Technologie ist eine feine Sache: Im Display-Advertising automatisiert, beschleunigt und präzisiert sie die Zielgruppenansprache beträchtlich. Doch einfach das rote Knöpfchen drücken und sich entspannt zurücklehnen – das funktioniert so nicht. Expertenwissen ist gefragter denn je. Der SEA-Sektor zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Dort ist das Kampagnenmanagement hochgradig automatisiert, doch ohne Handarbeit läuft gar nichts. Eine ähnliche Entwicklung könnte das Real-Time Display Advertising (RTA) nehmen.
Doch der Königsweg ist noch nicht gefunden. Fest steht: Die Technologien sind ebenso vorhanden wie werberelevante Daten anonymer Nutzergruppen. Doch Daten sind zunächst dumm, die Technik auch. Um Big Data für RTA gefügig zu machen, ist Kreativität ebenso nötig wie Pioniergeist und eine gehörige Portion Neugier. Nur mit den richtigen Algorithmen, Regeln und Verknüpfungen wird aus dem pampigen Datenschlamm ein feiner Schmierstoff für die Marketingmaschine Display.
„Zufall ist die schlechteste Regel“, sagt Andreas Schwibbe, Geschäftsführer von ADNOLOGIES. Audience Targeting erfordert im Vorfeld daher Handarbeit. ADNOLOGIES bietet einen ganzen Baukasten für das Real-Time Advertising – von SSP über DMP bis hin zur DSP. In der DMP des Technologiedienstleisters gibt der User zum Beispiel vor, welche Daten er miteinander verknüpfen möchte. „In der DMP kann der Benutzer seine Datenquellen organisieren“, sagt Schwibbe. Das heißt: Ein Anbieter kann zum Beispiel seine 1st-Party-Daten mit 3rd-Party-Data anreichern, Display-Daten mit SEM-Daten abgleichen oder andere Datenquellen (z. B. CRM) zusammenführen. Dafür ist ein Mapping auf eine einheitliche ID die Voraussetzung. Anschließend lassen sich Kombinationsmatrixen erstellen, die regeln, welche Einzelkriterien vorhanden sein müssen, damit ein gewünschtes Datenattribut erfüllt ist.
Ohne Regeln läuft nichts
Hat ein Werbungtreibender mehrere Produkte im Portfolio und ist ein Nutzer mit mehreren seiner Cookies markiert, können einzelne Datenpunkte auch selektiv abgegriffen werden. Welches Interesse für eine Werbemittelauslieferung Vorrang hat, muss der Werbungtreibende im Vorfeld festlegen. „In der Regel wissen Agenturen ganz genau, welche Zielgruppe sie in welcher Frequenz ansprechen möchten“, erläutert Schwibbe. Zudem ist die Thematik häufig noch übersichtlich, da bisher ein schlichtes Retargeting den Hauptanteil am RTA-Geschäft hat. Für diesen Fall sind die Auslieferungsregeln eindeutig. In vielen anderen Fällen muss der Werbungtreibende oder seine Agentur zuvor ein mehr oder weniger komplexes Regelwerk festlegen, wie mit den Daten umzugehen ist.
„Viele Kunden beginnen über den Tellerrand zu schauen“, sagt Schwibbe. Sie kennen ihre eigenen Website-Besucher, können deren Klickströme nachvollziehen, wissen um deren Interessen und ziehen nun 3rd-Party-Daten heran, um diese Nutzer noch besser zu verstehen. „Durch die intelligente Datennutzung lassen sich neue Zielgruppen erschließen, die man vorher gar nicht erreicht hätte, weil die Nutzer unbekannt waren“, sagt Schwibbe. Das Prinzip: Wurden charakteristische Merkmale für die Zielgruppe identifiziert, kann man anhand dieser Merkmale und unter Zuhilfenahme einer Data Exchange auch jene User ansprechen, die bisher keinen Kontakt zur Marke hatten.
Begehrte Zwillinge
„Die hohe Kunst ist es, den statistischen Zwilling zu finden“, sagt Oliver Weiss, Sales Director DACH, Turn. In der DSP des Technologieanbieters ist ein Data Exchange integriert. Rund 45 Datenprovider sind dort angebunden. Das Gros stellen – historisch bedingt – US-amerikanische Anbieter. Bei jeder Kampagne gilt es zunächst, Anforderungen und Zielgruppe zu definieren. Anschließend müssen die Account-Manager von Turn eruieren, welche Datenanbieter am besten zur beschriebenen Zielgruppe passen.
Dass Standards fehlen, um die Daten der Anbieter direkt zu vergleichen und jeder Datenanbieter „sein Ding“ macht, ist für Weiss kein Problem, „weil man so die Möglichkeit hat, die Besonderheiten eines Datenanbieters herauszukristallisieren“. So optimiert jeder Datenanbieter seinen Bereich. Während sich zum Beispiel der eine auf gute Businessdaten spezialisiert hat, fokussiert der nächste auf Brand-Safety. „Der Account-Manager muss wissen, wie die Taxonomien definiert sind und Vorarbeit leisten“, sagt Weiss. Auch Forecasts für die Nutzung bestimmter 3rd-Party-Data-Dienstleister gehören dazu.
Überblick behalten ist schwierig
„Die Vielfalt der Datenanbieter macht es unmöglich, eine grundsätzliche Entscheidung für einen bestimmten Datenlieferanten zu treffen“, sagt Oliver Busch, Geschäftsführer der DSP Spree7. So könne es sich niemand leisten, nur Daten eines Dienstleisters zu nutzen und alle anderen Data-Provider zu ignorieren. „Das ist in der jetzigen, noch jungen Phase des Marktes nicht sinnvoll“, sagt Busch, der genau darin auch eine große Herausforderung sieht. So können auf einer DSP quasi auf Knopfdruck Datenanbieter hinzu- oder abgeschaltet werden. „Der Bediener einer DSP muss wissen, woher die Daten eines Anbieters stammen und wie sie erhoben wurden“, betont Busch. Die hohe Kunst ist es dann, einen bestimmten Datenpunkt von Anbieter A mit einem weiteren Datenpunkt von Anbieter B zu kombinieren. Während manche Daten auf gemessenen Fakten basieren, handelt es sich bei anderen Anbietern bereits um Hochrechnungen, wieder andere liefern Daten aus dem Dialogmarketing, die erst für das Audience Targeting anonymisiert werden müssen. Und stets kommen neue Anbieter mit weiteren Daten hinzu. Busch sieht die größte Herausforderung im Audience Targeting daher darin, den Überblick über Marktteilnehmer, Erhebungsarten und aktuelle Entwicklungen zu behalten.
Datenkonzepte testen
Die Menge an Daten sehen viele Marktbeobachter als die größte Schwierigkeit. Je mehr Datenpunkte verfügbar sind, desto schwerer ist es, Insights zu identifizieren. Hier ist analytisches Denken und Arbeiten von Fachkräften angesagt. Oft werden bei der Kombination verschiedener Daten auch Annahmen getroffen, die dann im Feld zu bestätigen sind. Eine elegante Möglichkeit ist es, verschiedene Datenkonzepte aufzusetzen und sie gegeneinander laufen zu lassen. So wird schnell deutlich, welches Datenkonzept funktioniert und welches weniger geeignet ist.
Aus Sicht von Busch ist ein semiautomatisiertes Vorgehen auch in Zukunft am erfolgversprechendsten – also die Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz. „Die weitere Entwicklung ist nicht durch die Technik limitiert, sondern durch die Fähigkeiten der Dienstleister und Nutzer, die Audience Targeting einsetzen“, sagt Busch. Bisher werde im datengetriebenen Display-Advertising ohnehin lediglich ein Prozent der technischen Möglichkeiten ausgenutzt. „Die Technik ist vorhanden. Jetzt müssen die Logiken entwickelt werden, um dem User stets eine relevante Botschaft zu präsentieren.“ Dass ein Automobilhersteller in drei Jahren einem Nutzer Display-Werbung für ein günstiges Sonderangebot einblendet, obwohl dieser preis-unsensibel ist und sich für eine höhere Wagenklasse dieses Herstellers interessiert – das hält Busch für ausgeschlossen. So könnte jedes Business seine eigenen Daten-Logiken entwickeln. Vorausgesetzt, man verliert nicht den Überblick über seine Daten, ihre Herkunft sowie ihre Erhebungsart. Busch rät in diesem Zusammenhang unbedingt zur Kontinuität: „Ein einmaliger Überblick reicht nicht. Das Wissen von heute kann in zwei Monaten passé sein.“
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