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PERFORMANCE - Online-Marketing

Mehr Schein als Sein in der KPI-Flut

Benjamin Birkner, 20. November 2014

CTR, COV, CPX, Visibility, digitaler GRP – mit jedem neuen Key Performance Indicator (KPI) werden Kampagnenmessungen detaillierter und brillanter. Doch ist detaillierter immer auch besser? Benjamin Birkner, Head of Business Development bei Die Onlinefabrik, zeigt die Möglichkeiten und Grenzen gängiger Messverfahren und diskutiert, warum künftig kundenspezifische KPI entwickelt werden sollten.

Das Online-Marketing schritt schon immer in geradezu futuristisch anmutender Technikgläubigkeit der Automatisierung der Gesellschaft voran. Entgegen aller hitzig, aber stets nur kurzzeitig geführten Debatten über Adblocker, Wirksamkeit oder Reaktanzen geht die Branche stets davon aus, dass alles mess- und damit belegbar ist. Die erste, komplett digital sozialisierte User-Generation Z verspricht zudem, mit Smart Watches, Bio-Apps und sogar Körpersensoren der ideale Datenlieferant zu werden. Die Online-Branche rüstet auf und möchte die Datenmengen bewert- und über Mediengrenzen hinweg verknüpfbar machen. Und doch: Bei den relevanten Nettowerbeeinnahmen Anfang 2014 lag Online dem Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft zufolge nur auf Platz 5, hinter den darbenden Tageszeitungen und Publikumszeitschriften. Die Gründe sind vielfältig, ein wesentliches Hemmnis jedoch ist die mit steigenden Daten und Techniken zunehmende Selbstbezüglichkeit des Kosmos Online-Marketing.

Online-KPI sind für Unternehmen nicht rückbindbar

Die Selbstbezüglichkeit vieler Messpunkte resultiert aus einem Geburtsmakel: Sie existieren nicht, weil sie auf einen konkreten Bedarf hin konzipiert wurden, sondern weil es technisch möglich ist, sie zu erheben. Den KPI wohnt nicht zwangsweise eine allgemein gültige Aussage inne. Viele erhebbare KPI können nach wie vor nicht ohne Weiteres an die klassischen Unternehmens-KPI wie ROI, Gewinn, Umsatz oder sogar Mitarbeiterzufriedenheit rückgebunden werden. Sie sind weitestgehend nicht übergreifend und eindeutig für Marketinganalysen eines Unternehmens nutzbar.

Legitimationskrise ist auch hausgemacht

Reportings zu Online-Kampagnen sind aufgrund der fehlenden Aussagekraft vieler Messgrößen oft ebenfalls hochgradig selbstbezüglich, da sie die Bedürfnisse der Auftraggeber außen vor lassen. Der Umstand zahlt auf die regelmäßig wiederkehrenden Zweifel an der digitalen Werbewirkung mit ein. Auf den entstandenen Legitimationsdruck reagiert die Online-Werbebranche jedoch mit immer mehr Kennzahlen, getreu dem selbst erschaffenen Duktus, dass nur messbare Werbung gute Werbung ist. Zu selten unterscheiden Planer und Kunden, welche KPI lediglich Hilfs-KPI sind, welche KPI sich wechselseitig beeinflussen oder z. B. lediglich korrelieren. Zu selten wird sich die Mühe gemacht, aus der Fülle an Messwerten einen kampagnen- oder gar kundenspezifischen, übergeordneten KPI bei Bedarf auch neu zu entwickeln und zu definieren – einen KPI, der für den Kunden auch über die einzelne Kampagne hinaus einen Mehrwert besitzt.

Beispiel Visibility – Fluch und Segen der Hilfs-KPI

Die Frage nach der Wirksamkeit von Online-Kampagnen beantwortete die Branche in der Vergangenheit unter anderem mit der Messgröße „Visibility“. Zwei Aspekte geben zu denken: Zum einen garantiert die Kennzahl nach IAB-Standard lediglich, dass 50 Prozent der Fläche eines Ads mindestens eine Sekunde sichtbar war. Das ist nicht jedem Werbetreibenden bekannt. Zum anderen besteht keine zwingend kausale Folge zwischen der Sichtbarkeit eines Werbemittels und der jeweiligen gewünschten Wirkung der Kampagne in vom Kunden gemessenen Kategorien wie Brand-Awareness oder Abverkauf. Das heißt konkret: Der Wert der Visibility ist zunächst nicht mehr als ein Hilfs-KPI in der Aussteuerung einer Kampagne, wenn es das Ziel ist, die Klickrate zu steigern – unter der Annahme, dass ein Werbemittel gesehen werden muss, um klickbar zu sein. Die Anzahl der Klicks ist allerdings wiederum nur ein Hilfs-KPI, um die Anzahl der Abschlüsse in Relation zu setzen.

Innerhalb eines längeren Betrachtungszeitraums ist die Messgröße „Abverkauf“ ihrerseits nur ein Hilfs-KPI, der in die Berechnung des Customer Lifetime Value (CLV) einfließt. Die häufig noch unterschätzte Messgröße spielt als Vermögensgegenstand auf Unternehmensseite eine zunehmend wichtige Rolle und beeinflusst wiederum den Wert der gesamten Kundenbasis (Customer Equity).

Interdependenzen sind vorprogrammiert

Die teils mangelhafte Interpretation von KPI zeigt sich in nicht aussagekräftigen Kampagnensetups. Darin werden Steuerungs- und Optimierungsstrategien nicht sauber voneinander getrennt. Wichtig ist, dass die Planer ihren Kunden verständlich machen, dass einige Kennzahlen sogar miteinander im Widerspruch stehen und deshalb nicht gleichzeitig als Messgröße herangezogen werden können. Beispielsweise ist es nicht stimmig, auf Anzeigensichtbarkeit in Brand-Safe-Premiumtiteln zu optimieren, wenn es gleichzeitig das Ziel ist, den eTKP zu senken.

Als Grundregel gilt, dass pro Kampagnenziel immer nur auf ein Event optimiert werden kann. Soll in mehrere Unterziele gesplittet werden, sind verschiedene Strategien notwendig, um ein sauberes A/B-Testing zu gewährleisten. Valide Ergebnisse in Subkampagnen setzen eine ausreichend große Zielgruppe und das zugehörige Budget voraus. An diesen Bedingungen scheitert ein Großteil der Kampagnen in Deutschland, da diese mit Budgets kleiner als 100.000 EUR aufwarten und meist noch regionalen Eingrenzungen unterliegen.

Cross-Channel-Auswertungen sind besonders zu hinterfragen

Das Problem potenziert sich, wenn innerhalb einer Kampagne mehrere Kanäle und damit weitere Interdependenzen ins Spiel kommen. Die Auswertung der Customer Journey und somit der Cross-Channel-Effekte macht theoretisch einen dynamischen und damit effizienten Budgeteinsatz möglich. Praktisch gilt das jedoch nur, wenn ein einheitlicher, übergreifender KPI geschaffen wurde und Korrelationen korrekt gedeutet und gewichtet werden. Die nächste Herausforderung wartet dann bereits mit der Integration der Offline-Kanäle, um ein möglichst vollständiges Bild der Einflussfaktoren zu erhalten.

Mediaagenturen müssen sich professionalisieren

Die Arbeit von Mediaplanern und Data Analysts ist geprägt von unterschiedlichsten Arbeitshypothesen, impliziten Annahmen und (Schein-)Korrelationen. Werden Zusammenhänge nicht stets aufs Neue hinterfragt, verliert sich der Blick für das große Ganze. Es ist wird zukünftig eine Hauptaufgabe der Agenturen sein, die relevanten KPI zu selektieren, zu interpretieren sowie zu bewerten und in der Folge zu Unternehmens-KPI ins Verhältnis zu setzen. Dies setzt verständige, fähige Planer voraus, die den digitalen Wandel auch in Bezug auf ihr eigenes Arbeitsfeld vollzogen haben.

Es gilt, seitens der Mediaagenturen das Know-how und die Routinen für interpretierende Beratung auf- und auszubauen, um der eigenen Beratungsaufgabe gerecht zu werden:

  1. Globale Perspektive: Die Branche muss dem Fachkräftemangel geschlossen entgegentreten. Nur so kann auch zukünftig die hochwertige Beratung und Fachkenntnis für individuelle Kampagnen gewährleistet werden.
  2. Mediaagenturen müssen intern sicherstellen, dass Kennzahlen nicht standardisiert nach dem immer gleichen Schema F eingesetzt werden. Hierfür bieten sich Konspirativ- sowie Kontrollwerkzeuge wie beispielsweise das Vier-Augen-Prinzip an.
  3. Es müssen kundespezifische Kennzahlen geschaffen werden, um über eine einzelne Kampagne hinaus Ergebnisse belastbar rückzubinden.
Bild Benjamin Birkner Über den Autor/die Autorin:

Benjamin Birkner ist Head of Business Development der Full-Service Online-Marketing Agentur Die Onlinefabrik. Der 32-Jährige ist Experte und Vordenker sowohl für Konzeption als auch technologische Umsetzung von Branding- und Performancekampagnen und verantwortet die strategische Weiterentwicklung des 2010 gegründeten Unternehmens. In seiner Funktion berät der studierte Politologe Kunden wie Bündnis 90/Die Grünen, die Versicherung AOK Baden-Württemberg, den Deutschen Anwaltverein und Thüringer Energie in allen Fragen des Online-Marketings und Campaignings.

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