Meetrics-Geschäftsführer Philip von Hilgers plädiert für eine präzisere Messung der Werbewirkung. Auch Vermarkter können davon profitieren, wenn sie ihr Portfolio besser kennenlernen. Getrieben wird die Entwicklung aber von Agenturseite.
Adzine: Warum brauchen wir die Messgröße Ad Visibility?
Philipp von Hilgers: Die Ad Impression ist an eine Grenze gekommen. Sie besagt ja nur, dass bei einem Adserver ein Werbemittel angefordert, aber nicht zwingend auch in einem Browser ausgeliefert wurde. Da die Ad Impression abrechnungsrelevant ist, verlangen Marktteilnehmer inzwischen nach einem Wert, der belegt, ob die Werbeauslieferung überhaupt geglückt ist. Und zwar für jede individuelle Platzierung. Das ist wichtig, wenn man die Vielfalt an Möglichkeiten bedenkt, wie der User heute mit einer Seite interagieren kann.
Adzine: Wie kann die Ad-Visibility-Messung denn das Verhalten der Nutzer abbilden? Es wird doch nur die erfolgreiche Auslieferung getrackt.
Philipp von Hilgers: In der einfachsten Definition stimmt das, aber die Frage lautet: Was ist Auslieferung? Da gibt es viele Sachverhalte, die einen Unterschied aufweisen zwischen erfolgreicher Auslieferung durch den Adserver und tatsächlicher Sichtbarkeit. Der User hat vielleicht nicht zum Werbemittel gescrollt. Er hat den Fensterfokus auf seinem E-Mail-Client, während im Hintergrund eine Seite geladen wird, deren Werbung er natürlich nicht sieht. Gleiches gilt für Pop-unders. Oder stellen Sie sich vor, der Nutzer kommt über einen Link auf eine Seite und drückt dann den Back-Button im Browser. Dann landet er dort, wo der Link steht. Gleichzeitig wird die Seite aber neu geladen und die Werbung auch in Bereichen eingespielt, die der Nutzer gar nicht sieht.
Ein weiteres Beispiel können wir auf Seiten sehen, die die User sehr gut kennen und regelmäßig besuchen. Dann scrollen die Benutzer mitunter sofort zu dem Seitenbereich der sie interessiert, noch bevor die Werbung vollständig geladen wurde. All diese Vorgänge können wir messen und kommen zu dem Ergebnis, dass rund 30 Prozent der Werbeeinblendungen für den Nutzer gar nicht sichtbar sind.**
Adzine: Funktioniert das mit allen Browsern?
Philip von Hilgers: Mit allen gängigen Browsern, Ad-Formaten und Betriebssystemen. Es gibt Einschränkungen, wenn die Werbung mit iFrames in Drittseiten eingeblendet wird, dann kann unser Script natürlich nicht das abbilden, was der Browser an Inhalten in der Hauptseite anzeigt. Das ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Wir haben aber eine Lösung entwickelt, die auch die Sichtbarkeit der im iFrame platzierten Werbung misst. .
Adzine: Gibt es in dieser Messung auch eine Berücksichtigung des Umfelds, in dem die Werbung erscheint, also der Frage, ob es viele andere Werbemittel gibt, die den User ablenken, oder ob der Content selbst sehr grafiklastig ist?
Philip von Hilgers: Ja, das ist möglich. Wir haben Erweiterungen entwickelt, die den Ad Clutter messen, also die Dichte der Werbeeinblendungen auf einer Seite. Das ergibt dann Aussagen wie: Die Werbung hat im Moment des Werbekontakts 10 Prozent der Fläche eingenommen, weitere 20 Prozent war durch andere Werbung belegt und 70 Prozent gehören dem Inhalt der Seite.
Adzine: Sehen Sie durch Ihre Messungen über- oder unterbewertete Platzierungen und Werbemittel?
** Das ist schwer zu pauschalisieren. Jedes Format hat Stärken und Schwächen. Wir können aber identifizieren, ob ein Format, das eine umfangreichere Werbebotschaft transportiert, auch an der richtigen Stelle erscheint, also an einer Stelle, wo der Nutzer der Werbung überhaupt die Zeit hat, die Werbebotschaft zu verstehen. Da kann eine Platzierung mit niedrigerer Sichtbarkeitsrate besser funktionieren, wenn dafür die Sichtbarkeitsdauer höher ist. Uns sind allerdings auch Seiten bekannt, wo es sehr grenzwertig ist, wie die Werbung platziert wird, mitunter sogar unter dem Impressum.
Adzine: Die Suche nach einer neuen Messgröße für Online-Werbung ist nicht neu. Es scheint, als kommt die Festlegung auf Ad Visibility nur langsam voran. Trügt der Schein?
Philipp von Hilgers: Es stimmt, dass viel über Ad-Visibility-Standards gesprochen wird, auch zwischen den Verbänden von Vermarktern, Agenturen und Werbetreibenden. Die Verständigung auf eine einheitliche Definition von Visibility hat sich als schwierig erwiesen. Es geht vor allem um die Schwellwerte, ab wann eine Werbeeinblendung als „sichtbar“ gewertet wird. Das produziert mitunter auch Diskussionen bei den Kampagnenmessungen selbst, wenn unterschiedliche Verfahren zum Einsatz kommen. Unser System ist in der Lage, zu allen im Markt eingesetzten Verfahren kompatible Messdaten zu liefern.
Aber es gilt auch festzuhalten, dass die Visibility-Messungen gerade in Deutschland schon sehr weit eingesetzt werden. Bei Branding-Kampagnen ist Ad Visibility mittlerweile ein Standard. Keine Agentur würde es heute versäumen, von den Vermarktern einzufordern, dass gewisse Werbesichtbarkeitskennzahlen auch erreicht werden. Das ist heute Tagesgeschäft. Deutschland ist da weiter als viele andere Märkte.
Adzine: Wenn die Agenturen das nachfragen, dann deutet das darauf hin, dass die Preise im Premiumbereich eher sinken sollten.
Philipp von Hilgers: Das würde ich nicht sagen. Es geht darum, dass Kampagnenziel und Platzierung zueinander passen. Auf der Vermarkterseite sind Produkte von uns im Einsatz, um das Portfolio zu evaluieren und zu optimieren. Da kommen auf einmal Platzierungen zutage, die sehr lange Sichtbarkeitszeiten von über 20 Sekunden haben. Das hat dann Qualitäten, wie sie sonst nur Video-Ads haben. Hier können die Vermarkter neue Premiumprodukte entwickeln, die dann auch ihren Preis haben. Die Sichtbarkeitsdauer ist ja ein sehr kostbares Gut. Nicht umsonst sprechen wir hier vor allem mit Vermarktern, die sich große Mühe geben, ihre Platzierungen auch attraktiver zu machen. Wer nur mit SEO-Maßnahmen Traffic akquiriert, lebt gut mit der Währung Ad Impression, denn dann ist die Werbung mit dem Seitenaufruf ja schon verkauft.
Adzine: Gibt es Vermarkter oder Publisher, die sich komplett dagegen sträuben?
Philipp von Hilgers: Eigentlich nicht mehr. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass sich Vermarkter darum reißen, gerade wenn Agenturen diese Messungen ausführen wollen. Aber es gibt keinen Vermarkter, der sagt, er würde das partout nicht zulassen. Das wäre ja auch etwas seltsam, wenn der Skrupel davor hätte, sich messen zu lassen.
Adzine: Herr von Hilgers, vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Interview führte Frank Puscher
Veranstaltungstipp: Philipp von Hilgers spricht auf der Adtraders Conference in Berlin über Ad Visibility als Kennzahl zur Qualitätssicherung beim dynamischen Mediaeinkauf.