Christophe Chan Hin ist Mitglied des Bundesvorstandes der Piratenpartei, die zur Bundestagswahl in Vergleich zu den anderen politischen Parteien besonders ambitioniert auf Social Media Marketing setzt. Scheinbar mit Erfolg, zumindest was die Fans auf Facebook angeht. Dort sind die Piraten mit über 80.000 Likes derzeit Spitzenreiter.
Adzine: Auf Facebook haben die Piraten knapp 80.000 Fans, auf Twitter mehr als 117.000 Follower. Was macht die Piratenpartei dort so erfolgreich?
Chan Hin: Neben der lockeren Ton und der doch recht hohen Chance, eine Antwort zu bekommen, wenn man kommentiert, retweeten wir auch öfter gute Beiträge. Befreundete NGOs, kritische Artikel über die Piratenpartei, aber auch Tweets von Mitgliedern sorgen für ein rundes, sehr interaktives und dialogorientiertes Informationsangebot.
Adzine: Welchen Stellenwert hat Social Media bei den Piraten?
Christophe Chan Hin: Social-Media-Kanäle haben allein schon aufgrund der hohen Nutzung durch unsere Mitglieder einen hohen Stellenwert für uns. Mit wirstellendasmalinfrage.de haben wir auch eine Social-Media-Kampagne, die mit tagesaktuellen Motiven das Wahlprogramm der Piraten mit aktuellen politischen Themen verbindet. Grundsätzlich finden wir es allerdings wichtig, nicht zwischen Online- und Offline-Wahlkampf zu unterscheiden. In vielen Fällen müssen beide ineinandergreifen und zusammen gedacht werden.
Adzine: Haben Sie eine Social-Media- oder Werbeagentur oder machen die Piraten alles selber?
Chan Hin: Die Piratenpartei hat keine Social-Media- oder Werbeagentur, sondern ein parteiinternes Netzwerk aus ehrenamtlichen Designerinnen und Designern, die Servicegruppe Gestaltung. http://gestaltung.piratenpartei.de/ Dieses Netzwerk bedient auch individuelle Anfragen aus kleinen Kreisverbänden. Die Motive der Social-Media-Kampagne werden z. B. in ehrenamtlicher Arbeit von Alf Frommer erdacht und in der Gestaltung dann umgesetzt.
Adzine: Welche Aktionen werden gemacht, um Wähler zu aktivieren?
Chan Hin: Jede Kampagne der Piratenpartei wird auch über Social Media vermittelt. Ein gutes Beispiel ist die Kryptoparty-Kampagne: Eine eigene Terminankündigungswebseite ermöglicht es Mitgliedern auf einfache Weise, ihren Termin in sozialen Medien anzukündigen. Flankiert wurde die Website durch ein YouTube Video.
Die Plakatkampagne im öffentlichen Raum wird durch wirstellendasmalinfrage.de ergänzt, wo die Inhalte konkreter vermittelt werden und direkt attackierend auf aktuelle Ereignisse reagieren. Die Motive auf wirstellendasmalinfrage.de können von Mitgliedern selbst geteilt werden, werden aber auch standardmäßig über den Facebook- und Twitteraccount der Piratenpartei geteilt.
Adzine: Gibt es zielgruppenspezifische Inhalte, die die Piraten gezielt über Social Media vermittelt?
Chan Hin: Grundsätzlich ist die Zielgruppe im Netz die gleiche wie die der Gesamtkampagne. Uns wählen primär Menschen, die zwischen 19 und 39 Jahren alt sind und stark sozial, liberal, hedonistisch, progressiv und kosmopolitisch orientiert sind. Über soziale Medien können wir diese Zielgruppe allerdings noch zielgenauer ansprechen.
Eine grundsätzlich andere Linie fahren wir on- und offline, wenn es um das Angreifen der etablierten Parteien geht. In der Plakatkampagne tun wir das nicht. Die sozialen Medien eignen sich in unseren Augen hier wesentlich besser für gezielte Nadelstiche.
Adzine: Können Sie sich vorstellen, dass Wahlkämpfe in 20 Jahren reine Online-Wahlkämpfe sein werden?
Chan Hin: Das ist schwer vorherzusehen, aber die Entwicklung zeigt, dass Internet und öffentlicher Raum immer stärker ineinanderfließen und sich vielmehr gegenseitig befeuern – Services wie foursquare, Google Maps sowie Aktionen wie Flashmobs und Facebook-Partys seien hier als Stichworte genannt. Ich gehe eher davon aus, dass Wahlkämpfe in Zukunft immer dezentraler stattfinden werden. Dann würde der öffentliche Raum nicht nur weiterhin wichtig bleiben, sogar an Bedeutung gewinnen.
Adzine: Wie bewerten Sie die Social Media und Onlinemaßnahmen der etablierten Parteien. Haben die was dazugelernt?
Chan Hin: Ja, auf jeden Fall. Grundsätzlich wird aber Social Media allzu oft getrennt vom restlichen Wahlkampf betrieben. Es fehlt an integrierten Kampagnen, die Aktionen im öffentlichen Raum, soziale Medien und Informationsangebote im Internet verbinden. Auch wird durch allzu starre Strategien ein wirklich flexibles Handeln unterbunden. Ein effektiver Online-Wahlkampf, der wie das Internet selbst seine wirkliche Kraft nur in einer dezentralen Organisationsweise entfalten kann, findet so nicht statt.