Auf der diesjährigen TRACKS Conference in Hamburg wurde deutlich, dass Cross Device Tracking nach wie vor eine große Herausforderung für das Online-Marketing ist. Auch die fortschreitende Automatisierung durch Echtzeit-Tracking und Real-Time Advertising stellt die Organisationen vor Probleme.
Let´s be honest. So eröffnete James Collier die TRACKS Conference 2014 in der ehrwürdigen Bucerius Law School zu Hamburg. Let´s be honest. Und damit meinte Collier, dass die Versprechungen der Marketingbranche, man könne in Echtzeit eine Customer Journey abbilden, die auch den Wechsel zwischen verschiedenen Endgeräten und gar noch die analoge Werbewelt berücksichtigt, bislang kaum eingehalten würden. Zu viele technische, aber vor allem auch strukturelle Probleme macht Collier innerhalb der Prozesse aus, die das detaillierte Echtzeitabbild verhindern.
Die Branche rechnet sich die Werbewirkung schön
Das Tracking von Devices ist seiner Ansicht nach eine Sackgasse. So erzeugen gemeinsam genutzte Endgeräte – etwa das Familien-iPad – oder die Parallelnutzung von Bildschirmen signifikante Verzerrungen in den Messergebnissen. Die Branche rechnet sich die Werbewirkung schön, aber der Controller sieht diese nicht im Unternehmensergebnis. Collier wirbt folglich für die möglichst frühe Identifikation von Nutzern. Freilich nicht ganz uneigennützig, denn seine Firma AdTruth macht genau das.
Die mahnenden Worte von James Collier blieben nicht der einzige kritische Ton auf der TRACKS Conference. In mehreren Vorträgen wurde deutlich, dass nicht nur technische Probleme ein effizientes Targeting verhindern können, sondern dass auch viele Organisationen und Marketingabteilungen nicht darauf vorbereitet sind, die Echtzeitdaten in einer Customer Journey abzubilden und live damit die Budgets zu optimieren.
Die GfK hat mit dem neuen Messformat Cross Media Link einen panelbasierten Ansatz, der zur quantitativen Messung vor allem von Kreuzeffekten zwischen Kanälen dienen kann. Kurz gesagt: Wie viel Online-Werbung nimmt ein Nutzer war, der parallel zur Tabletnutzung auch noch fernsieht? Florian Renz stellte dar, dass der Cross Media Link eine Weiterentwicklung des bekannten Media Efficiency Panels ist. Als Ex-Post-Werkzeug sei es vor allem zur Analyse der Werbewirkung geeignet.
Mit Spannung wurde der Auftritt von Oliver Busch, dem Head of Agency bei Facebook, erwartet. Auch Busch vertrat den Ansatz „People over Pixel“ und stellte die hohe Datenqualität bei Facebook dank Single-Sign-on in den Mittelpunkt. In einem kurzen Seitenblick beschrieb Busch auch die Entwicklung von Atlas, dem Display-Werbesystem für Drittseiten. Das erste Anwendungsszenario ist natürlich Retargeting.
Nach Busch betrat Dirk Maurer die Bühne und stellte für die AGOF deren neue Planungsdaten, die Digital Facts, vor. Maurer deutete an, dass in der aktuellen Betaphase durchaus noch nicht alle technischen Herausforderungen gelöst sein, um vor allem Doppelzählungen zu vermeiden. Und er forderte Facebook dazu auf, der AGOF beizutreten, um Vergleichbarkeit auf dem Markt herzustellen.
Busch und Maurer waren auch Teilnehmer auf der anschließenden Podiumsdiskussion. Die Hauptrollen aber spielten Kerstin Clessienne von HAVAS und Frank Vogel von Gruner und Jahr Media Sales. Clessienne bedauerte es zutiefst, dass Premiumpublisher ihr nicht mehr Inventar für den programmatischen Einkauf zur Verfügung stellen. Aus ihrer Sicht hinken sowohl die deutschen Medienhäuser als auch die AGOF dem Markt hinterher.
Nach der ersten Pause widmeten sich die Speaker verstärkt Detailthemen und passenden Lösungen. Den Anfang machte Marco Kersch von AZ Direkt. Er stellt in den Mittelpunkt, dass die Idee der dynamischen Attribution verlangt, dass Rückkanäle verfügbar sind, die die Werbewirkung, aber auch Veränderungen im Nutzerverhalten in Echtzeit in die Steuerung einfließen lassen. Dann, so Kersch, kommt man von reaktivem Marketing zu aktivem Customer-Journey-Management.
Jochen Schlosser von uniquedigital konzentrierte sich auf die Qualität der Daten. Reine Online-Lösungen funktionieren aus seiner Sicht nicht, da es zu viele Karteileichen und Fake-Accounts gibt. Seine Lösung sieht die Anbindung der CRM-Daten des Kunden vor. Die Daten sind da, man muss sie nur nutzen, so sein Credo.
Die folgenden beiden Vorträge widmeten sich der Wirkung von TV-Spots. Michael Paluskiewicz von wywy beleuchtete die Werbewirkung von Online-Kampagnen, die mit TV-Spots synchronisiert werden. Zu diesem Zweck analysiert wywy das TV-Signal mit einem eigenen Trackingsystem und spielt dann – zum Beispiel auf der Homepage des Werbungtreibenden – zum Spot passende Elemente aus.
Martina Vollbehr von der Hamburger Agentur Pilot richtete den Fokus auf die Kreuzeffekte zwischen TV und Google. Tagsüber werde mehr in Richtung Transaktion gesucht. Abends seien die User eher in „Branding-Laune“.
Nach der Mittagspause zeigten Thomas Bindl und Joachim Schneidmadl eine Toolkombination, die von der reaktiven Mediasteuerung zu einer aktiven Beeinflussung der Customer Journey kommen soll. Die entscheidende Messgröße ist dabei die errechnete Kaufwahrscheinlichkeit. Ist diese sehr gering, lohnt eventuell zusätzlicher Mediaeinsatz kaum, ist sie extrem hoch, verpufft er ebenso. Es gilt also herauszufinden, an welchem Touchpoint eine Erhöhung des Werbedrucks wirklich Sinn ergibt.
Claus Welther und Joachim Sonntag legten im Folgenden das Hauptaugenmerk auf falsche Messgrößen und KPI. Wer den gesamten Marketingmix profitabel gestalten will, muss hinter jede Maßnahme eine Gewinnbetrachtung legen. Selbst langfristig ausgerichtete Methoden wie Social Media funktionieren nur effektiv, wenn das Unternehmen weiß, ob es sich unterm Strich rechnet. Claus Welther benutzt für die Bewertung eine Form der Balanced Scorecard.
Danach war Ron Warncke der erste Speaker, der auch die kreative Seite der Werbung betrachtete. Es genüge keineswegs, nur um die Bedeutung der einzelnen Berührungspunkte mit dem Kunden zu wissen. Man muss auch seiner werblichen Geschichte einen Spannungsbogen verleihen, der sich daran orientiert. Warncke zeigt im Beispiel zwei unterschiedliche Automobilkampagnen, die verschiedene Zielgruppen dezidiert anders ansprechen, und zwar über die gesamte Customer Journey hinweg.
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es vor allem um den Entwicklungsstand der Technologien sowie um Veränderungen in der Agenturlandschaft, die die neuen Technologien hervorrufen würden. Tobias Wegmann, Vorsitzender der BVDW-Fachgruppe Targeting, legte erneut den Finger in die Wunde zum Thema Datenqualität. Die Kombination von Echtzeittracking und Real-Time Advertising sei wie gemacht dazu, um den Werbungtreibenden schlechte Platzierungen unterzujubeln. Wegmann sieht hier noch hohen Aufklärungsbedarf, sonst werden die Werber nicht schnell auf den Zug aufspringen. Alle drei Panelisten waren sich einig, dass die Rolle der Mediaagentur sich deutlich wandeln wird. Qualitätssicherung und strategische Beratung stehen künftig im Fokus, wenn mehr und mehr Budget in den automatisierten Einkauf wandert.
Die letzte Session des Tages bildeten drei Vorträge, die auch gleichzeitig als Ausblick für die Hausaufgaben der Branche in den nächsten Monaten verstanden werden können. Murat Cavus von Quisma machte deutlich, dass standardisierte Attributionsmodelle nur eine temporäre Lösung sein können. Jeder Werbungtreibende benötigt sein individuelles Modell, und dabei stellt sich die Frage, wie kommt das gesammelte Know-how aus der Kampagnenoptimierung eigentlich wieder auf die strategische Ebene ins Unternehmen zurück.
Mathias Postel von iCompetence erzählte dem Publikum eindrucksvoll, dass es keineswegs einfach sei, heterogene Datensätze für die gemeinsame Verwendung aufzubereiten. Seine Kunden – die vor allem aus der Touristik stammen – verfügen über unterschiedlichste Systeme, die nur bedingt miteinander kompatibel sind. Proprietäre Branchensoftware, etwa bei den Reservierungssystemen, tut ihr Übriges dazu.
Und zuletzt öffnete Sascha Berlik von DataXu eine ganz neue Diskussionsebene. Wie nimmt man die kreative Seite mit in die Automatisierungsära? Wie kann man die erhobenen Daten auch für die Optimierung der Werbemittel selbst und nicht nur deren Platzierung nutzen?
Am Beispiel eines Outdooranbieters zeigte Berlik, welche Erfolge man erzielt habe, als man das Aufmachermotiv veränderte, je nachdem, ob beim Nutzer draußen gerade die Sonne scheint oder der Regen prasselt. Und das seien nur banale Wetterdaten. Von Big Data ist man da noch Lichtjahre entfernt.
Berliks inspirierender und streitbarer Vortrag lieferte die perfekte Vorlage für mitunter hitzige Diskussionen, die in der Rotunde der Bucerius Law School noch bis tief in die Nacht geführt wurden. Die rund 300 Teilnehmer waren sich unterm Strich ziemlich einig, dass man sich nächstes Jahr wieder treffen muss. Es gibt zu viel zu diskutieren.