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SEARCH MARKETING

Marketing-Automation zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Karsten Zunke, 9. Dezember 2013

Die Automatisierung im Marketing schreitet voran. Schnell und vielfältig. Egal ob semantisch arbeitende Keyword-Tools für SEA, dynamisch generierte Display-Werbemittel oder maschinell gemanagte E-Mail-Kampagnen: In allen Bereichen des Online-Marketings ist Automatisierung ein großes Thema. Kein Wunder, denn die zur Verfügung stehende Datenmenge wächst sekündlich. Sie sinnvoll zu verarbeiten, ist in Handarbeit unmöglich. Marketing-Automation ist die logische Konsequenz von Big Data. Doch über Teillösungen ist man bisher nicht hinausgekommen.

„Marketing Automation“: Diese zwei Worte ziehen Marketer schnell in ihren Bann. Die Kampagnenaussteuerung wird exakter und relevanter, der Zeit- und Personalaufwand sinkt gegen Null, die Werbeperformance verbessert sich und das Ganze liefert obendrein atemberaubend gute Ergebnisse. Hurra, eine eierlegende Wollmilchsau mischt das digitale Marketing auf. Könnte man meinen. Doch so ist es nicht. Ebenso wenig wie die eierlegende Wollmilchsau erst noch gezüchtet werden muss, kann Technologie dafür sorgen, dass das gesamte Online-Marketing eines Unternehmens vollautomatisiert abläuft. Kanalübergreifend algorithmisch gesteuerte Prozesse, die sowohl Verfügbarkeiten als auch Kanalwechselwirkungen und Nutzerinteressen berücksichtigen, sind schlicht noch nicht erfunden. Doch die Branche ist auf einem guten Weg.

Dirk Radetzki

Aus Sicht von Dirk Radetzki, Managing Director für den Bereich Softwarelösungen bei Teradata eCircle, lässt sich die Automatisierung des Marketings heute in drei Bereiche unterteilen: Erstens die digitale Markenkommunikation. Hier funktionieren Automatismen bereits sehr gut – wie Triggermails oder eine anlassbezogene E-Mail-Kommunikation beweisen. Darüber hinaus findet zweitens eine Automatisierung im Bereich des Kampagnenmanagements statt. „Hier sehen wir große Fortschritte“, sagt Radetzki und verweist auf das Customer Interaction Management. Dabei geht es darum, die Reaktion des Kunden zu analysieren; in welchem Kanal reagiert er auf welche Botschaft, und gezielt darauf mit einem passenden Angebot oder einer passenden Kampagne auf das Kundenverhalten einzugehen. Marketing Operations ist für Radetzki der dritte Bereich. Hier sind es Administration, Kostenmanagement und der Workflow, die für eine Automatisierung prädestiniert sind.

Automatisierungsvorreiter E-Mail

Innerhalb eines Kanals oder einer Werbedisziplin funktionieren vollautomatische Lösungen bereits sehr effizient. Bestes Beispiel ist das Customer Lifecycle Marketing. Insbesondere E-Mail-Marketinganbieter haben sich dieses auf ihre Fahnen geschrieben und automatisieren die Kundenansprache erfolgreich. Statt Kampagnendenke wird hier ein kundenzentrierter Dialogmarketingansatz verfolgt.

Marketing-Automation ist ein komplexes Geschäft mit großen Herausforderungen. „Es gilt, eine neue Datenkultur jenseits alter Disziplingrenzen einzuführen“, sagt Jakob S. Gomersall, General Manager der RedEye Deutschland. Die Lösungen seines Unternehmens zur Marketing-Automation erfassen aus Lifecycle-Sicht relevante Daten aus E-Mail-Marketing, Web-Analyse und CRM in einer Datenbank, bilden Segmente auf Basis des Kundenverhaltens und liefern E-Mails mit dynamisch generiertem, personalisiertem Content aus.

Jakob S. Gomersall

Marketing-Automationslösungen bestehen aus Sicht von Gomersall im Wesentlichen aus vier Komponenten, die konsequent implementiert werden sollten: einer Datenbank mit einheitlicher Kundensicht, Segmentierung auf Basis der erfassten Engagements, individualisierte Kommunikation entlang des Customer Lifecycle sowie einer möglichst intuitiven Benutzeroberfläche für das Kampagnenmanagement. „Die Datenbank erfasst alle umsatzrelevanten Datenquellen und ordnet sie nach Kunden, nicht nach Quellen“, betont Gomersall und spricht dabei von einer „Single Customer View“. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Digitalisierung sei der entscheidende Erfolgsfaktor die nahtlose Erfassung des Online-Kundenverhaltens, denn es liefere die entscheidenden Hinweise auf aktuelle Kaufwünsche. „Dank der integrierten Datenspeicherung sind Reaktionen in Echtzeit möglich“, so der Experte.

Thomas Seidel

Schnelligkeit braucht Automatismen

Blitzschnell müssen Marketer sein, wenn sie in der digitalen Welt auf Kundenwünsche reagieren möchten. „E-Mail und SMS sind prädestiniert für Marketing-Automatisierungen. Es sind schnelle Medien für die Echtzeitansprache“, sagt Thomas Seidel, Managing Director bei SmartFocus Deutschland. Das auf personalisiertes Echtzeitmarketing spezialisierte Unternehmen bietet mit seiner Marketingplattform die Möglichkeit, die Kanäle E-Mail, SMS und Social übergreifend zu automatisieren und die dafür nötigen Prozesse als Workflow abzubilden. Eine wichtige Rolle spielen aus Sicht von Seidel rückwertige Systeme wie eine CRM-Datenbank oder ein Shopsystem. „Eine Automatisierung darf nicht nur auf Basis demografischer Informationen erfolgen, sie muss alle verfügbaren, relevanten Daten einbeziehen“, so Seidel. Dazu zählt er unter anderem Informationen zu Klick- und Surfverhalten, Warenkorbhöhen, bevorzugte Kaufzeiten oder Markenaffinitäten der User. Voraussetzung dafür ist, dass Kunden ihre Daten integrieren, um eine einheitliche Sicht auf die vorliegenden Informationen zu erhalten.

Je mehr Daten, desto besser

Eine Automatisierung kann nach Ansicht vieler Experten bereits mit einem Cookie starten – bestes Beispiel ist das Retargeting. Doch je mehr Informationen vorliegen, desto besser und komplexer kann eine Automatisierung ausfallen. Das verfügbare Datenmaterial zu einem Bestandskunden ist wesentlich umfangreicher als das zu einem Interessenten, der lediglich Daten über sein Surfverhalten hinterlässt und eventuell noch Profildaten in einem sozialen Netzwerk hinterlegt. Vor allem deshalb sind Automatisierungsprozesse – insbesondere kanalübergreifende – bevorzugt im Bestandskundenmarketing anzutreffen.

Sebastian Fleischmann

In diesem Bereich setzt sich immer stärker eine Leitidee durch: Statt mit einer Massenkommunikation alle Kunden zu erreichen, soll mit jedem Kunden ein individueller Dialog aufgebaut werden – kanalübergreifend und weitgehend automatisiert. „Man muss wegkommen vom Kampagnendenken und sich automatisierten Dialogprozessen öffnen“, sagt Sebastian Fleischmann, Area Manager D-A-CH von Responsys. Das Technologieunternehmen bietet eine Komplettlösung für den Bestandskundendialog entlang der Kanäle E-Mail, Display, Social und Mobile. Unter anderem lässt sich damit eine kanalübergreifende Kontaktkette aufsetzen. Diese könnte beispielsweise so aussehen: Ein Unternehmen selektiert für ein regionales Angebot alle relevanten Newsletterabonnenten dieser Region und spricht sie mit einer Werbe-E-Mail an. Mit einer nachfolgenden SMS lässt sich die Botschaft verstärken. Interessieren sich Nutzer für das beworbene Angebot und besuchen die Website, kaufen dort aber nicht, können sie mit individuellen Display-Ads erneut angesprochen werden. Einmal aufgesetzt, läuft diese Prozesskette von aufeinanderfolgenden Marketingaktivitäten in Abhängigkeit von Nutzerprofil und Verhalten vollautomatisch ab.

Die größte Herausforderung für Werbungtreibende sieht Fleischmann im nötigen Prozesswandel. Aus seiner Sicht geht es dabei nicht darum, vom Start weg hochkomplexe Marketingprogramme aufzusetzen. „Marketer sollten mit möglichst einfachen Automatisierungen starten und diese Maßnahmen im Regelbetrieb optimieren“, rät Fleischmann. Den Zeitgewinn durch die ersparte Handarbeit solle man idealerweise in Strategie und Analyse stecken.

Mehr Kopf- und weniger Handarbeit

„Automatisierung bringt das Marketing von einer eher operativen in eine eher strategische Dimension“, findet auch Seidel. Doch das einmalige Aufsetzen einer kanalübergreifenden Kampagnenlogik befreit nicht von allen weiteren Tätigkeiten. „Kauf- und Kommunikationsverhalten ändern sich, hier muss händisch kontinuierlich nachjustiert werden“, betont der Experte. In den hinterlegten Prozessen und der Strategie sieht Seidel die größten Herausforderungen für Marketing-Automation.

Doch so gut die Ansätze bisher auch sind. Es bleiben Teillösungen. „Dass Marketing-Automation innerhalb geschlossener Regelkreisläufe funktioniert, ist die Mindestanforderung“, so Erik Siekmann, Geschäftsführer von DIGITAL FORWARD. Von einer echten und umfassenden Marketing-Automatisierung sei man noch weit entfernt. Viel zu sehr seien Werbungtreibende heute noch damit beschäftigt, wie sie in welchem Kanal mit welchem Budget welches Ergebnis erzielen können.

Auch technisch ist man noch nicht so weit. „Es gibt keinen Autopiloten, der Business-Intelligence- und Business-Analytics-Systeme mit einer operativen Kanalsteuerung so verknüpft, dass sie auch Verfügbarkeiten und Attributionen automatisch berücksichtigt und die Budgets entsprechend allokiert“, bekräftigt Siekmann. Nur Prozesse mit hohen Standards seien für Automatisierungen geeignet. Doch bis sich ein Standard etabliert, braucht es Zeit.

Erik Siekmann

Stabilität braucht Zeit

„Es wurde Jahrzehnte mit Waren gewirtschaftet, bevor erste Warenwirtschaftssysteme eingeführt wurden. Auch Bid-Management-Lösungen haben sich erst etabliert, als AdWords schon ein paar Jahre verfügbar war“, erläutert Siekmann. Für eine kanalübergreifende Vollautomatisierung des digitalen Marketings ist die Branche aus seiner Sicht noch in einem zu frühen Entwicklungsstadium. „Wir erleben gerade die Morgendämmerung des Online-Marketings.“ Sein Fazit: So lange Daten keine dauerhafte Struktur haben, Komponenten oder Rahmenbedingungen sich immer wieder ändern oder schlicht zu viele Variablen im Spiel sind, wird menschliche Steuerung im Marketing auch weiterhin nötig sein.

Doch die Entwicklung dürfte weiter voranschreiten. Davon ist auch Datenexperte Radetzki überzeugt: „Der Marketer des 21. Jahrhunderts steht vor der Herausforderung, Kunden und Interessenten hochgradig individualisiert und kostenoptimiert anzusprechen. Das funktioniert nur, wenn man Automatismen einsetzt.“ Nur eines wird sich nach Ansicht von Radetzki nicht so schnell ändern: der kreative Part. „Kreativität lässt sich nicht automatisieren. Farben, Formen, Texte – das ist und bleibt im Marketing Handarbeit.“

Bild Karsten Zunke Über den Autor/die Autorin:

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