Noch immer beschränken sich viele Werbungtreibende auf die Ansprache von Shopaussteigern und Warenkorbabbrechern über Retargeting. Dabei stehen sie vor einer Herausforderung: Irgendwann haben sie alle Shopbesucher erreicht und das zu erzielende Umsatzwachstum ist ausgereizt. Um diese Umsatzbeschränkungen aufzuheben und neue Kunden zu erreichen, etabliert sich gerade eine neue Lösung am Markt, das sogenannte Predictive Targeting.
Vorausgesagt (englisch „to predict“) werden hier potenzielle Neukunden für einen Online-Shop, die mit dem Unternehmen bisher noch nicht in Kontakt standen. Welche Technik steckt hinter der neuen Targeting-Methode? Und welche Möglichkeiten eröffnet sie für Advertiser?
Retargeting stößt an seine Grenzen
Machen wir eine Bestandsaufnahme: Wie generiert ein Online-Shop heute den Großteil seiner Umsätze? Er verpixelt seine Produktseiten und spielt über einen Retargeting-Dienstleister Ads an Warenkorbabbrecher und frühere Besucher aus. Die betroffenen Nutzer sehen in der Folge erneut Produkte und komplementäre Angebote in den Werbemitteln und sollen so zum Kauf bewegt werden. Keine Frage, diese Strategie geht auf: Die typischen KPIs wie CPX und CTR verbessern sich deutlich. Meiner Einschätzung nach macht Retargeting derzeit circa zehn bis zwölf Prozent der Werbeausgaben im deutschen Online-Display-Markt aus. Wir gehen davon aus, dass etwa 60 bis 70 Prozent der Online-Shops auf diese Technologie setzen.
Wer aber nur auf Retargeting setzt, wird auf Dauer nicht alle Umsatzpotenziale ausschöpfen können. Es gilt also, potenzielle Neukunden auf den Shop aufmerksam zu machen und die Interaktion mit der Marke und ihren Produkten zu fördern. Diese Neukundenansprache soll möglichst kosteneffizient sein und geringe Streuverluste aufweisen.
Eine technische Lösung, die das verspricht, ist das sogenannte Predictive Targeting (auch „Pro-Targeting“ oder „Neukunden-Prediction“). Hierbei werden gezielt besonders affine Nutzer angesprochen, die zuvor noch keinen nachweislichen Kontakt zum Webshop oder dem Advertiser hatten. Die Vorhersage basiert nicht etwa auf einer trüben Glaskugel, sondern beruht auf komplexen mathematischen Algorithmen und Know-how.
Vom Profilzwilling zum Neukunden
Zunächst wird bei der Neukunden-Prediction das Nutzungsverhalten der Bestandskunden genau analysiert – auf der Webseite selbst und auf anderen Seiten im Internet – und im Anschluss zu anonymisierten Nutzerprofilen zusammengefasst. In der Folge identifiziert das System User im Internet, die ein ähnliches Profil aufweisen wie die Bestandskunden (sogenannte „Profilzwillinge“ oder „Look-Alikes“). Sie weisen folglich eine höhere Affinität und Kaufwahrscheinlichkeit auf als der durchschnittliche Internetnutzer. Je genauer ein bisheriger Nicht-Kunde zu dem Profil der Bestandskunden passt, desto höher ist das Gebot auf seine Ad Impression via Real-Time Bidding. An dieser Stelle wird klar: Die Nutzeransprache ist auf den ersten Blick nicht kostengünstiger, denn der TKP für die einzelne AI kann dabei je nach Ausrichtung der Kampagne ansteigen. In Summe ist die Kampagne jedoch effizienter, da sie einen zusätzlichen Wertbeitrag zu den Zielen des Advertisers leistet: Denn der Advertiser spielt seine Anzeige an statistisch relevantere Nutzer aus und reduziert so den Streuverlust.
In den meisten Fällen sinkt der CPO im Schnitt um bis zu 45 Prozent. Ein steigender CPO ist dennoch nicht auszuschließen und grundsätzlich auch vertretbar, sobald durch die Ansprache von Neukunden zusätzliche Wiederkäufer mit entsprechendem Customer-Lifetime-Value generiert werden. Die Conversion Rate kann sich nahezu verfünffachen. In den meisten Fällen ist auch eine nicht unerhebliche Umsatzsteigerung zu beobachten. Doch nicht nur im Display-Bereich eröffnet Predictive Targeting neue Kontaktchancen: Auch Video-Views, Newsletter-Anmeldungen sowie weitere Leads können so gezielt stimuliert werden. Prädestiniert ist diese Art der Nutzeransprache aber vor allem für Webshops.
So ist Predictive Targeting erfolgreich
Damit eine Kampagne mit Neukunden-Prediction das hält, was sie verspricht, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein:
* Der Shop muss intelligent verpixelt sein, sodass relevante und vor allem differenzierte Daten geliefert werden: War der Nutzer nur auf der Homepage, hat er sich eine Detailseite angesehen oder hat er sogar ein Produkt in den Warenkorb gelegt? Der Shop muss hierbei nicht zwingend neu verpixelt werden, sofern das bestehende Retargeting-Pixel bereits nach der Tiefe sowie Art des Engagements differenziert.
* Selbstredend erfordern die Profilierung der Nutzerschaft und das Bewerten von Nicht-Nutzern zuverlässige Steuerungsmechanismen und effiziente Algorithmen. Wir empfehlen unseren Kunden, ihren Shop möglichst früh mit Pixeln für Predictive Targeting zu versehen, damit eine solide Datenbasis entsteht, auf welcher der Algorithmus aufbauen und lernen kann. Durch die erhöhte Kampagneneffizienz entstehen signifikante Wettbewerbsvorteile.
* Die dritte Voraussetzung ist eine hohe Reichweite des Werbenetzwerks, in dem die Kampagne ausgespielt wird, denn nur so ist gewährleistet, dass eine ausreichend große Menge an Profilzwillingen gefunden und in Neukunden umgewandelt werden kann.
Trendthema 2015, Marktstandard 2017
Noch ist das Predictive Targeting trotz der vielversprechenden Leistungswerte nicht in der Breite im deutschen Markt angekommen – hier ist wie so oft der US-Markt einige Jahre voraus. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass der Umgang mit Daten in Deutschland deutlich restriktiver ist als in den USA. Um beim Predictive Targeting in Deutschland mit den USA gleichzuziehen und gleichzeitig die Nutzerdaten zu schützen, werden Anbieter nicht mehr Daten sammeln, sondern ihre Technik noch effizienter gestalten.
Meiner Einschätzung nach wird die Gewinnung von Neukunden über Predictive Targeting spätestens nächstes Jahr ein großes Trendthema. 2017 wird sich diese Technik bei Shop-Betreibern neben klassischem Retargeting als Standard etabliert haben – denn wer kann es sich schon leisten, Umsatzpotenziale ungenutzt liegen zu lassen?
Über den Autor:
Als Head of Operations und Mitglied der Geschäftsleitung verantwortet Oliver Zehn die Bereiche Produktentwicklung und Account Management bei adscale. Zuvor war Zehn knapp sieben Jahre bei iCrossing tätig, einer Agentur für digitales Marketing in München. Von 2010 an leitete er dort die Client Services und bekleidete zuletzt den Posten des COO am Standort München.
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