Diese Meldung schlug in der letzten Woche ein wie eine Bombe: Mehrere Mobilfunkanbieter arbeiten laut einem Bericht der Financial Times an einer Werbeblockade für Smartphones. Mit diesen Plänen will man vor allem den Platzhirschen Apple, Google oder Facebook an den Geldbeutel. Sie sollen ihre exorbitanten Werbeerlöse teilen. Doch wie denken Digitalexperten über eine solche Werbeblockade?
Florian Gmeinwieser, Head of Mobile Marketing bei der Plan.Net Gruppe glaubt nicht, dass es die Telekommunikationsunternehmen ernst meinen: „Ich halte das eher für einen PR-Gag und glaube nicht, dass die Mobilfunkanbieter diese Drohung in die Tat umsetzen. Ich habe mich auch mit einigen Kollegen aus der Branche dazu ausgetauscht und auch sie sind dieser Meinung. Vielmehr ist das der verzweifelte Versuch der Anbieter, an der Wertschöpfungskette doch noch teilhaben zu können, nachdem sie jahrelang alle Innovationen, wie etwa die Potenziale von App Stores und echte mobile Payment Angebote, verschlafen haben. Die Mobilfunkanbieter haben in den vergangenen Jahren ja schon ein paar Mal versucht, Dinge durchzuziehen, die Apple und Google nicht gefallen haben. Und die Konsequenz war, dass diese beiden die Anbieter dann einfach umgangen haben. Als Beispiel sind hier die App Stores zu nennen, die die Mobilfunkanbieter gemeinsam mit Apple und Google entwickeln wollten, aber dann nicht kompromissbereit waren. Die Folge: Apple und Google haben heute ihre eigenen App Stores. Und Google arbeitet ja auch schon an einem eigenen Mobilfunk-Netz ...“
Oliver von Wersch, Managing Director G+J Digital Products kommentiert den Vorstoß der Mobilfunkanbieter wie folgt: „Wir sehen in einer möglichen mobilen Adblockade eine problematische Wettbewerbseinschränkung – gerade vor dem Hintergrund des Prinzips der Netzneutralität, nach dem alle Daten gleich behandelt werden müssen. Hinzu kommt, dass sich Mobile Advertising auch einer großen Akzeptanz unter den Mobile Usern erfreut, die diese Form der weiblichen Kommunikation - wenn sie als passend zur jeweiligen Nutzungssituation empfunden wird - durchaus als Bereicherung empfinden. Aus diesen Gründen weisen wir den Vorschlag einer mobilen Adblockade klar zurück.“
Marc Nabinger, Managing Director von der Mediaagentur Carat Deutschland, reagiert nüchtern und pragmatisch: „Vordergründig kann uns diese Entwicklung natürlich nicht gefallen, weil wir damit einen gerade bei jungen Zielgruppen stark an Relevanz gewinnenden Zugang verlieren würden. Nimmt man aber mal die ganze Emotion aus der Diskussion und betrachtet die Sachlage nüchtern, dann sehen wir die Situation derzeit deutlich entspannter. Derzeit gibt es noch gar keine rechtliche Grundlage solche Systeme einzusetzen und selbst wenn es so weit kommen sollte, würde diese Maßnahme nur (mobile) Websites betreffen, nicht aber Apps. Die große Mehrheit des mobilen Traffics wird aber heute über Apps erzielt. Daher wäre die Auswirkung für die Werbetreibenden noch sehr überschaubar und würde uns in der Planung ausreichende Handlungsspielräume lassen. Auf keinen Fall sollten wir das Thema aber ignorieren. In stationären Onlinekampagnen messen wir den Einsatz von Adblockern bereits mit, um hier eine realistisches Bild der erzielten Leistungswerte zu erhalten. Ausserdem sollte uns die große Beliebtheit von Adblockern in bestimmten Zielgruppensegmenten anspornen für diese Zielgruppen relevantere Ansprachen zu realisieren.“
Jörg Schneider, Country Manager vom Cross-Channel-Vermarkter und Mobile-Enabler Undertone, lehnt die Pläne der Mobilfunkanbieter grundsätzlich ab. Zwar sei es verständlich, dass die Telekommunikationsunternehmen, die für die Kosten der Infrastruktur alleine aufkommen müssen, gerade Werberiesen wie Google durch eine solche Blockade an den Verhandlungstisch zwingen wollen. Allerdings sei es wichtig, auch an die kleinen Anbieter von Mobilwerbung zu denken, die sich das mögliche neue System wohl kaum leisten können. Schneider befürchtet, dass diese über kurz oder lang vom Markt verschwinden werden. „Die Folge ist eine noch deutlichere Dominanz von Google und Co. Und dies scheint mir auch Ziel der Übung zu sein. Die Mobilfunkanbieter wollen Geld und sehen eine Chance dies von den Riesen wie Google und Co. zu bekommen. Die tatsächliche Werbe-Ökonomie und ein möglichst fairer Wettbewerb ist nicht von Interesse.“
Den Verbraucher würde das Surfen auf dem Smartphone ohne Werbung sicherlich erst einmal freuen. Bei der Nutzung von stationärem Internet haben sich Ad-Blocker ja bereits etabliert. Allerdings sind, so Schneider weiter, viele Internetangebote erst durch Werbefinanzierung möglich und könnten dann womöglich nicht mehr existieren.
Auch die rechtlichen Aspekte darf man nicht vergessen. Eine Anzeigen-Blockade könnte einen Verstoß gegen das Prinzip der Netzneutralität bedeuten, nachdem alle Daten gleich behandelt werden müssen. Das sieht auch Jörg Schneider so: „Die Mobilfunkanbieter dürfen nicht bestimmen oder beschränken welche Daten oder Angebote die Verbraucher über ihre Netze konsumieren und das beinhaltet auch Werbung.“
Rechtliche Bewertung:
Das Prinzip der Netzneutralität, was besagt das eigentlich in diesem Zusammenhang genau? Sind die Mobilfunkanbieter wirklich daran gebunden? Wir haben dazu Dr. Martin Schirmbacher, Experte für Internetrecht von der Berliner Kanzlei Härting Rechtsanwälte befragt. Seine Stellungnahme mag überraschen. Denn so unmöglich, scheint das Vorhaben der Mobilfunkbetreiber gar nicht zu sein. Eine Werbeblockade ist nicht zwangsläufig unzlässig. Jedenfalls dann nicht, wenn der Nutzer zustimmt.
„Netzneutralität meint den gleichberechtigten Transport aller Inhalte im Netz durch den Netzbetreiber. In Deutschland gibt es den mit „Netzneutralität“ überschriebenen § 41a Telekommunikationsgesetz. Die dort angesprochenen Verordnungen sind jedoch im Entwurfsstadium steckengeblieben. Eine gesetzliche Pflicht zur Netzneutralität gibt es daher in Deutschland derzeit nicht. Der Anbieter muss seine Kunden lediglich auf mögliche Beschränkungen hinweisen. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Netzanbieter aus vertragsrechtlicher Sicht überhaupt Eingriffe in den Inhalt der aufgerufenen Seiten vornehmen dürfen. Wer einen Zugang zum Internet bezahlt, hat grundsätzlich einen Anspruch auf ungefilterte Durchleitung aller Inhalte. Hier kommt es letztlich auf die Leistungsbeschreibungen und AGB der Anbieter an. Im Übrigen stellt sich bei den Netzbetreibern eine ähnliche Frage wie in dem Verfahren um den Werbeblocker AdBlock Plus. (Urt. v. 21.04.2015, Az.: 416 HK O 159/14) Hier hat das Landgericht Hamburg kürzlich zu Gunsten des Softwareanbieters entschieden und die Blockade von Werbung – mit Einverständnis des Nutzers – für zulässig erachtet. Die deutschen Pläne für eine Netzneutralitätsverordnung sind zunächst in der Schublade verschwunden. Der deutsche Gesetzgeber wartet vielmehr ab, was sich derzeit auf europäischer Ebene tut. Es liegt nämlich ein Entwurf der EU-Kommission für eine EU-weit gültige Verordnung vor die womöglich noch in diesem Jahr in Kraft treten soll. Hier ist allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen. Nach diesem Entwurf dürfen Internetanbieter von wenigen Ausnahmen abgesehen, Inhalte weder blockieren noch verlangsamen, verschlechtern oder diskriminieren. Wenn Mobilfunkunternehmen unliebsamen Datenverkehr ausbremsen, wäre dies in der Tat ein Verstoß gegen den Grundsatz der Netzneutralität. Allerdings darf der Empfänger über sein Recht auf Netzneutralität selbst bestimmen. Ein Ausschluss bestimmter Werbung gegen zusätzliches Entgelt wäre damit nicht per se unzulässig.“