Viewable Ad Impression – der neue Sichtbarkeitsnachweis für Online-Werbung
Jens von Rauchhaupt, 3. Juni 2014Wann gilt eine Ad Impression eigentlich als sichtbar? Der Media Rating Council hat dies in Zusammenarbeit mit dem Interactive Advertising Bureau (IAB) Ende März für den US-Markt festgelegt. Für eine Dauer von mindestens einer Sekunde – bei Instream-Videowerbung sind es zwei Sekunden – müssen mindestens 50 Prozent des Werbemittels im Browserfenster des Nutzers sichtbar gewesen sein; erst dann zählt die aufgerufene Werbung als sichtbare und abrechenbare Ad Impression. Mit dieser 50/1-Regel wird die Sichtbarkeit (Viewability) zu einer Kennzahl in der Online-Mediaplanung, die die Ad Impression erst zu einer harten Währung macht. Auch in Deutschland?
Ob die 50/1-Regel im deutschen Markt 1 zu 1 übernommen und somit auch hierzulande zum Standard erhoben wird, ist derzeit noch völlig unklar. Der Online-Vermarkterkreis (OVK), der den IAB in Deutschland repräsentiert, hält sich zu diesem Thema noch sehr bedeckt. „Der OVK sieht für seine Kommunikation zu diesem Thema einen späteren Zeitpunkt vor“, heißt es von der BVDW-Pressestelle auf unsere Anfrage. Möglicherweise wird der OVK zur dmexco 2014 die Katze aus dem Sack lassen. Schon um dem Markenverband OWM Paroli bieten zu können, der alljährlich zur größten Branchenmesse in Köln mantraartig die Wertigkeit von Online-Werbung anzweifelt.
Unterschiedliche Reaktionen
Die Reaktionen der deutschen Marktteilnehmer auf den neuen US-Standard fallen völlig unterschiedlich aus. „Diese 50/1-Regel ist eine Minimalforderung, die keinen Advertiser zufriedenstellen kann“, sagt zum Beispiel Fritz Stürmer, DACH-Manager von Project Sunblock, einem Toolanbieter für Ad Verification und Brand Safety. Stürmer sieht aber gleichzeitig auch für Deutschland eine „klare Tendenz zur Viewability als Währung“ in der Online-Mediaplanung. „Die Branche rechnet nun einmal nach dem Tausender-Kontaktpreis und nicht nach den 50 Prozent von irgendwas“, sagt Stürmer.
Meetrics Geschäftsführer Phillipp von Hilgers glaubt hingegen an einen großen Wurf der US-Amerikaner und spricht von einem Meilenstein, weil damit der Media Rating Council die Viewable Display Impressions mit der 50/1-Regel als vollwertige Währung offiziell akzeptiert. „Viewable Impressions können damit nun auch im größten Werbemarkt der Welt für die Abrechnung von Display-Werbung herangezogen werden. Es ist deshalb ein Meilenstein, weil über eineinhalb Jahre die Technologie von Anbietern auf dem Prüfstand stand und nun ein Stand erreicht ist, bei dem Abweichungen zwischen den vom MRC akkreditierten Unternehmen nur noch bei 5–10 Prozent liegen und höhere Abweichungen eindeutig auf unterschiedliche Messansätze zurückgeführt werden können“, sagt von Hilgers, dessen Unternehmen Meetrics als unabhängiger Technologieanbieter die Sichtbarkeit für Werbekunden nachweist. Für den Meetrics-Geschäftsführer sind weniger die 50 Prozent der Werbefläche als die Sichtbarkeitsdauer das entscheidende Kriterium: „Aufgrund aller Untersuchungen und auch Studien, die wir mit Partnern wie der United Internet Media oder Agenturen wie Mindshare durchgeführt haben, wissen wir: Die Sichtbarkeitsdauer einer Werbung ist die entscheidende Dimension auf der Wirkebene – unabhängig davon, ob es um überprüfbare Faktoren wie die Werbeerinnerung geht oder die Anzahl der Conversions, die von einer Werbeplatzierung ausgehen.“
50/1 taugt nur als Schwellenwert
Und was sagen die Agenturen? Schließlich ist für die Mediaagenturen die Sichtbarkeit als Währung zur Bewertung von Online-Kontakten seit vielen Jahren eines ihrer Topthemen. Auch sie wollen für ihre Kunden nur das bezahlen, was die Nutzer auch wirklich sehen konnten. „Aus unserer Sicht wäre es eine vorteilhafte Entwicklung, wenn sich Deutschland dieser Definition anschließen und Ad Impressions unterhalb von 50/1 als nicht ausgeliefert betrachten würde, zumal die mit dieser Definition verbundene Akzeptanz ‚anteiliger Sichtbarkeit‘ den Einsatz und die Nutzung großflächiger Werbeformate mit hoher Branding- bzw. Werbewirkung weiterhin sinnvoll ermöglicht“, sagt Sascha Jansen von der Annalect Group, in seiner Funktion als Sprecher des Fachkreises Online-Mediaagenturen (FOMA) im BVDW.
Für Jörg Manthey, Managing Director bei HAVAS Media, Frankfurt, ist die 50/1-Regel aber „der kleinste gemeinsame Nenner“, der weit unter den Möglichkeiten liegt. „Die Kontaktdefinition ist wahrnehmungspsychologisch zumindest bedenklich und hält dem intermedialen Vergleich nicht stand. Wir optimieren intern auf mindestens 70 Prozent bei Kampagnen mit Awareness-Zielen und zeitlich abhängig von der Komplexität der Botschaft.“
Spielraum für den Advertiser
Ein Vorgehen, das von anderen Agenturen ähnlich gehandhabt wird. Die Mediaplanung versteht die 50/1-Regel als Schwellenwert und verlangt eigentlich von den Vermarktern mehr. „Die Definition sollte dabei lediglich eine Mindestanforderung darstellen – wichtig ist, dass es jedem Werbungtreibenden und jeder Agentur weiterhin freigestellt bleibt, individuelle Vereinbarungen mit dem Vermarkter zu treffen, wie es in der Praxis bereits gelebt wird. Die Selbstregulation des Marktes steht hier klar im Vordergrund“, sagt FOMA-Sprecher Jansen. Gegen eine grundsätzliche Standardisierung der Mindestanforderungen zur Sichtbarkeit einer Ad Impressions haben die Mediaagenturen also nichts auszusetzen. Schon weil sie sich an die Anforderungen der Advertiser orientieren müssen. „Aus unserer Sicht machen Definitionen immer Sinn, weil man so eine Basis hat, auf der man die Vergleichbarkeit aufbauen kann. Auch wenn der Advertiser andere Vorstellungen hat, kann so zumindest eine Art Wechselkurs festgelegt werden, an dem sich der Preis orientiert. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass es immer mehr Medien gibt, die nicht mehr mit veralteten KPIs, wie z. B. Klicks, zurechtkommen“, sagt Manthey.
Gleiche Messregeln für alle
Jansen glaubt, dass die US-Regelung nun die Diskussion um die Sichtbarkeit einer Werbeeinblendung in Deutschland als Währung anheizen wird. „Aus Sicht der Online-Mediaagenturen und im Interesse der Kunden ist es grundsätzlich begrüßenswert, wenn die tatsächliche Leistung einer jeden Ad Impression eine angepasste Bewertung erhält. Dies setzt allerdings eine zentrale Bedingung voraus, die für den deutschen Markt zeitnah umgesetzt werden muss: verlässliche Messstandards. 50/1 muss immer dasselbe bedeuten, egal von wem und mit welcher Technik die Messung durchgeführt wurde; leider ist die Realität im Hinblick darauf momentan eine andere. An welcher Stelle am Ende die Sichtbarkeit dann gemessen werden wird, hängt im Wesentlichen von den Ergebnissen der nun anstehenden Definitions- und Standardisierungsarbeit ab. Grundvoraussetzung ist, dass alle beteiligten Parteien nach den gleichen Regeln messen.“
Standardisierung – die Realität in Deutschland ist eine andere
In den USA müssen sich Unternehmen, die eine 50/1-Sichtbarkeitsmessung durchführen, vom Media Rating Council akkreditieren lassen, um so unter den erwähnten 5–10 Prozent Abweichung zu liegen. Doch in Deutschland gibt es keinen MRC, ihm am nächsten käme Online die AGOF, die sich bis jetzt noch nicht mit der Sichtbarkeit von Online-Werbung auseinandergesetzt hat. Da wiegt es umso schwerer, dass es in Deutschland seit jeher umstritten ist, wessen Messungen für den Sichtbarkeitsnachweis sorgen soll. Die Adserveranbieter der Agenturen, Drittanbieter oder eben die Vermarkter? Rasmus Giese, Geschäftsführer United Internet Media GmbH, hat dazu eine klare Vorstellung: „Die Messung muss allein aus technischen Gründen ganz klar beim Vermarkter stattfinden. Gegenstand der Diskussion zwischen Agenturen und Vermarktern kann nur der Werbeplatz sein, den der Vermarkter anbietet und die Agenturen anschließend nutzen. Eine Diskussion über Visibility kann entsprechend nur über den Messkriterien stattfinden, den die Vermarkter auch beeinflussen können. Eine spätere Messung in der Auslieferungskette ist hier nicht zielführend. Was in der Auslieferungskette passiert, liegt schließlich in der Verantwortung der Agenturen – beispielsweise wie groß ist das Ad oder wie schnell ist der Agentur-Adserver“, sagt Giese.
Hendrik Kempfert, Managing Director vom Adserver-Anbieter Adform, sieht hingegen den Agenturadserver als zusätzlichen Nachweisgeber für die Sichtbarkeit. „Wir müssen uns die Frage stellen, warum denn überhaupt Adserver auf der Agenturseite im Einsatz sind. Der Grund ist, dass es vom Werbetreibenden beziehungsweise der Agentur Anforderungen an ein vermarkterübergreifendes Reporting gibt, weil in der Vergangenheit eben nicht immer alle gebuchten Vermarkter eindeutig gemäß Buchungen geliefert haben. Es gilt also der Grundsatz: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Man kann das vergleichen mit der Rechnung im Restaurant, wenn man sein Essen mit der Kreditkarte bezahlt. Sollte man als Kunde einen Kontrollbeleg bekommen, ja oder nein?“ Und so sieht es auch Jörg Manthey von HAVAS Media. Er will den Sichtbarkeitsnachweisbarkeit nicht einer Instanz allein zusprechen. „Die Vermarkter müssen die Infrastruktur schaffen und die Mediaagenturen müssen die Zählung im Ad-Server problemlos aktivieren können. Der Kunde wiederum muss die Möglichkeit haben, dies durch Dritte zu begleiten. Transparenz und Innovation ist hier einfach ein Muss!“
Sichtbarkeit bei Performance Kampagnen? RTA wirft neue Fragen auf
Durch Real-Time-Advertising hat sich die Lage insbesondere bei Kampagnen mit Performance-Zielen verändert. Bisher nahmen die Werbetreibenden bei Performance Kampagnen eine niedrige Sichtbarkeit in Kauf solange das Ergebnis, also die Conversion, stimmte. Doch mit dem dynamischen Mediaeinkauf über Real-Time Bidding wird neuerdings mehr und mehr ein Mid- und Long-Tail Inventar erschlossen. „Die Klicks der Nutzer sind daher so breit gestreut, dass Optimierungen anhand von Klickzahlen statistisch gesehen schwierig werden. Die Fragestellung hat sich daher verlagert“, sagt von Hilgers. „Unter welchen Bedingungen klicken die Nutzer überhaupt auf Werbung? Viewable impressions plus Sichtbarkeitsdauermessungen liefern hier die Antwort und machen Conversions vorsehbar. Viewable Impression plus Sichtbarkeitsdauer ist bei Brandingkampagnen wie auch bei Performance-Kampagnen also gleichermaßen sinnvoll.“
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