Omnichannel gilt als smarter Kleber zwischen lokalem Ladengeschäft und E-Shop. Er ist Sales-Beflügeler und Kundenbinder. Entweder dient ein schlaues Terminal als Regalverlängerung („Showrooming“) oder er fungiert als Helfer und Berater, um den Stationärkunden mit der Online-Welt zu verknüpfen. In manchen Fällen übernimmt sogar das kundeneigene Smartphone diese Funktion. Aber: Nicht jede Technologie funktioniert bei jeder Zielgruppe gleich gut. Mitunter schießt Feature-Verliebtheit sogar am Ziel vorbei, überfordert Kunden und lenkt vom Kaufprozess ab. Da braucht es schon eine ausgeklügelte digitale Strategie, um den Local Commerce zu beflügeln.
„Wir können Stationärgeschäfte so nutzen, dass sie der DNA des E-Commerce entgegenkommen“, ist Dr. Oliver Breiden vom Program Office der Metro Properties aus der Metro Group überzeugt. Der Mann muss es wissen. Sein Unternehmen hat mit eBay im Oktober 2014 als Experimentierfeld den physischen „Inspiration Store“ aus der Taufe gehoben. Dort testeten die Partner, wie Omnichannel-„Klebstoffe“ die Online- und die Kohlenstoffwelt verleimen:mit virtuellen Regalverlängerungen durch digitale Displays und Polytouch-Oberflächen. Mit kundenfreundlichen Bezahl- und Check-out-Möglichkeiten. Und mit praktikablen Logistiklösungen wie Click & Collect (Kombination aus Bestandsanfrage und Abholen in der Filiale) oder taggleicher Lieferung. Die eingesetzte Technik zwischen Kunde und Produkt gilt es genau abzuwägen: „Im stationären Raum müssen Sie in bestechend einfacher Weise Ihre Produkte inszenieren. Da wird es nicht immer besser, wenn Sie ein Gerät dazwischenschalten“, warnt Breiden.
Dennoch sollte sich der Handel mit den ideenreichen Lösungen der Handelssoftware-Industrie kritisch befassen: Da experimentiert die SAP-Tochter hybris mit interaktiven Weinregalen („Der Weißwein XY matcht zu 84 Prozent mit meinen Kriterien“). Oxid eSales in Freiburg hat gerade eine clevere Polytouch-Theke vorgestellt. Dort können Nutzer Mobilfunktarife und Handys per Wischgeste zusammenbringen und so auf einen Blick erfassen, was sie die Kombination monatlich kosten wird. Oder: Fashionistas lassen sich in Mister-Spex-Manier per Augmented Reality (AR) Brillen auf die Nase zaubern. Phizzard in Berlin inszeniert Umkleidekabinen mit Empfehlungsalgorithmen („Zu dieser Hose passt Bluse XY“, zeigt dann ein an die Shop-Systeme angeschlossenes Tablet hinter dem Vorhang an). Unterdessen lässt Sphere.io Datenbrillen per AR zum Shopping-Berater mutieren („Glass, start shopping!“). Doch umfassen solche Zukunftswerkzeuge nicht gerade die Überforderung, vor der Breiden warnt?
Tools wie Facebook-Counter, an denen sich Kunden mit ihrem sozialen Profil einloggen und die sogar einen virtuellen Gutschein ausspucken, „sind für junge Early Adopters wunderbar geeignet“, skizziert Dominik Haupt, Chef der Münchner Multichannel-Commerce-Agentur norisk. Allerdings sollten die dazugehörigen strategischen Überlegungen keinesfalls featurebasiert ausfallen, sondern den Mehrwert nach Zielgruppe betrachten. Zwar befriedigten Etikettenscanner, NFC-Leser, virtuelles Schminke-aufgetragen per Augmented Reality und sonstigen Schikanen den Spieltrieb. Doch vor allem die Zielgruppe 50+ tue sich noch immer schwer damit. Da setzt die Local-Commerce-Offensive des Münchner Marienplatz-Kleeblatts von Bettenrid, Lodenfrey, Ludwig Beck und Sporthaus Schuster an. Deren E-Commerce-Chefs diskutierten auf der just gelaufenen Internet World darüber, wie sie ihre Multichannel-Zukunft aufbauen.
„Mobile First ist für mich Smartphone First“
Weil sein Unternehmen nicht nur 21-jährige Kunden bedient, „darf die emotionale Kaufentscheidung nicht durch komplizierte Prozesse in den Hintergrund treten“, erklärt Fabian Goehler, Geschäftsführer der Online-Sparte des Beauty-Kaufhauses Ludwig Beck am Münchner Marienplatz. Die virtualisierte Kohlenstofftheke hat also nur dort digitale Kraft, wo dies auch Nutzen stiftet. Hinzu kommt: Reife Kunden nutzen, wenn es schon technische Helfer zwischen On- und Offline-Welt gibt, am liebsten ihr Smartphone. Ludwig Beck hat das antizipiert. Nicht nur, weil der Online-Shop längst responsive und damit gefälliger über verschiedene Devices zu bedienen ist. Da die stationäre Flächeneffizienz und die verfügbare Brick-and-Mortar-Fläche ausgereizt seien, bieten die Münchner online ausschließlich ihr besonders exquisites Kosmetiksegment mit hohem Alleinstellungsgrad. Die Zielgruppe ist überregional zu finden. Im Vorjahresvergleich seien die Umsatzzuwächse über das Smartphone um plus 135 Prozent „durch die Decke gegangen“, berichtet Goehler. Diese Entwicklung macht er vor allem an wachsenden Displaygrößen und stabileren Verbindungen fest und resümiert: „Mobile First ist für mich Smartphone First.“
Welche Mobile-Szenarien sind in diesem Zusammenhang produktiv? – Ein Negativbeispiel bilden Beacons: „Unsere Kunden sind dermaßen mit ihrem Smartphone verheiratet, dass wir in diese sensible Beziehung keine Nachricht hineinpushen wollen – selbst wenn der Kunde freiwillig eine App installiert“, berichtet Ralf Mager, Gesamtverantwortlicher E-Commerce beim Modehändler Lodenfrey. Sein Team habe das Beacon-Szenario durchgespielt und verworfen. „Der Mehrwert ist überschaubar“, resümiert Mager. Das Positivbeispiel Free Wi-Fi wirkt dagegen unspektakulär: Freies WLAN auf der Fläche erhöht indes die Verweildauer der Kunden, trägt aber neben Zusatzverkäufen offenbar so manches Double-opt-in für Online-Werbung ein.
Für die breite Masse der City-Shopper dürfte sich derzeit die Bestandsabfrage Click bzw. Reserve & Collect als ausgemacht praktisch erweisen – also eine lokale Bestandsabfrage via Internet, gegebenenfalls eine Reservierung des Lieblingsteils in der Wunschfiliale und das Abholen vor Ort. „Multichannel lohnt sich, wenn man griffige Kanalverknüpfungen schafft“, begründet Peter Schön, Leiter E-Commerce bei Schuster. Dessen Unternehmen wird nach dem anstehenden E-Shop-Relaunch einschlägige Services anbieten. Griffig heißt für alle Marienplatz-Mitstreiter: „Kann der Kunde beispielsweise an der Kasse mit dem gelernten Zahlungsmittel wie Paypal bezahlen, stiftet das Nutzen“, bringt es Mager auf den Punkt.
„Ohne vorhandene Software in die Tonne zu hauen“
Leider hemmt der Aufwand die Stationärdigitalisierung immer wieder: „Unsere größte Herausforderung als Händler mit Wurzel im lokalen Handel ist es, Lösungen für das klassische Stationärgeschäft an unsere bestehenden Systeme wie Warenwirtschaft, Online-Shop und CRM-System anzuschließen – ohne die vorhandene Software in die Tonne hauen zu müssen“, betont Christiane Hoss-Nurminen, E-Commerce-Leiterin beim Münchner Traditionshaus Bettenrid. Erst dank erfolgreicher Systemintegration werden virtuelle Regalverlängerungen
mit Showrooming möglich. Und eben das, was die Vollnerds an praxistauglichen und eben kundenfreundlichen Cross-Channel-Lösungen künftig ersinnen werden.
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