemein verbreitete VAST-Videostandard hat ein Problem. Mit ihm lassen sich in bestimmten Nutzungssituationen die Sichtbarkeit der Videospots nicht richtig messen. Die Advertiser fordern daher, dass die Vermarkter und ihre Publisher andere Maßnahmen ergreifen und beispielsweise die Werbeauslieferung über den VPAID-Standard ermöglichen. Doch dieser wurde dafür gar nicht gemacht und sein Einsatz birgt für den Publisher Risiken.
VAST steht für „Video Adserving Template“ und ist in der Version 2.0 bei nahezu allen Videoplayern der Publisher integriert. Dieser Standard sorgt dafür, dass die InStream-Videowerbung von den 3rd-Party-Adservern der Werbetreibenden fehlerfrei im Videocontent der Publisher ausgeliefert wird. Es gibt zahlreiche Videoplayer, die zum Teil völlig unterschiedlich programmiert sind. Darum ist die Verbreitung von VAST 2.0 der große Vorteil dieses Standards: Egal, wo ausgeliefert wird, die InStream-Werbung funktioniert.
Nur war sie auch sichtbar? VAST bietet die Möglichkeit, verschiedene Messpunkte eines Video-Ads zu messen. Neben der Abrechnung nach tatsächlich gestarteten Video-Plays wird die Durchsichtsrate für ¼, 1/2, ¾ und 1/1 des Werbespots ermittelt. Das reicht aber nicht für den Nachweis der Viewability, also der Sichtbarkeit. So lässt sich über VAST die Sichtbarkeit der Viewable Impression nach der inzwischen international vom US Media Rating Council (MEC) und dem Interactive Advertising Bureau (IAB) anerkannten 50/2-Regel (Hälfte des Werbemittels wurde für zwei Sekunden vom Betrachter gesehen) nicht zweifelsfrei nachweisen. Wenn beispielsweise ein Nutzer das Video abspielt und mit dem Browser außerhalb des Videofensters weiterscrollt oder gar einen Tabwechsel vollzieht, läuft das Video weiter, ohne dass der Nutzer das Video mit dem Spot wirklich sieht.
Jeder Werbeeuro ist in diesem Moment aus Sicht der Advertiser Verschwendung. Ein „No-Go“, wie uns auch Oliver Migge vom unabhängigen Audit- und Marketing-Analytics-Unternehmen ebiquity darlegt. Ebiquity überprüft im Auftrag der Werbekunden die Effizienz von Werbeschaltungen der Mediaagenturen. „Unsere Kunden fordern vor allem Transparenz ein, unabhängig von den technischen Standards. Gerade im hochpreisigen Segment der Bewegtbildwerbung müssen Werbungtreibende mindestens wissen, a) auf welchen Seiten ihre Videos ausgespielt oder ob White Lists eingehalten worden sind und b) ob sie überhaupt sichtbar waren (50%/2-Sekunden-Regel). Derzeit werden häufig Durchsichtsraten als Qualitäts-KPIs herangezogen. Diese helfen natürlich nicht weiter, wenn das Video nicht sichtbar war, wenn die Nutzer bspw. einen zweiten Tab öffnen, um das Video zu umgehen. So treffen Werbungtreibende möglicherweise Budgetentscheidungen auf Basis falscher Annahmen.“ Eine völlig nachvollziehbare Argumentation.
VPAID als Hilfe für Sichtbarkeitsnachweis?
Helfen kann hier der VPAID-Standard. VPAID, also Video Player Ad-Serving Interface Definition, wurde eigentlich entwickelt, damit Advertiser Interaktionen in Pre-Rolls oder anderen InStream-Werbeformen einbauen können. Allerdings nutzen Werbekunden inzwischen VPAID weniger für Interaktionen als zur Messung der Sichtbarkeit und anderer Ad Verification KPIs. „Dafür ist VPAID aber nicht entwickelt worden“, entgegnet Frank Maier, Leiter Admanagement bei IP Deutschland, dem Hausvermarkter der RTL-Gruppe, Maier beschreibt VPAID als relativ alten Standard, den auch IP Deutschland einsetzt, "allerdings nur für die interaktive InStream-Werbemittel und nur mit dafür zertifizierten Partnern.“
Warum Publisher VPAID kaum nutzen wollen, hat einen triftigen Grund. Sie fürchten VPAID wie der Teufel das Weihwasser. Denn über VPAID können Advertiser ein eigenes Skript im Videoplayer des Publishers ausführen. „Es gibt viele Möglichkeiten als Advertiser, auf den Player zuzugreifen und zu beeinflussen. Dann passiert es beispielsweise, dass der gesamte Videocontent nicht geladen wird und der Videoplayer stehen bleibt. Die Folge sind Nutzerbeschwerden“, erläutert Maier von IP Deutschland. Von einem weiteren Missbrauchsszenario berichtete uns ein anerkannter deutscher Admanager, der aber namentlich nicht genannt werden will. „In den USA und Asien ist VPAID weiter verbreitet und wird von vielen Werbekunden dazu missbraucht, längere Spots auszuliefern als eigentlich vereinbart, da wird ein 30-Sekünder schnell zu einem 40-Sekünder.“ Mit VPAID hat der Publisher also ein stückweit die Kontrolle über seinen Videoplayer verloren.
Um Kontrollverlust durch VPAID geht es Maier von IP Deutschland aber nicht. Ihm geht es vor allem um Praktikabilität. „VPAID nicht als Videostandard einzusetzen hat nicht den Grund, dass wir etwas zu verbergen hätten. Vielmehr sind es technische Gründe. Innerhalb der Mediengruppe RTL nutzen wir inzwischen zwar nur noch eine Playertechnologie, doch in unserem gesamten Netzwerk haben wir es mit bis zu 30 verschiedenen Flashplayern zu tun, die alle ein stückweit unterschiedlich programmiert sind. Diese müssten alle gesondert für VPAID angepasst werden.“ Das ist für die Publisher dann eine Kostenfrage: „Die Publisher müssten viel Geld in die Hand nehmen, um ihre Videoplayer für alle Device- und Browser-Variationen VPAID-fähig zu machen“, sagt Maier.
Werbetreibende fordern Standardplayer
Nun ist es nicht so, dass die Werbetreibenden unbedingt nur VPAID favorisieren. Der Punkt ist allerdings, dass VPAID schon jetzt für die Werbekunden eine praktikable Lösung darstellt: „Aktuell lassen sich mittels VPAID diese Fragen aus Kundensicht ausreichend beantworten bzw. messen“, sagt Migge. Doch auch Migge weiß, dass VPAID Nachteile hat. So ist die am weitverbreitetste Version 1.0 gar nicht HTML5-fähig, dennoch ist für Migge VPAID die richtige Wahl der Stunde: „Qualitätsvermarkter müssten die Entwicklung eines verbesserten Videoplayers fördern, da so Unterschiede im Premiumsegment sichtbar werden. Durch die aktuellen Einschränkungen des VPAID-Players in Bezug auf HTML5 reduziert sich die voll messbare Reichweite jedoch auf ca. 70 %. Diese 70 % können aber einen vollen Leistungsnachweis erbringen. Mehr Transparenz in den Videoumfeldern kann durch das richtige KPI-Setting zu effektiver eingesetzten Budgets führen.“ Daher fordert Migge, dass die Vermarkter mehr die Perspektive der Kunden einnehmen sollten. „Die Werbungtreibenden nehmen einen Kontrollverlust ihres Budget bzw. der eingekauften Medialeistung hin. Die Vermarkter bzw. der IAB sind gefordert, einen Standardplayer zu entwickeln, der den Bedürfnissen der Werbungtreibenden voll gerecht wird.“
Auch beim Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e. V. sind die Forderungen der Advertiser angekommen, wie uns Andreas Kühner, Leiter der Unit Ad Technology Standards im OVK, bestätigt. „Um dem Wunsch von Werbungtreibenden und Agenturen nach besseren Sichtbarkeitsnachweisen nachzukommen, arbeitet der OVK stets auch an der Optimierung von Qualitätsstandards zur Auslieferung von InStream-Werbung. Schon heute erfüllen die Vermarkter des OVK wichtige Qualitätsstandards. So stellt etwa der Verzicht von Autoplay sicher, dass Videos durch den Nutzer aktiv gestartet werden müssen.“ Das ist allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, daher sucht man bereits nach besseren Lösungen, doch die Entwicklung eines Standardvideoplayers ist erst in Planung: „In Zusammenarbeit mit den Verbänden des IAB und darauffolgend mit den Videoplayerherstellern streben die Vermarkter des OVK eine Lösung über die Erweiterung des VAST-Standards an. Hier befinden wir uns aktuell noch in der Planungsphase“, sagt Kühner.
Lösungen in der Praxis
Planungsphase klingt also nach viel Zeit, bis ein solcher Standardplayer wirklich etabliert wäre. Daher stellt sich die Frage, was die Vermarkter jetzt schon tun können, um die Sichtbarkeit von InStream-Videowerbung über VAST zu verbessern. Eine Möglichkeit ist, dass das Fenster des Videoplayers automatisch eine solche Größe auf dem Bildschirm einnimmt, dass sich der Content nicht wegscrollen lässt. Allerdings verhindert das nicht die Problematik des Tabbings, also dem Fensterwechsel innerhalb des Browsers. Das weiß auch Maier: „Damit reduzieren wir nur die Gefahr der fehlenden Visibility. Für den Tabwechsel entwickeln wir bei IP Deutschland eine eigene Lösung. Wenn der Nutzer während des Abspielens des Videos in ein anderes Tab wechselt, stoppt das Video und muss durch den User wieder gestartet werden. Zudem lassen wir über unseren Dienstleister regelmäßig Messungen in unserem Videonetzwerk zu, deren Ergebnisse wir dann auch gegenüber den Werbekunden veröffentlichen.“
Allerdings sind das alles Insellösungen einzelner Publisher. Das sieht auch Maier so. Langfristig müsse es eine Gesamtlösung für alle Publisher und Vermarkter geben, auch mit VAST. „Es gibt die Möglichkeit, über VAST ein JavaScript in die Webseite zu laden, diese testen wir auch zurzeit mit einer Mediaagentur. Das Problem ist nur, dass auch hier alle Videoplayer außerhalb der Mediengruppe RTL entsprechend angepasst werden müssen. Sonst könnten wir die Videokampagne des Kunden nicht in unserem gesamten Netzwerk mit diesem JavaScript ausspielen und wir würden an Reichweite verlieren.“
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