The Economist: Qualität ist keine Frage des Kanals
Jens von Rauchhaupt, 14. Oktober 2013Kaum ein anderes Magazin steht für Qualitätsjournalismus und Premium-Content wie der Economist. Das britische Wirtschaftsblatt erscheint nur in englischer Sprache und wird in der ganzen Welt gelesen, zunehmend auch in Deutschland und zunehmend digital. Anfang April entschied man sich in London für ein neues, vereinfachtes Abomodell, bei dem das Digitalabo genauso viel kostet wie das Printabo. Wir sprachen mit Marina Haydn, Circulation und Marketing Director von The Economist (EMEA), über diesen Strategiewechsel und wie der Spagat zwischen bezahltem Inhalt und Werbung gelingen kann.
Marina Haydn verantwortet von Genf aus alle Bereiche des Auflagenmanagements für Print und Digital sowie die Markenstrategie des Wirtschaftsmagazins. Zuvor war Haydn, seit 2000 bei The Economist, im Marketing für die Economist Conferences und im Konferenz-Management für den Verlag tätig.
Adzine: Frau Haydn, spürt ein internationales Wirtschaftsmagazin wie The Economist eigentlich etwas von der Printkrise?
Marina Haydn: Einerseits ja, denn auch unsere Verkäufe am Kiosk gehen zurück und das Interesse auf Kundenseite an Printwerbung nimmt im Vergleich zu früheren Jahren ab. Andererseits sind wir durch das vielseitige Produktportfolio von The Economist Group und vor allem dank unserer treuen Abonnenten auch in diesen Zeiten des Wandels stark aufgestellt.
Adzine: Wie würden Sie den deutschsprachigen The-Economist-Leser charakterisieren, was ist das für ein Mensch?
Haydn: Ein Mensch, der nach außen blickt und sich dabei nicht mit reinen Informationen begnügt, vielmehr sucht er die Zusammenhänge. Üblicherweise sind es engagierte Menschen, die eine Herausforderung suchen, die den Economist in ihrer Freizeit lesen.
Adzine: In welchen Ländern ist The Economist in seiner Verbreitung am erfolgreichsten und wo wird der Economist außerhalb des angelsächsischen Sprachraums am häufigsten gelesen?
Haydn: Mit einer Auflage von über 800.000 Lesern, die wir in den letzten zehn Jahren stark ausbauen konnten, sind wir in den USA am erfolgreichsten. Das Vereinigte Königreich ist unser Heimatmarkt und mit einer Auflage von über 210.000 der zweitwichtigste Markt. Außerhalb des angelsächsischen Sprachraums wird The Economist mit einer Auflage von 55.000 Exemplaren am meisten in Deutschland gelesen.
Adzine: Wie erklären Sie sich den hiesigen Erfolg einer fremdsprachigen Publikation?
Haydn: In Europa suchen viele Menschen parallel zum heimischen Medienangebot einen komplementären Blick auf die Welt. Wir haben dazu einige Untersuchungen angestellt. Die Deutschen bilden da keine Ausnahme, allerdings ist die Motivation bei einigen anderen Europäern, wie zum Beispiel den Franzosen, anders ausgeprägt. In Deutschland gibt es eine gewisse Zufriedenheit mit der eigenen Medienlandschaft. Hier ist die Motivation, den Economist zu lesen, wirklich der globale Blick auf die Welt. In Frankreich hingegen suchen die Leser bewusst nach Alternativen und Ergänzungen zur eigenen Medienlandschaft sowie einer Außenperspektive auf die heimische Politik.
Adzine: Laut Consolidated Media Report des Audit Bureau of Circulations Nordamerika (ABC) werden vom Economist pro Woche weltweit rund 1,5 Millionen Druck- und Digitalexemplare verkauft. Wie entwickelt sich The Economist in Kontinentaleuropa? Und wie verteilt sich hier der Absatz zwischen Digital und Print?
Haydn: Wir haben laut aktuellem ABC-Bericht in Kontinentaleuropa 243.957 Abonnenten und über 14.000 Digitalabonnenten. In Kontinentaleuropa wächst die digitale Auflage um mehr als 25 Prozent.
Adzine: Wie erklären Sie sich diese eindrucksvolle Steigerung?
Haydn: Wir haben im April dieses Jahres einen Strategiewechsel vollzogen. Wir vermarkten den Economist nur als ein Produkt. Der Leser soll selbst entscheiden, auf welchem Weg er auf unsere Inhalte zugreifen möchte. Der Abonnent des Premium Packages kann Digital und Print gleichermaßen lesen, beim Digitalabonnent greift er ausschließlich auf Digital zu und der Printabonnent ausschließlich auf das Printmagazin. Ein reines Digitalabo kostet aber genauso viel wie das reine Printabo.
Adzine: Was umfasst nun ein Digitalabonnement?
Haydn: Die App-Ausgaben für alle gängigen mobilen Betriebssysteme, die Onlinewebseite und E-Papers, die man runterladen kann. Dabei handelt es sich immer um eine 1:1-Replika der Economist-Printausgabe, die wöchentlich erscheint.
Adzine: Wie gewinnen Sie neue Abonnenten für die Digitalausgaben? Werben Sie dafür?
Haydn: Ja. Wenn wir eine In-App-Kampagne machen, ist es klar, dass der Nutzer sich eher für ein reines Digitalabo entscheidet. Andersherum ist bei einer Printwerbung die Response höher für ein Printabo. Es gibt schon eine klare Korrelation zwischen der Gattung des Werbeträgers und der Kaufentscheidung.
Adzine: Sie sagten, dass der Economist-Leser für ein Digitalabo den gleichen Preis zahlt wie für das reine Printabo, glauben Sie selbst an den Erfolg dieser Strategie?
Haydn: Absolut. Digital ist genauso hochwertig wie Print. Denn es geht um den Editorial Content und der ist ja bei beiden Mediengattungen der gleiche.
Adzine: Spielt die Werbevermarktung für Ihre Monetarisierung dann überhaupt noch eine Rolle?
Haydn: Natürlich spielen die Werbekunden für uns eine wichtige Rolle. Aber wir glauben auch, dass der Erfolg einer Publikation wie die des Economist in einer leserorientierten Strategie liegt. Wir sehen ja, wie sich die Werbekunden mitentwickeln und zum Beispiel schon in unseren Apps werben. Wir sind derzeit dabei, den richtigen Mix zwischen Aboeinnahmen und den Einnahmen aus den digitalen und Printinseraten so zu optimieren, so dass wir für den Leser weiterhin die richtige Qualität bieten können, die unsere Nutzerschaft einfach von uns erwartet.
Adzine: Begrenzen Sie Online die Anzahl der Werbeplatzierungen pro Seite?
Haydn: Wir achten sehr darauf, dass wir nicht zu viele Werbeschaltungen haben, und beschränken absichtlich die Zahl unserer Werbeplatzierungen. Die nahtlose Lesererfahrung ist uns wichtiger. Wir haben daher vor allem in der App Schwierigkeiten, alle Werbeschaltungen der Werbekunden zu ermöglichen. Hier ist die Nachfrage größer als unser Angebot.
Adzine: Advertiser mit aufwendigen interaktiven Werbemitteln sind bei The Economist also fehl am Platz?
Haydn: Hier müssen wir zwischen App und Onlinesite differenzieren. Im App-Bereich fürs Tablet sind wir gemeinsam mit dem Werbekunden experimentierfreudiger. Auf der Webseite Economist.com oder der mobilen Webseite fürs Smartphone versuchen wir möglichst auf interaktive Werbebanner zu verzichten. Der Nutzer soll in Ruhe unsere Inhalte lesen können. Dennoch haben wir auf der Webseite Page-Takeovers zugelassen. Aber nicht sehr oft. Wir versuchen immer eine gute Balance für den Leser zu finden.
Adzine: Online arbeitet The Economist inzwischen mit einer sehr strikten Paywall …
Haydn: Ja, nach drei Artikeln pro Woche muss der Nutzer sich kostenfrei anmelden. Nach der Anmeldung kann der Nutzer noch fünf freie Artikel lesen, bis er aufgefordert wird, ein Abo abzuschließen. Früher waren zumindest die Bloginhalte allen Nutzern frei zugänglich und nur die Beiträge aus der Printausgabe über eine Paywall geschützt. Das ist einfach unsere neue Strategie. The Economist hat als Rundumangebot aus Editorial Content einfach seinen Preis.
Adzine: Würden Sie diese doch recht strikte Paid-Content-Strategie allen Verlagen so empfehlen?
Haydn: Das muss jeder Verlag für sich selbst herausfinden. Wir halten unser Modell auf jeden Fall für zukunftsträchtig, weil unsere Leser eine Bereitschaft zeigen, für Qualität zu zahlen, unser Lesertyp hat eine Wertschätzung für Qualität.
Adzine: Welche Reichweiten kann denn der The Economist in Kontinentaleuropa digital überhaupt trotz Paywall vorweisen?
Haydn: Die Online-Seite hat 1,3 Mio. Unique User und 2,8 Mio. Visits. Hier sind natürlich zahlende und nicht zahlende Nutzer gemischt. Über unsere Apps, die nur Abonnenten nutzen können, erreichen wir 100.000 Visits. Wir stellen fest, dass es nicht nur eine Zweifachnutzung zwischen Print und App gibt, sondern eher eine Dreifachnutzung von Print, App und Online Webseite.
Adzine: Die Zahlen von Facebook (1,8 Mio. Likes) und Twitter (2,5 Mio. Follower) sind beeindruckend, vor allem wenn man sie mit denen deutscher Wirtschaftsmagazine vergleicht. Welche Bedeutung hat der Social-Media-Kanal für den Vertrieb des Economist?
Haydn: Das ist für uns ein wichtiger Brand-Kommunikationskanal. Hier haben wir die Möglichkeit, mit Nutzern zu kommunizieren, mit denen wir zuvor noch nie in Kontakt gekommen sind und die das Magazin gar nicht kennen. Aber natürlich nutzen wir die Social-Media-Kanäle vor allem auch dafür, um den Kontakt mit unserer Community aufrechtzuerhalten.
Adzine: Frau Haydn. Vielen Dank für das interessante Gespräch!