Ein Beitrag im Blog eines Zigarren-Online-Shops schlägt hohe Wellen in der SEO-Szene – und nicht nur dort. Sogar Mainstream-Medien berichten, Welt.de etwa Anfang Januar mit der martialischen Einleitung: „Schmutziger Krieg im Netz: Firmen täuschen den geheimen Algorithmus von Google, um Konkurrenten auszuschalten“. „Krieg“, „geheim“, „ausschalten“, das klingt dramatisch und nach einer ziemlich großen Sache. Worum geht es genau?
Am 17. Januar veröffentlicht Andre Alpar im Blog des Zigarren-Shops Noblego.de einen längeren Beitrag mit der Überschrift „Es wird unsportlich: Angriffe auf Noblego“ . Andre Alpar ist in der Internetszene kein Unbekannter. Der Exberater von Rocket Internet (Samwer-Brüder) ist SEO-Experte und Partner der Berliner Online-Marketing-Agentur AKM3, zudem als Business Angel an zahlreichen Start-ups beteiligt. Darunter befindet sich eben auch der im März 2012 mit vielen Ambitionen an den Start gegangene Noblego-Shop.
Im Blog des Rauchwarenhändlers berichtet Alpar, dass Noblego Opfer von „,Negative SEO‘-Attacken“ geworden sei, deren Anfang er auf Mitte Dezember 2012 terminiert. Unbekannte hätten den Shop in zwei Angriffswellen mit Spam-Links mit den immer gleichen Ankertexten bombardiert. Die meisten Links, so Alpar, kämen „aus dem US-Bereich, am fünftmeisten Links aus Japan und dann haben wir scheinbar Links aus wildesten Ländern wie Thailand, Myanmar, Marokko, Indien, Ecuador und, und, und.“ Zudem sei Noblego Ziel eines DDoS-Angriffs gewesen, als dessen Folge der Shop zwei Tage offline gewesen sei.
Es sind aber vor allem die Negativ-SEO-Attacken, die Alpar laut seinem Blogeintrag Sorgen bereiten. Seine Befürchtung: Google könnte die Spam-Links als unnatürlich bewerten und die Noblego-Domain abwerten. Zwar habe „der negative SEO-Angriff noch (!) nicht gewirkt“, doch: „Wir sehen darin eine laut tickende Zeitbombe, deren Umfang noch nicht klar ist“, schreibt er. Alpar suggeriert, das hinter den von ihm berichteten Angriffen ein Konkurrent stecken könnte, der einem innovativen Mitbewerber durch Negative SEO schaden wolle. Starker Tobak. Doch wäre das überhaupt möglich? Und wie funktioniert Negativ-SEO eigentlich genau?
Prinzip Negative SEO: Feuer frei auf fremde Seiten
Der Begriff Negative SEO ist nicht neu, er beschäftigt die SEO-Szene bereits seit Längerem. Die Grundidee: Negative SEO ist der böse Zwilling des SEO, die dunkle Seite der Suchmaschinenoptimierung. Es nutzt klassische SEO-Techniken, aber zum genau entgegengesetzten Zweck. Statt die eigene Website im Google-Ranking nach oben zu bringen, zielt Negative SEO auf das „Abschießen“ einer fremden Seite durch offensichtliche Manipulationen, die von Google als solche erkannt werden müssen. Die ins Visier genommene Webseite soll im Suchindex von Google abstürzen oder gar gänzlich daraus verschwinden. Am einfachsten klappt das, so die Theorie, indem eine Seite massenhaft mit Spam-Links aus fragwürdigen Quellen beschossen wird. Solche schmutzigen Links sind in der Tat in großer Zahl für wenig Geld verfügbar, sodass eine Attacke ihren Urheber nur wenige Hundert Euro kosten würde.
Algorithmus-Update: Google verschärft Gangart gegen Link-Tricksereien
SEO-Tricksereien, die für eine Webseite eine tatsächlich gar nicht vorhandene Wertigkeit und Relevanz vorgaukeln, sind Google naturgemäß ein Dorn im Auge. Der Konzern schraubt daher ständig an seinen Algorithmen. Vor allem das jüngste Update, „Penguin“ genannt, hat für Wirbel in der SEO-Szene gesorgt. Mit dem im April 2012 ausgerollten Update will Google „SEO-Methoden ins Visier nehmen, die die Grenze zum Spamming überschreiten“, wie es im Webmaster-Blog des Konzerns heißt. Ziel von Penguin ist die Vermeidung von „Web-Spam“. Google versteht darunter vor allem massenhaft gesetzte unnatürliche Links, die in ihren Ankertexten sogenannte Money Keywords enthalten. Money Keywords wie „Kredit“, „Reise“ oder „Stromanbieter“ sind von großer Wichtigkeit, da sie extrem häufig als Suchbegriff bei der Google-Suche eingetippt werden. Michael Dunker, Chef der SEO-Firma Testroom aus Hamburg, erklärt: „Prinzipiell lässt sich das Ranking einer Seite positiv beeinflussen, wenn man Keywords in die Linktexte einfügt. Doch Webseiten, auf die zu viele solcher unnatürlichen Links führen, straft Google mit der Einführung von Penguin jetzt massiv ab.“ Das Update hat die SEO-Branche daher in ihren Grundfesten erschüttert. Und es hat die Diskussion über das Thema Negative SEO befeuert.
Experten: Negativ-SEO ist mehr Theorie als Praxis
Google ist besser darin geworden, Link-Tricksereien zu erkennen, und Google greift hart durch. Leistet Penguin also Negative-SEO-Attacken Vorschub, ist das Update eine Einladung für Spam-Link-Angriffe auf konkurrierende Webseiten? Olaf Kopp, Geschäftsführer der Hannoveraner Online-Marketing-Agentur Aufgesang, relativiert: „Negative SEO war theoretisch schon lange vor Penguin möglich.“ Aber, so Kopp weiter: „Das Penguin-Update hat die Filter von Google noch einmal sensibilisiert, was Überoptimierung beim Linkaufbau angeht. Das eröffnet natürlich neue Möglichkeiten für Negative-SEO-Aktivitäten.“
Kopp hält das Thema dennoch für überbewertet. „Für uns ist Negative SEO bisher nur Theorie und auch im Netz findet man nur vereinzelte Case Studies, die Sichtbarkeits- beziehungsweise Rankingverluste aufgrund von Negative-SEO-Kampagnen belegen“, so der Experte. Er sieht keine Gefahr durch Negative SEO, wenn mit „schwachen, automatisiert gesetzten Links auch in großer Menge gearbeitet wird“.
Anders könnte es aussehen, wenn jemand „im großen Maße manuell erstellte Links mit ‚harten Ankertexten‘ verwendet.“ Insbesondere, wenn die Links aus dem Zusammenhang heraus platziert sind und die URLs/Domains aufgrund vieler ausgehender Links solcher Machart „nach Linkverkauf ,riechen‘“. Doch das Setzen solcher Links sei „sehr aufwendig beziehungsweise kostspielig“. Für Kopp stellt sich die Frage, „warum jemand so viel Energie in die Schädigung einer Domain stecken sollte, anstatt mit demselben Aufwand die eigene Domain zu stärken.“ Zumal sich solch aufwendig gesetzte Links mithilfe des im Oktober 2012 von Google eingeführten „Disavow Tool“ für ungültig erklären lassen. Die Nutzung des Tools, so Kopp, sei „aber nur zu empfehlen, wenn man hundertprozentig sicher ist, dass es sich um Spam-Links handelt“.
Der SEO-Experte Alexander Holl sieht das Thema Negative SEO ebenfalls eher gelassen. Zwar glaubt auch der Geschäftsführer der auf Online-Marketing-Seminare spezialisierten Agentur 121Watt, dass „Negative SEO in Form von Spam-Link-Attacken funktionieren kann, insbesondere bei schwachen Seiten“. Aber, so Holl: „Mir sind, zumindest aus letzter Zeit, keine wirklich überprüfbaren Fälle bekannt, in denen versuchtes Negative SEO langfristig Wirkung zeigte.“ Zudem ist er „auch sehr sicher, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit für diese Art von Angriffen immer weiter sinkt“. Der Grund sei, dass „Google immer mehr Gewicht auf ,Trusted Links‘ legen wird. Anstatt also schlechte Links zu werten und bei übertriebenem Einsatz eine Website abzustrafen, wäre es viel logischer eine dramatische Abwertung/Entwertung schlechter Links vorzunehmen.“ Die Folge sei dann, dass „schlechte Links weder im Positiven noch im Negativen wirken“.
Die beste Waffe gegen Negative SEO: Vertrauenswürdigkeit
Spannen wir den Bogen zurück zu Noblego. Hat der Zigarrenshop unter den Auswirkungen der von Andre Alpar publik gemachten Negative-SEO-Attacke zu leiden? Ist die „laut tickende Zeitbombe“ mittlerweile explodiert? Alpar erklärt auf Nachfrage: „Die ersten Spam-Links wurden Mitte Dezember gesetzt, das ist jetzt also circa zwei Monate her. Wir beobachten insbesondere die acht Keywords, die mit Links ,bespammt‘ wurden. Da lässt sich noch kein eindeutiger Trend ausmachen. Einige stehen besser und andere schlechter da als vor der Attacke.“ Entwarnung will Alpar aber noch nicht geben, denn: „Bei SEO geht man normalerweise davon aus, dass es mehrere Monate dauern kann, bis sich die Wirkung von Links wirklich voll entfaltet.“
Olaf Kopp von Aufgesang glaubt dagegen, „dass Andre Alpar als erfahrener SEO-Fachmann die Noblego-Domain bis dato schon lange bei Google etabliert und solche Attacken eigentlich nicht zu fürchten hat.“ Vielmehr würden „die Diskussionen und der Buzz um das Thema Negative SEO, den sein Beitrag erzeugt hat, der Domain noch einige – vielleicht nicht unbedingt thematisch passende, aber dennoch starke – Backlinks beschert haben“.
Kopps Fazit: Das Thema Negative SEO sei „in den letzten Monaten etwas zu hochgekocht worden ist.“ Etablierte Domains, die das Vertrauen von Google genießen, haben seiner Meinung nach „von Negative SEO nichts zu befürchten“. Die beste Waffe gegen Negative SEO sei daher, „die eigene Domain über qualitativ hochwertige Links zu einer in Googles Augen vertrauenswürdigen Quelle zu qualifizieren“.
121Watt-Geschäftsführer Alexander Holl ist da ganz ähnlicher Meinung. Sein Rat: „Integrieren Sie die Google-Webmaster-Tools, verwenden Sie gegebenenfalls Sicherheitssysteme, mit denen Sie Ihre Domain überwachen, bauen Sie vertrauenswürdige Links auf und sorgen Sie dafür, dass Ihre Seite auch von anderen Quellen als Google Besucher erhält. Erstellen Sie gute und wertvolle Inhalte, machen Sie Ihre Seite einfach crawlbar.“ In der Summe dieser Maßnahmen, so Holl, „geben Sie Google ganz viele Indizien, dass Ihre Seite vertrauenswürdig ist und sinnvolle Inhalte für Ihre Nutzer zur Verfügung stellt“.