Dynamische Attribution: hat die "Badewanne" ausgedient?
Kristina Schreiber, 29. September 2014„Heureka, ich weiß jetzt, WELCHER Teil meines Marketingbudgets wirkt.“ – Zeitgenössische Attributionsmodelle entlang der Customer Journey zeigen genau das: Sie beleuchten die unterschiedlichen Stufen innerhalb des Sales Funnel und welche Maßnahmen der Anstoßkette wie stark dazu beitragen, dass Interessenten zu Kunden werden. Denn erst die dynamische Betrachtung des einzelnen Kunden und seiner Kontaktpunkte mit einer Marke verleihen der Werbewirkungsattribution Schlagkraft. Welche Bewertungsmethoden was bringen und wie sich Unternehmen von primitiven Modellen zu dynamischen Modellen emporhangeln, soll dieser Beitrag erläutern.
„Von Awareness über Pretargeting bis hin zu Remarketing-Kampagnen vergleichen wir, wie viel Budget wir an den verschiedenen Stellen pro neu gewonnenem Kunden investiert haben“, berichtet Viktor Zawadzki, CEO der Berliner Echtzeitmarketer von spree7. Zwar sind die technologischen Anforderungen an die allseits gehypten Customer Journey Analytics bereits gelöst. Fragezeichen machen Marketer aber beim Umgang der an den Kontaktpunkten gewonnenen Informationen und bei deren Gewichtung. Eine echte Herausforderung.
Hockeystick – Modell mit Grenzen
Los geht es oft mit den einfachsten Metriken: Während Last-Click-Modelle das letzte Werbemittel vor dem Kauf entlang der viel zitierten Kundenreise für besonders wichtig erachten (siehe Grafik „linksseitiger Hockeystick“), wertschätzen die spiegelverkehrten Pendants (siehe Grafik „rechtsseitiger Hockeystick“) insbesondere den interessierten Lead. Damit erachtet das First-Click-Modell potenzielle Neukunden und die Kanäle als essenziell, über die die Leads zum ersten Mal mit einer Marke in Kontakt gekommen sind. Diese Form der Attribution hat durchaus Stärken; sie verhindert mittelfristig das Ausbluten der eigenen Kundendatenbank, weil das Modell sein budgetäres Augenmerk auf die Lead-Gewinnung legt. Beide „Hockeyschläger“-Typen bergen aber auch Gefahren: „Das Last-Click-Modell bewertet häufig Retargeting-Maßnahmen und Gutscheine beziehungsweise Affiliates besser als notwendig. Der Fokus auf First Click verhindert unterdessen eine sinnvolle Analyse aller Werbemaßnahmen, die nachfolgend keine Berücksichtigung in der Bewertung finden“, kritisiert Matthias Postel, CEO der Hamburger Digital-Analytiker von iCompetence.
Hockeysticks sind darum allenfalls Ausgangspunkte für eloquentere Marketingattribution. Besser ist es da schon, man bringe die Vorteile beider zusammen. Folgt man Ben Prause, COO der Hamburger Performance-Agentur eprofessional, dann bildet das Resultat, die „statische Badewanne“ als Standardmessmethode, ein Hybrid aus First- und Last-Click-Modell: Die gewichtungstechnisch hochgezogenen Badewannenränder wertschätzen insbesondere den ersten und den letzten Kontakt vor dem Kauf. „Die statische Badewanne steht für einen guten Einstieg, um Wirkungszusammenhänge zu verstehen und sich einem methodisch optimierten Erklärmodell der Customer Journey zu nähern“, erläutert Prause.
Natürlich mit dem Ziel, das Budget bestmöglich auf die verschieden wichtigen Kundenkontaktpunkte aufzuteilen. „Ob sich die Wandungen der Badewanne asymmetrisch verändern, die Wanne selbst breiter oder steiler wird oder ob sich das Attributionsmodell in Ausnahmefällen sogar weiter verformt, steht laut Zawadzki allerdings auf einem anderen Blatt: Wie viel Budget Unternehmen an den verschiedenen Stellen des Sales Funnel pro neu gewonnenen Kunden investieren, hängt von Produkt, Branche und Marketingzielen ab.“
„Auf Wirksamkeit prüfen“
Wählen Marketer die Badewanne als Ausgangsmodell, dann ist die starre Version „allenfalls eine Einstiegsdroge in die Marketingattribution“, betont eprofessional-Manager Prause. „Das Umstellen von Last Click beziehungsweise First Click auf eine statische Badewanne kann nur ein kleiner Schritt auf dem Weg sein, Kundeninteraktionen entlang des Sales Funnel ganzheitlich zu betrachten“, bestätigt Kollege Postel.
Vollendete Attribution gelingt laut Experten erst in einem iterativen, regelbasierten Prozess („dynamische Badewanne“): „Dazu müssen Marketer ständig neue Kanäle integrieren, saisonale Besonderheiten und geändertes Kundenverhalten berücksichtigen. Und sie müssen die dazugehörigen Daten in ihr Erklärmodell der Wirkungszusammenhänge einspeisen und auf Schlagkraft prüfen“, erläutert Prause. So komme mit einer „What if“-Analyse ans Licht, wie sich das ideale Zusammenspiel – etwa von Search und Display – gestalte. Erst wer Interaktions- und CRM-Daten integriere und in kundenindividuelle Modelle gieße, steigere seine Marketingeffizienz im „hohen zweistelligen Prozentbereich“. „Allerdings bergen dynamische Anpassungen auch die Gefahr, sich auf falsche Parameter zu stützen, denn: Andere Gewichtungen schlagen sich auch auf die Performance nieder“, warnt der eprofessional-Manager.
Wer sämtliche Kontaktpunkte bis hin zur Presseerwähnung und dem Point-of-Sale Device-übergreifend und nutzerindividuell verzahnt, „dem gelingt es, die Customer Journey lückenlos abzubilden“, bekräftigt iCompetence-Chef Postel. „Verließen wir uns hingegen nur auf Annahmen und unser Bauchgefühl, würden wir alle Kunden fälschlich über einen Kamm beziehungsweise ein Modell scheren.“ Zufällige Kontakte via TV, Plakat oder Mundpropaganda seien ebenfalls erst im Rahmen eines dynamischen Modells abbildbar. Und noch etwas trennt hier die Kür von der Pflicht, also dynamische von statischen Modellen: In der „Fortgeschrittenenversion“ identifizieren Prognosen – etwa anhand von statistischen Zwillingen – kundenspezifisch Kanäle, die einen schnellen Abschluss beim Kunden X als wahrscheinlich erscheinen lassen. Außerdem machen Echtzeitdatenintegrationen von Lagerbeständen, Lieferzeiten, Stornierungen und Retouren das dynamische Attributionsmodell schlauer.
Endlosschleife: Messmethode definieren, abbilden, optimieren
Aber Achtung: „Die Customer Journey ist überbewertet, wenn sie simulativ und nicht intelligent vorgeht“, warnt Dimitrios Haratsis, Geschäftsführer der Berliner Kampagnencontroller von AdClear. Oft übersähen Marketinganwender, dass Simulationen willkürliche Annahmen seien. Diese ließen sich nur schwer präzisieren und standardisieren. „Simulationen bilden keine Optimierungsgrundlage“, begründet Haratsis. Datengetriebene Attribution sei hingegen ein statistisch fundiertes Verfahren, das den Kaufprozess am besten beschreibe. „Damit gelingt es, Metriken zu definieren, abzubilden und Optimierungsmaßnahmen erfolgreich einzusetzen“, erklärt der AdClear-Manager.
Dynamische Attribution steht und fällt damit, „dass wir uns bei der Kampagnenoptimierung an ein bestimmtes Modell halten, systematisch verbessern und das Modell in regelmäßigen Abständen per Analytics einem Realitäts-Check unterziehen, ob die Optimierung tatsächlich zu einem insgesamt höheren Return-on-Investment für den Advertiser führt“, betont spree7 Chef Zawadzki.
Übersetzer für die Kohlenstoffwelt
Doch wie schnell sehen Werbungtreibende damit Erfolge? „Wer auf ein dynamisches Attributionsmodell umsteigt, ist ab dem ersten Tag schlauer, welcher Teil seines Budgets wirkt“, resümiert Manager Prause. Nach sechs Monaten erhielten Unternehmen ein gutes, nach weiteren sechs ein auch in saisonaler Hinsicht vollständiges Bild. Prause: „Nach 21 Monaten können Sie ein von Mathematikern errechnetes Attributionsmodell als erwachsen bezeichnen.“ Auch wenn der kontinuierliche Verbesserungsprozess nie abgeschlossen sei.
In Zukunft werden sich Unternehmen damit herumschlagen, u. a. Google- und Facebook-Login-Daten – der Reichweite halber – in ihre Attribution einzubeziehen. Und sie werden Übersetzungswege in Daten erarbeiten, damit On- und Offline-Informationen zusammenfließen. Beispiel: Google-Analytics-Daten verschmelzen über die Kundenkarte am Point-of-Sale mit den Informationen aus der Kohlenstoffwelt und machen Attributionsmodelle dadurch schon wieder ein Stück mächtiger.