Daten für mehr Kreativität in der digitalen Kommunikation
Jens von Rauchhaupt, 1. September 2014Advertiser forderten schon immer den effizienten Einsatz ihrer Werbebudgets und Werbung funktioniert dann besonders gut, wenn ihre Botschaft den Nutzer im passenden Moment seines Kaufentscheidungsprozesses anspricht. Das Stichwort User Centric Advertising macht die Runde. Dank der Datensegmentierung, Cookie- bzw. Profile-Matching ist in der digitalen Werbung sehr viel möglich, auch im Bereich der Branding-Kommunikation. Doch was hat man davon, wenn die Werbemittel einer Kampagne hinterherhinken und nicht auf die Datenlage abgestimmt sind? Schlägt bald die Stunde der „kreativen Mediaplanung“ oder sollten die Kampagnenkonzepter einfach „datengetriebener“ denken?
Auf dem Reißbrett mag bereits vieles möglich sein, aber in der Realität sieht es meistens dann doch noch etwas anders aus. Aktuell werden die meisten Werbemittel lediglich im Bereich Retargeting dynamisch an den User angepasst ausgeliefert. Dabei werden passende Produkte eingeblendet, die der Nutzer im Shop gesehen, aber nicht gekauft hat. Es ist also die konkrete Datenlage, die darüber entscheidet, welcher Nutzer welches Creative zu sehen bekommt.
Wirklich kreativ ist das natürlich noch nicht. Tatsächlich lassen sich über das Verhalten des Nutzers weit mehr Schlüsse ziehen als ein konkretes Produktinteresse und die Aussteuerung unterschiedlicher Produktbilder. Für Markus Forster, neuer Geschäftsführer der Performance-Marketing-Agentur Quisma, ist bereits die Analyse und Interpretation gewonnener Daten ein kreativer Prozess: „Daten helfen dabei, mehr über den Kunden bzw. Endkonsumenten zu erfahren. Daher ist nicht nur in der Kampagnenkonzeption selbst, sondern vor allem auch in der Analyse und in der Interpretation von Daten Kreativität gefordert.“
Denn über einzelne Datenpunkte lassen sich auch völlig neue Informationen ableiten. Forster gibt dazu ein Beispiel: „Wenn ein Mann online ein Frauenshampoo kauft, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieser Mann in einer Beziehung lebt.“ Diese Erkenntnis lässt sich dann für weitere Kampagnen des Advertisers zu anderen Produkten oder Dienstleistungen nutzen. „Früher hatte man für eine Kampagne ein starres Bannerset, jetzt geht es immer mehr dahin, durch individuelle Botschaften mit dem Nutzer in Kontakt zu treten. Das Thema Kreation muss sich dahingehend ändern, dass für jedes einzelne Zielgruppensegment eine Vielzahl von Creatives zur Verfügung stehen.“
Für den Marketer resultieren aus der Datennutzung völlig neue Möglichkeiten: „Das große Ziel sollte sein, den Nutzer in seinem eigenen Entscheidungsprozess mit passenden Werbemitteln begleiten zu können. Der Königsweg wäre am Ende eine Kampagnenaussteuerung, bei der man für jeden Nutzer eine eigene Story parat hat.“ Das sollte mit einem Branding-Werbemittel beginnen und immer mehr in Richtung Kaufabschluss gehen. In diesem Zusammenhang ist für Forster die Customer-Journey-Analyse „das Thema, dass alles schlägt“.
Daten werden für die Kampagnenkonzeption unerlässlich
Marketingverantwortliche können also sehr genau auswerten, wie sich einzelne Segmente – etwa Kunden vs. Nichtkunden –, unterschiedliche Demografien oder Psychografien in der Customer Journey verhalten. Auch wenn diese generisch angesprochen wurden. Zudem kann sehr genau festgestellt werden, welche Touchpoints und welche Marketingkanäle für die jeweiligen Zielgruppen wichtig sind, wo sie mit der Marke oder anderen Nutzern interagieren und welche konkreten Inhalte sie konsumieren und teilen.
„Das ist heute die wesentliche Voraussetzung, um strategische Kommunikation zu konzipieren und zu planen“, sagt Kerstin Clessienne, Director Digital Strategy bei Havas Media Digital. Allerdings kommt ihrer Auffassung nach noch eine weitere Ebene hinzu: Echtzeitdaten. Diese rücken immer stärker ins Zentrum der digitalen Kommunikationsstrategien. „Sie sind in Zeiten von Real-Time Advertising ein unerlässlicher Bestandteil der Kommunikationsplanung und Ausgangspunkt für die Kreation. Eine segmentierte Kommunikation ohne diese Daten macht aus unserer Sicht als digitale Mediaplaner keinen Sinn mehr“, sagt die Digitalstrategin.
Eine integrierte Zusammenarbeit zwischen Strategie, Kreation und Media ist für den Erfolg und die Effizienz zukünftiger digitaler Kampagnen unabdingbar. „Nur wenn Unternehmen Daten und moderne Analytics-Methoden nutzen, um tief greifende Erkenntnisse über das Verhalten ihrer Nutzer und Kunden zu erlangen, und diese dann auch konsequent in ihren Kommunikationsstrategien und -planungen integrieren, werden sie künftig erfolgreich sein. Zudem können so große Optimierungspotenziale erkannt und auch genutzt werden, um Kampagnen gegebenenfalls – idealerweise in Echtzeit – auszusteuern“, sagt Clessienne.
Kreative brauchen eigenes digitales Wissen
Simone Ashoff, Gründerin und Betreiberin der Good School in Hamburg und Direktorin der JvM Academy, glaubt daher, dass langfristig Kampagnen- bzw. Werbekonzeption und digitale Mediaplanung enger zusammenarbeiten werden. Ashoff formulierte es in einem Adzine Interview so: „Digitales Wissen in der Kampagnenkonzeption sollte durch die integrierte Zusammenarbeit zwischen den Digitaleinheiten der Agenturen und den klassischen Kreativeinheiten gegeben sein. Aber das integrierte Arbeiten funktioniert nicht immer gleich gut, da die beiden Parteien unterschiedliche Sprachen sprechen und sich dadurch nicht immer einwandfrei verstehen. Insofern ganz essenziell: Die klassischen Kreativen und Berater brauchen eigenes digitales Wissen – mindestens so viel, um mit den Digitalspezialisten in einen funktionierenden Dialog treten zu können.“
Mediaagenturen leisten inzwischen mehr
Die Grenzen zwischen digitaler Mediaplanung und Kreation beginnen damit zunehmend zu verwischen. So übernehmen auch Mediaagenturen zunehmend den Part der Kreation. Davon berichtet zum Beispiel Armin J. Schroeder, Geschäftsführer Crossmedia Digital. „Während wir uns bislang darauf konzentriert haben, sehr engen Austausch mit den Kreativagenturen zu suchen, um Kampagnen zu inszenieren und intelligente Mechaniken zu entwickeln, gehen wir heute eben einen deutlichen Schritt weiter. Nachdem wir in den letzten Jahren Kreativagenturen unterstützt haben, Messtechnologien, Rich-Media-Elemente und passende ‚Call to Action‘-Elemente in die Kreation zu integrieren, wird gerade die Umsetzung des Kreativkonzeptes immer häufiger von uns, der Mediaagentur, geleistet. Dadurch ändert sich weder die Bedeutung, noch die eigentliche Rolle des jeweiligen Partners. Der Austausch findet aber auf einer neuen Ebene statt. Die Mediaagentur wird mit eigener Produktion ausgestattet, die für Kreativagenturen nicht Konkurrenz, sondern, ganz im Gegenteil, notwendiger Partner ist, der die Übersetzung des Kreativkonzeptes in die digitale Welt ermöglicht.“
Wechselseitige Inspiration
Ein weiterer Grund für diese enge Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen liegt auch in den entstehenden Synergien. „Eine Kooperation erschließt viel Potenzial für wechselseitige Inspiration und vorhandene Konsumentendaten und -Insights sowie spezifisches Media-Know-how. Daten erzeugen regelmäßig neue Ideen und Kommunikationsmaßnahmen “, sagt Clessienne. Auf diese Weise könnte das Konsumentenverhalten direkt Einfluss auf die Werbung nehmen oder andersherum Unternehmen unterschiedliche, zielgruppenspezifische Botschaften in der Markenkommunikation gestalten und distribuieren. Mit dem Vorteil, dass sie immer an einem gemeinsamen Leitgedanken orientiert sind. „Wichtig ist aber auch, dass segmentierte Kommunikation nie als beliebige oder automatisierte Kreation verstanden wird. Deshalb sollten auch im Branding Bild und Text an die spezifischen Anforderungen der Kunden und Nutzer angepasst werden. Auch sollten Marken unterschiedliche ‚Call to Action‘-Impulse und Landing-Page-Designs in ihren Strategien einsetzen, um das Potenzial der vorhandenen Consumer Insights in der individualisierten Zielgruppenansprache voll ausschöpfen zu können.“
Keine Kostenexplosion zu befürchen
Einer der Gründe, warum das Thema aber erst jetzt in Deutschland verstärkt auf die Schirme der Entscheider rückt, ist die Furcht vor explodierenden Kreativkosten. Für Clessienne sei das nur ein Mythos. „Die Kosten können oftmals einfach reguliert werden. Im E-Commerce-Bereich etwa mit Teilautomatisierung. Im Branding-Bereich hingegen existieren selten so viele Segmente, dass die Kreation kostenmäßig wirklich explodieren kann.“ Viel wichtiger sei für eine erfolgreiche Kampagnenumsetzung, dass die Advertiser besser verstehen, wie unterschiedlich die Interessenlagen ihrer Zielgruppensegmente sein können. „Unsere Kunden nutzen gesammelte Consumer Insights und Verhaltensdaten heute wesentlich strategischer als noch vor einem oder zwei Jahren. Dies führt dazu, dass zunehmend spezifische Content-Strategien für einzelne Zielgruppen entwickelt werden. Es reicht nicht mehr, segmentspezifische Kreation zu entwickeln, alle Disziplinen müssen gemeinsam segmentspezifisches Engagement und damit Content und digitale Interaktions- und Dialogflächen schaffen“, meint Clessienne.
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