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Das etwas andere RTB-Ökosystem

Frank Puscher, 15. April 2013

Noch hat Deutschland die Chance, ein eigenes RTB-Ökosystem zu entwickeln, das besser funktioniert als der US-Markt, meint InteractiveMedia Geschäftsführer Philip Missler. Dafür müssen aber alle Marktteilnehmer dazulernen.

Adzine: Herr Missler, in Ihrem Vortrag auf der diesjährigen Adtrader Conference sprechen Sie davon, dass RTB die Probleme von Publishern und Nutzern lösen kann. Erläutern Sie das bitte näher.

Philip Missler

Philip Missler: Auch qualitätsorientierte Publisher haben strukturelle Probleme mit einer fairen werblichen Monetarisierung ihres Gesamtinventars. Die umfeldbezogene Vermarktung kann eben nur einen Teil des Inventars erschließen. Der ist selten größer als 50 Prozent. Das Umfeld spielt zwar eine große Rolle, aber nicht mehr die einzige. Vor allem Publisher, die sinkende Printerlöse kompensieren müssen, stehen vor der Aufgabe, ihr Inventar so zu positionieren, dass das, was nicht über das Umfeld vermarktbar ist, nicht sofort in den „Restplatz“-Bereich durchsackt. Der einzelne Publisher kann das nicht allein lösen. Es muss passende Vermarktungsprodukte vor allem für den Mid Tail geben, damit sich die Marktstruktur ändert. RTB kann uns dabei helfen, wenn wir es schaffen, die Logistiklösung RTB zu einem produkt- und lösungsorientierten RTA-Ecosystem weiterzuentwickeln.

Adzine: Wie definieren Sie Mid Tail? Müsste das nicht gerade durch RTB ein Kontinuum sein?

Philip Missler: Absolut. Aber der Markt denkt in weiten Teilen immer noch in dieser falschen, aber einfachen Unterscheidung „Premium“ vs. „Reichweite“. In vielen Fällen geht es dabei vor allem auch um Preistaktik. Faktisch gibt es diesen klaren Schnitt nicht, es ist ein fließender Übergang. Große Teile des Marktes haben sich darüber aber bisher einfach keine Gedanken gemacht. Wir sollten uns auf die Frage konzentrieren: Welche Produkte und Lösungen können wir anspruchsvollen Werbetreibenden für ihre Herausforderungen anbieten? Der Rest ist eine philosophische Debatte.

Adzine: Sie waren letztes Jahr noch etwas verhalten in Ihrer Prognose bezüglich RTB, nun klingt Ihr Abstract fast euphorisch. Was hat den Gesinnungswandel ausgelöst?

Philip Missler: Wir waren letztes Jahr in der Lernphase. Zur dmexco hatten wir eine Richtung und sind dann im November in die Betaphase übergegangen. Da wussten wir noch nicht, ob unser Konzept aufgeht. Heute wissen wir das. Das Selbstvertrauen ist da. Wir haben einige starke Partner, die unseren Weg mitgehen. Und davon hängt ja die Entwicklung ab. Wenn das Thema RTB als reines Performance-Thema betrachtet wird, bleibt es in einem Marktsegment, das schon gut durchoptimiert ist. Da bleibt wenig Wachstum.

Für uns hat das Thema eben auch eine Brand-Relevanz. Und wir haben 15 Partner, darunter viele Agenturen, die auch bereit sind, Private Deals für Lösungen in diesem Umfeld mit uns gemeinsam zu entwickeln.

Adzine: Lassen Sie uns an Ihren Erfahrungen in der Lernphase kurz teilhaben.

Philip Missler: Wir haben gelernt, dass viele Befürchtungen, die wir hatten, in der Praxis gar keine Rolle spielten. Das Thema Kannibalisierung mit unseren Sales fand nie statt. Im Gegenteil: Das Sales Team hat ganz schnell erkannt, dass sich den Kunden auf einmal Lösungen anbieten lassen, die vorher so nicht möglich gewesen wären.  

Umgekehrt sind Probleme aufgetaucht, mit denen ich nicht gerechnet habe. Da gab es vor allem ein paar technische Schwierigkeiten bei der Datenübergabe und dem Schnittstellen-Handling zwischen unterschiedlichen Plattformen zu überwinden.

Adzine: Ist das Ende der politischen Grabenkriege rund um RTB gekommen?

Philip Missler: Das, was auf Konferenzen und in der Öffentlichkeit wiedergegeben wird, ist vielleicht nicht immer das gesamte Bild. Ich glaube, dass allen Marktteilnehmern klar ist – und darüber herrscht hinter den Kulissen Konsens –, dass RTB das disruptivste Thema für das Online-Marketing seit Search ist. Da gibt es jetzt zwei Fraktionen. Die eine sagt: Das geht dann am Ende eben alles an Google. Und die andere Fraktion – und dazu zähle ich uns – fragt: Warum sollten wir nicht unser eigenes, etwas anderes RTB-Ökosystem für Deutschland und Mitteleuropa finden? Noch haben wir die Chance dazu.

Als Hintergrund muss man natürlich verstehen, dass das Thema Investitionen erfordert. Investitionen in Technik, in Prozesse, aber auch in Mitarbeiter. Wer solche Investitionen nicht tätigt oder nicht tätigen kann, möchte gerne beim alten System bleiben.

Adzine: Wer treibt den Markt von der Nachfrageseite?

Philip Missler: Es gibt schon einige große Werbungtreibende, die das Thema für sich entdeckt haben. Die Mehrheit der Direktkundennachfrage kommt aus dem E-Commerce- und Retail-Sektor. Aber wir werden in diesem Jahr auch erste Brandinglösungen mit großen Kunden launchen.

Adzine: Was ist die Rolle der Agenturen?

Philip Missler: Die Agenturen sind auch bei diesem Thema wichtige und gute Partner. Aber klar ist doch, dass wir die letzten Jahre – und da nehme ich uns und die Vermarkterseite nicht aus – ein Stück weit von der Intransparenz gelebt haben. Und das geht auf Dauer nicht gut. Das sind genau die Voraussetzungen, die eine disruptive Entwicklung überhaupt erst möglich machen. Wir müssen wieder verstehen, dass wir alle nur Dienstleister sind. Dienstleister für den Werbungtreibenden, den Publisher und letztlich für den Nutzer.

Adzine: Sie bemängeln das Fehlen von Standards bei der Ausspielung von Daten vom Publisher in die RTB-Systeme. Was genau fehlt?

Philip Missler: Technologieseitig haben wir noch einige Herausforderungen. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Technologieanbieter aus den USA kommen und einen internationalen Fokus haben. Beim aktuellen heterogenen Umfeld sind die einzelnen Bids zu teuer, weil man auf vielen Plattformen bieten muss und dann natürlich auch viele Auktionen verliert. Langfristig muss es zu einer Marktbereinigung kommen.

Auch die Entwicklung spannender Private Deals ist noch sehr kompliziert. Da müssen wir uns mit den Technologieanbietern daransetzen und Lösungen finden.

Das dritte Thema sind die Daten. Mein großer Wunsch ist, dass wir in Europa das Thema Datenintegration lösen. Das ist zurzeit ein zähes Ringen zwischen Vermarktern und Agenturen. Das kann auf Dauer nicht so weitergehen. Das sind Besitzstands- und Verteilungskämpfe, die nichts mit den Bedürfnissen der Kunden zu tun haben. Dabei entstehen die spannenden Vermarktungsprodukte doch erst, wenn wir von beiden Seiten Daten zusammenführen. Natürlich unter vertrauenswürdigen Bedingungen. Das ist eigentlich die größte Herausforderung. Dafür gibt es heute noch keine Lösung am Markt.

Adzine: Herr Missler, vielen Dank für dieses Gespräch.

Veranstaltungstipp: Philip Missler spricht auf der Adtrader Conference am 18. April in Berlin.

Bild Frank Puscher Über den Autor/die Autorin:

Frank Puscher arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist in der Online-Branche. Er schreibt regelmäßig für Publikationen wie ADZINE, InternetWorld Business, Ct, Internet-Magazin oder die Absatzwirtschaft. Seine Lieblingsthemen sind Usability, E-Commerce und Online-Marketing. Seit 12 Jahren arbeitet Puscher außerdem als Moderator auf Online-Veranstaltungen. Außerdem berät er Unternehmen und öffentliche Institutionen im Umgang mit Online-Marketing und Social Media.

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