Fragte man noch vor einem Jahr einen Zeitungsverleger nach der Digitalstrategie des Hauses, erntete man Achselzucken. Inzwischen scheint die Marschroute der Verlage klar: Die Leser sollen jetzt endlich für die digitalen Inhalte zahlen. Allerdings nicht immer gleich direkt und manchmal auch über den Umweg erkaufter Aufmerksamkeit. Werbung wird es auf jeden Fall geben, auch in einem Bezahlmodell. Gerade diese Werbung könnte für die Werbetreibenden teurer werden.
Nun hat der Axel Springer Verlag also auch bei Bild.de ernst gemacht und mit Bild Plus ein Bezahlmodell für Deutschlands reichweitenstärkste Tageszeitung im Internet gestartet. Ab jetzt bekommt der Nutzer dort Vieles zusätzlich konfektioniert – eben als Plus –, was er vorher kostenlos erhielt. Der Axel Springer Verlag mag es nennen, wie er es will, es handelt sich bei Bild Plus natürlich um eine Bezahlschranke, eine Paywall, die im mobilen und im stationären Internet ihren Dienst verrichten soll. Die Bild-Plus-Bezahlschranke ist ein sogenanntes Freemium-Abomodell, bei dem die Redaktion entscheidet, welche Inhalte weiterhin frei zur Verfügung stehen und welche Beiträge nur den Abonnenten zugänglich sein werden. Dem gegenüber stehen das harte Abomodell (Abo oder gar nichts) und die sogenannte Metered-Lösung, bei der die Nutzer eine feste Anzahl an Artikeln im Monat lesen können, bis der eiserne Vorhang der Bezahlschranke fällt.
(Fast) alle wollen eine Mauer bauen
Aktuell sind es laut Holger Kansky, Referent Multimedia beim Bundesverband Deutsche Zeitungsverleger (BDZV), bereits 43 Zeitungstitel, die Paid Content auf ihrer Website eingeführt haben. „Vor einem Jahr gab es erst 20 Zeitungstitel, die Paid Content anboten.“ Die Frage um Paid Content hat also in den letzten sechs bis zwölf Monaten eine gewisse Dynamik erfahren. Das beweist nicht zuletzt die Ankündigung der „Quality Alliance“ aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Handelsblatt und Die Zeit, die ebenfalls noch in diesem Jahr mit eigenen Paid-Content-Modellen auf den Markt kommen wollen und dabei gemeinsam eine technologische Plattform nutzen wollen.
Noch (immer) im Experimentiermodus
Solche Zeitungen, die bereits eine Paywall hochgezogen haben, berichten eher ungern über die Folgen ihrer Bezahlschranken. Erfolgsmeldungen gibt es eigentlich gar keine. „Es ist noch zu früh, um eine Bilanz zu ziehen“, sagt Kansky und weiter: „Die Verlage sind beim Thema Paid Content gerade in einem Lern- und Experimentiermodus. Wir stehen hier gewiss noch am Anfang einer sehr dynamischen Entwicklung. Klar ist aber, dass allein das Werbegeschäft in Zukunft eine Refinanzierung nicht sicherstellen wird. Die Geschäftsmodelle in Print und Online werden sich deshalb weiter angleichen. Die Erlöse der Verlage werden sich zukünftig aus unterschiedlichen Quellen speisen. Neben Anzeigen und Transaktionserlösen wird das Erlösstandbein ‚Paid Content‘ zukünftig wichtiger werden.“
Sicherlich ließe sich jetzt die berechtigte Frage stellen, was die Verleger die letzten 10 Jahre an Digitalstrategien in die Wege geleitet und umgesetzt haben, dass sie sich jetzt im Jahr 2013 noch immer in einer Experimentierphase wiederfinden müssen. Konnten die Verlage den Aufstieg des mobilen Internets mit allen seinen Konsequenzen im Mediennutzungsverhalten wirklich nicht voraussehen? Die Antwort fällt hier leicht.
Rechnung ohne den Wirt gemacht?
Ungleich schwieriger zu beantworten erscheint hingegen die Frage, wie die Verlage die Nutzer nun dafür gewinnen wollen, auch für digitale Inhalte zu zahlen.Der jüngste W3B-Report von Fittkau und Maaß Consulting spricht zur Zahlungsbereitschaft der Nutzer für digitale redaktionelle Inhalte eine recht deutliche Sprache: Für Nachrichten, Artikel und ähnliche Informationen will nur jeder sechste Befragte (15,9 Prozent) etwas bezahlen. Für Musikdownloads sowie das Herunterladen, Streamen und Ausleihen von Filmen sieht es zwar schon besser aus, generell sind aber wieder weniger Menschen (49,6 Prozent der Befragten) bereit, für digitale Inhalte überhaupt etwas hinzublättern.
Abrechnung von Einzelartikeln notwendig
Der Nutzer muss also erst einmal zu seiner Zahlungsbereitschaft hingeführt werden. Vieles hat hier mit der Psychologie des Nutzers zu tun. Gregor Waller, Gründer von Digital Age Consulting und Senior Principal Consultant bei WAN-IFRA Frenemies Consulting, berät Medienhäuser hinsichtlich ihrer Transformationsstrategie und hier eben auch zu ihrer Paid-Content-Strategie. Waller ist überzeugt, dass die Verlage neben den klassischen Ansätzen, Kunden nur das Geschäftsmodell Tages-/Monats-Abo anzubieten, die immer hinter einer harten, Freemium- oder Metered-Paywall stehen, unbedingt mehrgleisig fahren und neben diesen Abomodellen zusätzlich ein Einzelartikel als Abrechnungsmodell (Pay-per-Use) anbieten sollten.
Waller begründet das mit der unterschiedlichen Psychologie der Leser: „Menschen, die ihre Zeitung schon immer am Kiosk gekauft haben, unterscheiden sich in ihrer Psychologie deutlich von denen, die eine Zeitung abonnieren. Viele Leser werden auch digital kein Abo abschließen – nicht zuletzt weil sie die letzten 12 Jahre bei iTunes gelernt haben, dass es digital auch anders geht. Das sind zwei unterschiedliche Geschäftsmodelle.“
Für Waller sind Bezahlschranken der erste zentrale Schritt jeder zukünftigen Paid-Content-Strategie eines Verlages, um hochwertige digitale Inhalte endlich monetarisierbar – und damit Journalismus dauerhaft finanzierbar zu machen. Bei der Einführung einer Paywall ginge es aber nicht um das im Grund triviale Hochziehen einer Paywall, nach der dann alles wieder gut ist. „Verleger denken immer an eine Art Silver-Bullet, die eine Lösung, die für eine hohe Rendite ihres Geschäftsmodells sorgen soll. Die gibt es aber so nicht.“ Erst durch ein Portfolio von bezahlten Online-, Smartphone-, App-, E-Commerce- und digitalen Service-Aktivitäten haben Medienunternehmen die Chance, ein Produktportfolio zu haben, das ihren Qualitätsjournalismus dauerhaft finanziert. Eine Paywall allein reiche laut Waller jedenfalls niemals aus.
Adwall für Einzelartikel
Und was hat das alles nun mit der Online-Werbung zu tun? Jede Menge. Im Zusammenhang mit der Abrechnung von Einzelartikeln könnten die Verlage nämlich genauso gut Adwalls einsetzen. „Die Adwall ist eine mögliche Form des geldwerten Leistungsaustausches zwischen Verlag und Nutzer“, sagt Waller. Lösungen gibt es hierzu bereits. So bietet der Münchener Spezialvermarkter Captcha Ad seine gleichnamigen Werbemittel als Paywall-Ersatz für Einzelartikel an. Anstatt sich für den Artikel registrieren und zahlen zu müssen, kann der Nutzer einen Werbespot betrachten und darauf eine Frage zum Werbespot beantworten. Erst dann steht dem User der volle Inhalt des Artikels zur Verfügung. Captcha Ad preist das System als Micropayment-Ersatz-Lösung an, das aus Advertisersicht überaus gute Leistungswerte mitbringen soll. „Die Beantwortung der gestellten Frage führt dazu, dass der Nutzer genau die Information abspeichert, auf die es dem Werbetreibenden ankommt. Wir erzielen mit unserer innovativen Werbeform durchschnittlich bis zu zweistellige Klickraten“, berichtet der Captcha-Ad-Gründer und Geschäftsführer Jan Philipp Hinrichs.
Auch andere Unternehmen sehen hier ihre Chance. Der Gaming-Vermarkter Game Ad Net (GAN) bietet beispielsweise mit dem neuen „In Content Video“ ebenfalls eine Adwall-Lösung für Verlage an. Anders als bei Captcha Ad verzichtet GAN jedoch auf die Frage-Antwort-Systematik. Wenn der Leser in der Online-Zeitung auf einen Interessanten Eingangstext eines Artikels gestoßen ist, kann er den Content durch Betrachten eines Werbevideos freischalten. „Unser In Content Video gewährleistet, dass der Werbespot wie bei einem Instream Video Ad vollständig abgespielt wird, bevor der Nutzer den gewünschten Artikel vollständig lesen kann. Dabei werden alle Videostandards der Werbeindustrie eingehalten“, sagt Marlon Werkhausen, einer der Geschäftsführer und Gründer von GAN.
Werkhausen betrachtet Adwall-Lösungen als die bessere Alternative zur Bezahlschranke: „Wir gängeln die Nutzer nicht. Alles basiert auf Freiwilligkeit. Es geht darum, mit einer hohen Usability Premium Content attraktiv zu machen. Für den bequemen Nutzer ist das Werbevideo eine ideale Alternative. Ein Klick anstatt sich irgendwo anzumelden oder das Angebot zu verlassen. Er erhält eine Premium-Erfahrung anstatt sich überall registrieren zu müssen, wo er gerade einen interessanten Artikel sieht. Das wird er nicht tun.“ Ein Hauptargument gegen Bezahlschranken läge im Wesen der Digital Natives, die mit kostenlosen Online-Inhalten aufgewachsen sind. „Nutzer lassen sich nicht einfach umerziehen. Aus der Gaming-Branche wissen wir, dass gut 30 Prozent niemals für Inhalte zahlen werden“, sagt Werkhausen.
Was wird hinter der Paywall und Adwall passieren?
Bisher hört man wenig, wie die unterschiedlichen Bezahlschranken bereits bei den Verlagen eingeschlagen haben. „Die Verlage haben uns zurückgemeldet, dass die Reichweite nach Einführung der Bezahlschranken nicht oder nicht merklich zurückgegangen ist“, sagt Kansky. Gregor Waller weiß hingegen zu berichten, dass „abhängig davon, wie smart eine Paywall eingeführt wird, Verlage zwischen 10 bis zu 25 Prozent ihrer Online-Nettoreichweite einbüßen können.“ Doch was sich erst einmal tragisch anhört, sei bei näherer Betrachtung aus kaufmännischer Sicht weniger schlimm. „Der größte Teil der Abwanderungen sind die illoyalen Nutzer. Das sind Nutzer, die einem Verlag im Jahr gerade einmal 10 Cent Umsatz gebracht hatten“, sagt Waller.
Und schon denken die Verlage bereits weiter an eine Zeit, in der Paywalls für den Nutzer selbstverständlich geworden sind. So haben sich die Verbände innerhalb der IVW darauf geeinigt, dass der IVW neben neuen mobile Nutzungsdaten und digitale Verkaufszahlen ab August 2013 „Paid Content“ für die verkauften Zugriffsrechte an kostenpflichtigen digitalen Angeboten (Apps und Online-Angebote) einführt. Die Statistik „Paid Content“ wird mit einer Impulsmessung gekoppelt. Bei jedem Angebot, das am Meldeverfahren teilnimmt, muss die mindestens einmalige Nutzung des Angebots pro verkaufte Lizenz technisch festgestellt und ausgewiesen werden. Aus dem im Meldeverfahren „Paid Content“ erfassten Zahlen soll unter bestimmten Bedingungen ein Zuzüglich-Ausweis in der Print-Auflagenstatistik ermöglicht werden.
Hinter der Wand wird’s teurer
Wird damit Online-Werbung in Paid-Content-Umfeldern langfristig hochpreisiger? „Das ist die Annahme, die aus meiner Sicht plausibel ist. Inhalte, für die die Nutzer bereit sind, Geld auszugeben, werden in der Regel intensiver genutzt werden als frei verfügbarer Inhalt. Davon wird dann auch die Werbung profitieren“, meint Kansky vom BDZW. Waller sieht das ganz genauso. Der Berater glaubt, dass Nutzer, die sich für ein Bezahlmodell entschieden haben, die Inhalte besser zu schätzen wissen. „Sie konsumieren die Artikel hinter einer Paywall länger und bewusster.“ Das sei für Werbekunden ein gutes Zeichen, weil solche Nutzer aufmerksamer und für Werbebotschaften empfänglicher sind. „Ich glaube, dass zukünftig, sobald die Werbeindustrie diese differenzierten Produkte verstanden hat – und das kann in der Breite durchaus 10 Jahre dauern –, die Werbung hinter einer Paywall hochpreisiger sein wird als Werbung auf der frei zugänglichen Homepage einer Online-Zeitung.“
Wallers Ansicht wird nicht überall geteilt. „Dieser Transfer funktioniert doch nicht. Ein zahlender Nutzer will doch nicht noch Werbung sehen“, meint Werkhausen von GAN. „Wenn ein Verlag lernen möchte, wie er mit seinen Online-Inhalten Geld verdienen kann, dann muss er sich das von der Gaming-Industrie abschauen. Auch in der Spielebranche besteht ein immenser Wettbewerbsdruck. Auch hier geht es um Usability und User Experience. Man kann doch nicht erst Geld vom Nutzer für die Contentnutzung verlangen, um dann hintenherum über Werbung mit diesem Content noch mehr Geld zu verdienen. Das wird nicht klappen.“
Wer Recht behalten wird, das wird die Zukunft zeigen. Sicher ist dass die Werbetreibenden sich eher Werkhausens Argumentation anschließen werden. Waller glaubt hingegen, dass die Verlage für eine erfolgreiche Paid-Content-Vermarktung einfach ihre Hausaufgaben in Form besserer Marktforschung machen müssen: „Um Qualitätsjournalismus auch in einer digitalen Zukunft finanzieren zu können, sind Verlage dazu verdammt, nicht nur ihren Lesern, sondern auch den Werbetreibenden bessere und noch hochwertigere Produkte zu liefern. Der digitale Wandel verlangt von ihnen, dass sie ihre Nutzer endlich richtig kennenlernen müssen. Und das ist auch eine gute Botschaft für die Werbetreibenden.“
Eine Ära geht zu Ende
Fest steht, die Branche befindet sich gerade im Umbruch. „Irgendwann werden wir zurückschauen auf eine Zeit, in der wir wie im Mittelalter alle glaubten, dass die Welt flach ist. Das alte Modell der Verleger, dass der zahlende Nutzer ihnen gehört, wird zu einem Ende kommen. Genauso müssen die Nutzer jetzt lernen, dass die Ära der kostenlosen Inhalte zu Ende geht. Und am Ende steht vielleicht eine neue Ära, in der Nutzer bezahlen, aber den Verlagen nicht mehr ‚gehören‘, sondern in der die Verlage täglich durch noch relevantere Inhalte und Angebotsbündel um die Aufmerksamkeit und Bezahlbereitschaft ihrer potenziellen Kunden ringen“, resümiert Waller.
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