Integriertes Marketing, Multi- oder Cross-Screen-Kampagnen sind zurzeit gängige Schlagworte. Man könnte meinen, die Werbetreibenden würden bereits ihre Werbemittel problemlos kanalübergreifend ausliefern. Tatsächlich ist die Branche noch weit von einer zentral gesteuerten Multiscreen- bzw. Multi-Device-Werbung entfernt. Zwischen Werbung auf TV, Smart-TVs, Mobile, Tablets und dem stationären Internet stottert noch die digitale Werbemaschinerie. Das gilt sowohl bei einer zentralen Auslieferung von auf dem jeweiligen Bildschirm angepassten Werbemitteln als auch dem einheitlichen und kanalübergreifenden Tracking der Kampagnen. Doch langsam fügt sich ein Bild zusammen.
Fragt man Damian Rodgett, Managing Director pilot Screentime, nach Multiscreen-Advertising, sagt er es ganz direkt: „Den heiligen Gral, also einen Adserver, der auf alle Screens alles aussteuert und trackt, den gibt es heute noch nicht für Multiscreen. Universal Tracking bzw. Tagging beschäftigt uns schon. Aber das Tracking einer Customer Journey über alle Screens von einer Plattform heraus ist leider nach heutigem Stand noch nicht möglich. Am Ende des Tages sitzt man da und versucht die Ergebnisse der verschiedenen Tracking-Möglichkeiten inklusive Webtracking in Excel-Tabellen zusammenzufassen.“
Screentime von pilot realisiert unter anderem Werbekampagnen auf den Smart-TVs, also jenen Fernsehgeräten, die über einen Internetanschluss verfügen und so dem Werbetreibenden einen Rückkanal bieten können. Smart-TVs sind aufgrund ihres Verbreitungspotenzials scheinbar der Werbekanal der Zukunft. Sie verbinden TV mit Internet und langfristig damit auch klassische TV- und Online-Werbung. Jetzt am Anfang der Ära Connected TV haben die Werbetreibenden vor allem erst einmal die Startseite, also die Portalseite der Geräte im Visier. „Über die Portalseite der Smart-TVs kann man als Advertiser in Deutschland monatlich etwa vier Millionen Menschen erreichen. Das finden wir spannend und ist schon für unsere Kunden interessant“, sagt Rodgett. Und die Reichweite wird bald sprunghaft steigen. Smart-TV-Hersteller wie Samsung, LG und Philips haben bereits verkündet, ihre Portalseite als Default-Startseite festzulegen. Immer wenn der Nutzer den Fernseher einschaltet, landet er zunächst auf der Portalseite seines Gerätes, egal welchen Sender er zuletzt gesehen hat.
Im Formatdschungel der Smart-TVs
Was den Advertisern aber hier an Werbemöglichkeiten geboten wird, ist dann doch noch etwas ernüchternd, meistens handelt es sich um einfache Display Ads oder Bewegtbildwerbung, Spots von 10 bis 30 Sekunden Länge. Großartige Einflussmöglichkeiten haben die Agenturen wie Screentime bei der Wahl der Werbeformen dort nicht. Rodgett bezeichnet Werbung auf Smart-TVs nicht nur als technologische, sondern auch politische Herausforderung. „Die Smart-TV-Hersteller wollen selbst an der Werbung mitverdienen. Alles was nicht browserbasiert arbeitet, also native Apps, die Umfelder der Smart-TV-Portale oder andere Smart-TV-Anwendungen, können wir von Third-Party-Seite nicht direkt mit Werbung ansteuern und tracken. Das geht nur über die Smart-TV-Hersteller, die nicht einfach unsere Third Party Tags zulassen.“
Nur die exklusiven Smart-TV-Vermarkter und Plattformanbieter wie Smartclip, Rovi (nicht in Deutschland), Videoplazza oder YuMe dürfen ihren Adtag in die Smart-TV-Systeme integrieren. „Die TV-Hersteller wollen nur mit den zertifizierten Vermarktern zusammenarbeiten und so sicherzustellen, dass sie die 30 Prozent Revenue der Werbeerlöse einnehmen“, sagt Rodgett. Das bedeutet, dass sich die Smart-TV-Vermarkter um die technische Realisierung der In-App- oder Portalwerbung kümmern und die Werbetreibenden die Werbemittel den Vermarktern übergeben. „Wir haben mit einem Vermarkter bereits mit einer Tag-in-Tag-Lösung experimentiert, aber das funktioniert noch nicht immer“, sagt Rodgett.
Hinzu kommt, dass die Smart-TV-Hersteller auf Standards verzichten. Jeder kocht hier bei den Software Development Kits (SDK), die wie bei den Smartphone-Apps auch für die Integration der Werbung bedeutend sind, sein eigenes Süppchen. Sei es für Display- oder Videowerbung: manche Smart-TV-Plattformen verlangen Flash-Formate, manche Windows Media Files, wiederum andere HTML5-Werbemittel. „Jeder Hersteller hat seine eigene Technologie definiert“, berichtet Rodgett. Je nach Betriebssystem können die technischen Voraussetzungen sogar beim Hersteller selbst verschieden sein. „Die Samsung-Betriebssysteme 2010 und 2013 unterscheiden sich grundlegend in der Technologie und dem SDK. Das macht die Werbung und das Tracking auf den Smart-TVs nicht wirklich einfacher.“
Schon wieder weg von HTML5?
Advertiser die etwa ihre Branding-Kampagne zumindest auf Mobile und dem stationären Internet gleichermaßen ausliefern wollen, stehen vor einer nicht minder großen Herausforderung bei der Formatfrage. Da die für Mobile- und Tablet-Geräte führenden Betriebssystemanbieter Apple und Android auf die Unterstützung von Adobe Flash gänzlich verzichteten, müssen sich die Agenturen für die Erstellung auf Werbemittel in HTML5 umstellen. Aber genau damit tun sie sich schwer. Flash ist gelernt und weiterhin die verbreitetste Technologie für die Erstellung von Branding-Werbung. Obwohl HTML5 bis auf ein paar Ausnahmen alles dem Brand-Advertiser bietet, sind im Bereich Desktop-Screen 99 Prozent der animierten Branding-Werbung in Flash erstellt.
„Die Branche hat zehn Jahre mit Flash gearbeitet. Es fehlt einfach an der nötigen Erfahrung mit HTML5 Multiscreen-Werbemittel zu erstellen“, sagt Christoph Benning, Managing Director D.A.CH von DG Mediamind, einer Plattform- und Rich-Media-Adserverlösung für Agenturen und Werbetreibende. Für Rodgett ist HTML5 daher kaum ein Thema: „HTML5 mag derzeit für Contentinhaber wichtig sein, um ihre Inhalte auf alle Kanäle zu distribuieren, nicht aber für die Werbungtreibenden“, sagt Rodgett, der für die Multiscreen-Werbung eher eine völlig gegenläufige Entwicklung beobachtet. „Der Trend geht eher weg von HTML5, hin zur Minimierung des Aufwands, damit der Kunde das auch bezahlen kann. Responsive oder adapative Werbung, die sich an dem jeweiligen Bildschirm anpasst – das klingt in der Theorie alles schön, doch die Produktion von HTML5-Werbung kostet vielleicht das Zehnfache, als wenn wir für die fünf einschlägigen Plattformen zügig ein JPEG oder PNG erstellen. Das will der Kunde.“
Der kleinste gemeinsame Nenner
Grund für die Kostenexplosion ist neben dem Auffinden eines guten HTML5-Programmierers vor allem die lange Testphase der Ads. „Wir müssen so lange testen, damit wir sichergehen können, dass die Werbung auf 90 Prozent der Geräte funktioniert. Diese Testphase ist das, was die Kosten verursacht“, sagt Rodgett. Und somit entsteht derzeit bei Multiscreen eine Situation, in der die Produktionskosten die Mediakosten übersteigen, was wiederum die kreativen Möglichkeiten begrenzt. „Online ist derzeit keine gute Spielwiese für die Kreativen. Solange in der Online-Werbung die Komplexität für die Werbungtreibenden zunimmt, werden wir auf der Agenturseite dazu gezwungen sein, alle Möglichkeiten auf den kleinsten Nenner zu bringen, damit der Werbekunde das auch bezahlen kann.“
Neue Tools für einen besseren HTML5-Workflow
Inzwischen haben die ersten Adserving- und Technologieanbieter reagiert und sich der „HTML5-Problematik“ angenommen. So stellt Google DoubleClick just seit einer Woche den Agenturen kostenlos den „Google Web Designer“ in der Beta-Version zur Verfügung, ein Tool zur einfachen Erstellung von HTML5-Werbemittel. Ein ähnliches Produkt hat der Rich-Media- und Videowerbespezialist Mov.ad mit dem HTML5 ad.creator ausgedacht. Der ad.creator sieht sich als eine Art Komplettlösung für Kreativagenturen, um schnell und unkompliziert HTML5-Multi-Device-Werbemittel für In-Apps und mobile Webseiten zu entwickeln, die dann mit einem Previewmodus auf eine Vielzahl von Endgeräten getestet werden können.
Thomas Klimpel, Geschäftsführer mov.ad, glaubt hier in eine Marktlücke zu stoßen: „Es gibt derzeit noch nicht genügend und noch nicht ausreichend an die Anforderungen von Online-Werbetreibenden und ihren Workflows abgestimmte Tools, um den Wechsel vom bisherigen visuellen Design bei Flash hin zum code-basierten Design bei HTML5 einfach und komfortabel zu gestalten und damit zu beschleunigen; auch gibt es erst seit Juli dieses Jahrs mit dem HTML5 Guide des IAB erste Standards zu HTML5, dem weitere Richtlinien noch folgen müssen. In diese Angebotslücke stoßen wir mit dem mov.ad HTML5 ad.creator."
Adserver und „HTML5-Fähigkeit“
Auf Seiten des Adservings entstehen ebenfalls neue Lösungen, die ein besseres Multichannel-Advertising gewährleisten sollen. So wird der Adserver-Anbieter Adition diese Woche die Adition Responsive-Ads-Lösung launchen. Hierbei handelt es sich um eine Art Targetingfunktion, die es einem Publisher ermöglicht, formatoptimiert auf das passende Werbemittel auf das jeweilige Endgerät auszuliefern. „Adition bietet durch diese Lösung den Vorteil, dass weiterhin Standardkampagnen ausgeliefert werden können. Die Werbemittel können von der Agentur wie bisher als Redirect oder in physischer Form angeliefert werden. Dabei können jegliche Formate wie HTML5, Flash oder Dynamic ausgeliefert werden, ggfs. ist dabei ein technisches Targeting zu beachten, zum Beispiel wenn für das iOS-Gerät kein Alternativwerbemittel für das Flash vorliegt“, berichtet Jörg Klekamp, Vorstand vom Adserver-Anbieter Adition Technologies, dessen System sowohl auf Publisherseite als auch bei den Agenturen eingesetzt wird.
Eine ähnliche Lösung beherrscht auf Agenturseite der Rich Media Adserver von DG Mediamind. Christoph Benning spricht in diesem Zusammenhang von einem „HTML5-fähigen“ Adservern, in dem HTML5-Werbemittel neben Flash Ads hinterlegt werden können und in dem per Voreinstellung die Auslieferungslogik so eingestellt wird, dass beim Adcall eines Tablets oder mobilen Devices das entsprechende HTML5-Werbemittel ausgeliefert werden soll.
Anders als Rodgett ist Benning übrigens vom Siegeszug von HTML5 überzeugt: „Wer seine Kampagnen wirklich multiscreen-fähig haben will, muss die Werbemittel in HTML5 programmieren, nur HTML5-Werbemittel können sich in der Größe dynamisch dem Screen anpassen. Das mag kostenintensiver sein, aber entweder ich will Multiscreen machen oder ich lasse es“, sagt Benning. Benning ist überzeugt, dass der Siegeszug von HTML5 bei der Rich-Media-Online-Werbung nicht aufzuhalten ist, auch wenn es noch zu Kompatibilitätsproblemen kommen kann. „Die Werbekunden und ihre Agenturen müssen jetzt einfach ihre Learnings machen“, sagt Benning.
Auf jeden Fall bleibt beim Multi-Device Adserving die alte Rollenverteilung bestehen, auch beim Reporting wie uns Klekamp von Adition versichert. „Hier ändert sich für beide Seiten nichts, alle Reportdaten laufen über dieselben Kanäle ein.“ Und auch im Hinblick auf die Zuständigkeiten bleibt alles wie gehabt: „Der Advertiser verantwortet die Kreation der Werbemittel in den gewünschten Formaten und Größen, ggfs. unter Zuhilfenahme eines Renderingtools. Der Vermarkter übernimmt nach wie vor die Verantwortung dafür, welche Format-Größen-Kombination in welchem Umfeld läuft“, sagt Klekamp.
Bei diesen Rendering-Spezialanbietern, von denen Klekamp spricht, handelt es sich um Unternehmen wie Undertone, aber auch YuMe für Bewegtbildwerbung. Bei diesen Lösungen übergibt die Agentur ein Werbemittel, welches dann nach speziellen Algorithmen automatisch so gerendert wird, dass immer das Werbemittel in richtiger Größe auf den unterschiedlichen Screens ausgeliefert werden kann. Diese echten „Responsive Ads werden aktuell noch vom Vermarkter-Adserver ausgesteuert, obwohl diese Anbieter ihre Dienstleistung auch über den Agenturadserver abbilden könnten“, wie uns Richard Kidd, Geschäftsführer von YuMe Deutschland, die Multiscreen-Bewegtbildtechnologie erläutert. „Über unseren eigenen Adserver schalten wir bis zu 28 interaktive Formate auf PC, Smartphones, Tablet und Connected TV. Werbekunden bzw. deren Mediaagentur liefern uns ein Bewegtbildwerbemittel, welches wir entweder als Redirect oder 1:1 in unser Publisherportfolio schalten.
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