Die fragmentierte Mediennutzung der Konsumenten gepaart mit der Möglichkeit, alles Digitale zu messen, stellt die Agenturen – und hier besonders die vertriebsorientierten Performance-Marketing-Agenturen – vor gewaltigen Aufgaben. Man hat fast den Eindruck, die Technologien treiben die Agenturen vor sich her. Rücken hinter Themen wie Programmatic Buying, Data Management und Customer Journey die klassischen Agentur-Aufgabenstellungen in den Hintergrund?
Affiliate-Marketing, Social-Media-Marketing, E-Mail-Marketing, Display Advertising, Programmatic Buying oder Mobile Apps und Mobile-Advertising, die Liste könnte noch weitergeführt werden; die Konsumenten hinterlassen so viele Spuren und Touchpoints in einer Vielzahl von digitalen Kanälen, die mit Marketingmaßnahmen bedient werden können. Mit der steigenden Zahl der Werbe- bzw. Marketingkanäle wachsen auch die Anforderungen an die tägliche Arbeit der Agenturen. Insbesondere die Performance-Agenturen stehen unter Druck und müssen sich ständig den technologischen Weiterentwicklungen stellen, wenn die digitalen Kontaktpunkte mit den Verbrauchern für eine zielgerichtete Marketingkommunikation beherrschbar bleiben sollen. Jede Auslieferung von Media müssen sie verfolgen und bewerten können. Das ist ihr Schicksal, um gegenüber ihren Kunden effizient zu sein.
Was heißt dies nun für die Zukunft dieser Agenturen? „Ganz klar, in dieser superkomplexen Umgebung werden die besten Agenturen die sein, die hochspezialisiertes Know-how aufgebaut haben, das sie dazu befähigt nutzerbezogen zu planen. Im ‚Dentsu Aegis‘-Netzwerk arbeiten wir unglaublich hart daran, und ich bin ehrlich davon überzeugt, wir tun es richtig gut“, sagt Ben Wood, President Global von der Performance-Marketing-Agentur iProspect, selbstbewusst.
Aber auch anderenorts hat man die Zeichen der Zeit erkannt. Das wurde einem schnell auf der dmexco klar. Viele Agenturen präsentierten sich uns gegenüber dort technisch hochgerüstet. Da wird der Digital Chief zum Pressegespräch gleich von seinem Data-Science-Spezialisten eskortiert, der wiederum einen Head of Programmatic Buying im Schlepptau hat. Die Agenturen haben die Zeichen der Zeit erkannt. Digitales Marketing und Advertising, das ist vor allem die Beherrschung der Technologie.
Die ‘Math’s Men‘ kommen
Ben Wood macht sich aber auch ein wenig Sorgen, dass durch diese Technologisierung die traditionelle Art der Werbung, bestehend aus Marktforschung, Ideengenerierung und vor allem Kreativität, auf der Strecke bleiben könnte; die Werbung also zu einer reinen Wissenschaft wird, wo „nur noch Daten und Algorithmen als Grundlage von Marketingentscheidungen herangezogen werden.“ Und zwar nicht nur zur Zielgruppe und in welchen Kanal investiert werden muss, sondern auch, was kommuniziert werden soll.
„Agenturen züchten derzeit eine Generation von ‘Math‘s Men’ heran, die mit Data-Management-Plattformen und Trading Desks ihre Werbekunden beraten“, sagt Wood. Diese Entwicklung verändert auch die Einstellung der Kunden, die anders als im traditionellen Mediageschäft heute einen schnelleren Erfolg und einen höheren ROI für ihre Investitionen erwarten. „Die hohen Wachstumsraten der digitalen Werbung sind auch den neuen Attributionsmodellen geschuldet, die tief bis zum Ende des Sales-Funnels die Customer Journey messen können. Gleichzeitig macht diese Entwicklung die Industrie darin blind, die Kreativität und damit ‚Die Kunst zu Werben‘ zu verbessern“, sagt Wood. Er verlangt eine Rejustierung und spricht von einem Balanceakt innerhalb der Agenturen zwischen der Arbeit der Math‘s Men und der Mad Men, die für die traditionelle Werbung stehen. „Die effektivsten Agenturen werden in Zukunft die sein, die in ihrer Planung immer beim Verbraucher und seinen Erfahrungen beginnen und gleichzeitig das nötige technologische Rüstzeug mitbringen, um den Verbraucher im richtigen Kontext ansprechen zu können.“
Doch in Wirklichkeit ist die Arbeit der Math‘s Men noch gar nicht so „sophisticated“, wie bisher angenommen. Wood kritisiert die Arbeit der eigenen Zunft: „Viele Retargeting-Kampagnen belästigen die Verbraucher, der Werbedruck läuft häufig außer Kontrolle, Attributionsmodelle sind oft schwerfällig, Universal Data Management und echte Cross-Device-Plattformen sind entfernte Träume, das Silodenken besteht noch immer und Bedenken zur Brand-Safety, Umfeldplanung und Fraud-Protection beschäftigen weiterhin die Display-Werber“, sagt Wood.
Limitierungen beim Kampagnen-Tracking
Insofern besteht auch noch bei den Agenturen eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Insbesondere das Tracking aller Werbemaßnahmen steht daher ganz oben auf ihrer Agenda, wie uns auch Nils Röhrig, COO DACH der GroupM Performance-Marketing-Agentur Quisma erläutert. „Es gehört zu den Kernaufgaben einer Mediaagentur zu überprüfen, dass das, was sie für ihre Kunden einkauft, auch wirklich technisch sauber ausgeliefert wird. Daher haben wir selbstverständlich ein sehr hohes Interesse daran, über entsprechende leistungsstarke Technologien zu verfügen und sie auch selbst zu entwickeln. Deswegen investiert die GroupM Agenturgruppe intensiv in diesem Bereich, um originäre Technologien aus einer Hand anbieten zu können.“
Allerdings bleibt das Cross Device Tracking als nötiger Bestandteil einer vollständigen Customer-Journey-Analyse eine technologische Herausforderung. Auch wenn einige Anbieter auf diesem Gebiet Fortschritte machen, ohne einen echten Single-Sign-on auf Nutzerseite lassen sich etwa Display-Kampagnen noch immer über mobiles und stationäres Web mit einem kanalübergreifenden Frequency Cap aussteuern.
Ein anderes Sorgenkind ist das In-App-Tracking. Da zwei Drittel des mobilen Traffics app-basiert ist, kommt dem In-App-Tracking eine besondere Bedeutung zu. Doch auch hier scheinen die Möglichkeiten der Mediaagenturen eher limitiert. „Anders als im mobilen Web ist eine granulare Optimierung der In-App-Kampagnen kaum möglich“, sagt Röhrig. Aus diesem Grund ist In-App-Tracking auch für die GroupM ein wichtiges und aktuelles Thema. Röhrig berichtet, dass innerhalb der Agenturgruppe darüber nachgedacht werde, eine eigene SDK an die App-Entwickler zu verteilen, die ein durchgehendes In-App-Event-Tracking ermöglichen würde. „Ich glaube aber nicht, dass dieser Ansatz der Weisheit letzter Schluss ist, hier sollten wir anderen Unternehmen mit ihren SDKs die Voraggregation überlassen. Schließlich sind die App-Entwickler kaum darauf erpicht, Dutzende von Fremd-SDKs zu integrieren.“
In den Schwierigkeiten der Messbarkeit von In-App-Kampagnen liegt laut Röhrig einer der Gründe, warum die mobilen Ad-Spendings in Deutschland noch immer verhältnismäßig moderat ausfallen. „Deutsche Werbetreibende konzentrieren sich besonders stark auf die Messbarkeit ihrer werblichen Aktivitäten. Das ist Teil ihrer Mentalität. Solange sie das Gefühl haben, die Kampagnen kaum messen und optimieren zu können, und die Effizienz von In-App-Kampagnen nicht ausreichend belegbar ist, wandert auch weiterhin wenig Geld in diese Richtung, das ist eine simple Medialogik.“
Röhrig kritisiert in diesem Zusammenhang die hohen Ansprüche, die an die digitale Werbung gestellt werden. „Die Messbarkeit in den digitalen Medien ist stark ausgeprägt und hat im Vergleich zu anderen Mediengattungen schon heute ein fast übermäßig arbeits- und kostenintensives Maß erreicht. Kein Mensch macht sich hingegen darüber Gedanken, wie im Vergleich dazu die Reichweitenzahlen im TV-Bereich generiert werden. Das ist weder sach- noch inhaltsgerecht. Diese Diskussion um die Messbarkeit wird doch nur deswegen in dieser Konsequenz geführt, weil die Mehrheit aller digitalen Kampagnen im Unterschied zu TV ein klares Vertriebsziel hat, für das man am Ende die Einkaufskonditionen verbessern will.“
Beratung soll Kerngeschäft sein
Die Beratungsarbeit bleibt ein wichtiger Bestandteil in der täglichen Arbeit der Performance-Agenturen. Sie unterstützen die Advertiser bei ihrer digitalen Transformation. Ein gutes Beispiel ist die Nutzung bestehender Profil- bzw. CRM-Daten des Werbetreibenden. Performance-Agenturen wie Quisma können hier bereits bei der Auswahl von Data-Management-Plattformen helfen, die der Werbekunde besser intern aufbauen sollte. „Unsere Aufgabe hier ist am Anfang schlicht die Auswahl des passenden Dienstleisters. Als Quisma unterstützen wir unsere Kunden bei der Auswahl der richtigen Daten für die Überführung aus ihrem CRM-System in ihre DMP. Das Gros der hypersensiblen Endkundendaten wird dabei in der Regel gar nicht benötigt und entsprechend auch nicht in die DMP migriert. Quisma stellt die Schnittstelle zur Verfügung, um aus der DMP heraus Kampagnen aufzusetzen, auszusteuern und zu optimieren. Wir nutzen also die Daten des Kunden für seine Kampagnen als Managed Service. Das ist sehr beratungsintensiv und das Kernbusiness, das wir in der Zukunft für Quisma sehen“, erläutert Röhrig.
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