„Handy“, sagt der Deutsche und der Engländer wundert sich. Während so mancher Taschentelefonbenutzer zwischen Garmisch und Flensburg glaubt, damit den englischen Fachbegriff zu benutzen, käme ein Native Speaker nie auf die Idee, sein „mobile phone“ wie einen Hund zu nennen. Online-Marketern passiert dies natürlich nicht, aber selbst die Aufgeklärtesten unter ihnen sehen sich mit großen Fragezeichen konfrontiert, wenn es um Taxonomien von Content, Werbung oder Zielgruppen geht. Das ist vor allem im Real-Time-Advertising ein Problem. Heißt „autoaffin“, dass der potenzielle Adviewer vor Kurzem ein Auto gekauft hat? Oder bedeutet dies, dass er vor drei Wochen eine Auto-Website besucht oder womöglich nur die Formel-1-Ergebnis-Meldung gelesen hat? Noch kaufen Advertiser oft die Katze im Sack. Die Branche könnte Standards vertragen.
Langsam setzt sich die Erkenntnis durch: Real-Time-Bidding nur für Retargeting und Restplatzvermarktung zu nutzen, wäre Perlen vor die Säue. Nicht nur die frischen, hauseigenen Real-Time-Media-Plattformen der Premiumvermarkter Spiegel QC und InteractiveMedia zeigen, wohin die Reise geht: Premium-Publisher entdecken die Echtzeitvermarktung und ihre Advertiser ziehen nach. Sie schätzen die geringen Streuverluste und den effizienten Mediaeinkauf. In Anbetracht des qualitativ immer besseren Inventars werden künftig verstärkt Brandingkampagnen in Echtzeitauktionen verkauft werden – da sind sich viele Marktbeobachter sicher. Laut Lothar Prison, Chief Digital Officer bei VivaKi, gibt es zwei Ansätze, um RTB für Brandingkunden noch spannender zu machen: „Einerseits braucht es echtes Premiuminventar, das transparent über RTB belegt werden kann, um eine Art Umfeldplanung über RTB zu realisieren. Andererseits braucht der Markt auch Daten, idealerweise hart gemessen statt nur predicted, um Zielgruppen unabhängig vom Umfeld anzusteuern.“
Planungs-Tool für RTB?
Wenn Edel-Advertiser auf Premium-Publisher treffen, ist eines klar: Beide wollen Planungssicherheit. Im bisherigen klassischen Display-Advertising ist die Werbewelt vergleichsweise in Ordnung. Für Mediaplaner gibt es verlässliche Planungsgrundlagen wie das Toptool der AGOF. Die eigenen Zielgruppen können so ausfindig gemacht und gebucht werden.
Doch wenn die großen Marken dazu übergehen, sich nicht nur Premiumumfelder, sondern auch Premiumprofile einzukaufen, wird es kompliziert. Insbesondere wenn Data Management Platforms (DMP) ins Spiel kommen, die zusätzliche Profildaten bieten. Wer weiß schon, was hinter den Kategorien „autoaffin“ oder „Lifestyle“ wirklich steckt?
Erste Ansätze sind vorhanden: IAB-Taxonomien beschreiben Content, für die Definition von Werbung eignen sie sich jedoch weniger. Für Profilbeschreibungen gibt es gar keine einheitlichen Regelungen. „Für demografische Standardzielgruppen können der OpenRTB-Standard oder die IAB-Taxonomien möglicherweise ausreichend sein“, sagt Prison. Nachfrage und Angebot müssten nur dann gematcht werden, wenn tatsächlich der Publisher als Datenprovider agiert. „In dem Fall sprechen wir aber auch längerfristig nicht über den offenen RTB-Raum. Ein solches Matching bedarf Abstimmung und kann über individuell verhandelte Deals, die die RTB-Infrastruktur nutzen, realisiert werden“, so Prison. Datenprovider bieten heute schon viele 3rd-Party-Zielgruppensegmente im Bereich Interesse, die vermeintlich ähnliche User targeten. „Dies geht weit über die IAB-Taxonomie hinaus. Datenquellen müssen daher hinterfragt werden, die Erhebungsmethoden bekannt sein, Validierungsmethoden bestenfalls seitens der Datenprovider etabliert werden, erst dann ist es möglich Daten zu bewerten und Kampagnen treffsicher auszuliefern“, so Prison.
Schneller informiert, schneller geplant
Naheliegend wäre es, hierfür – wie auch immer geartete – Planungsgrundlagen zu schaffen. Ein Informationsunternehmen wie Nielsen verfügt zum Beispiel bereits über Möglichkeiten, zusätzliche Metriken für Targeting-Modelle zu liefern und setzt dies auch in zahlreichen Ländern ein. „Diese bestehen sowohl aus Informationen aus unserem Nielsen Buy-Bereich, also Insights aus der Konsumgüterindustrie, als auch aus Erkenntnissen aus dem Watch-Bereich, also dem Nutzungsverhalten der Konsumenten auf den digitalen Plattformen wie PC, Smartphones und Tablets oder auch im TV“, erläutert René Lamsfuß, Commercial Director, Digital Germany bei Nielsen.
Schon heute liefert Nielsen mit „Online Brand Effect“ eine Möglichkeit, qualitative Faktoren wie Branding, Image oder auch Kaufverhalten direkt in die Targetingsysteme zu integrieren. Darüber hinaus hat das Unternehmen im letzten Jahr in den USA und UK eine Lösung zur Reichweitenmessung von Kampagnen im Markt eingeführt, die es ermöglicht, bereits am nächsten Tag die Leistungswerte für eine Kampagne im Hinblick auf Nettoreichweite, Demografien, GRPs, Kontakte und vieles mehr zu bewerten, um dies dann bei Optimierung oder Einkauf zu berücksichtigen. „Dabei können schon kleinste Kampagnen auf Tagesbasis erfasst werden“, sagt Lamsfuß. Ob Nielsen-Metriken auch für das Targeting beim Real-Time Bidding genutzt werden könnten, sei eine Entscheidung von Vermarktern, Agenturen und Werbetreibenden. Nielsen liefert die Leistungswerte zur Bewertung von Kampagnen und auch Lösungen zur Integration der Daten in interne Tools. „Ob und welche Businessmodelle sich im Markt durchsetzen, hängt von den Marktteilnehmern selber ab“, so Lamsfuß.
Projekt connect
Neben einer noch „geheimen“ RTB-Fachgruppe im BVDW soll sich aber auch schon die AGOF mit dem Thema Standardisierung beschäftigen, allerdings steckt man noch in den Anfängen, gleichwohl mit der nötigen Priorität wie Claudia Dubrau, Geschäftsführerin der AGOF versichert: „Bei der AGOF steht das Thema Standards und standardisierter Datenaustausch im Rahmen von ‚connect‘ ganz oben auf der Agenda. Neben vielen anderen marktrelevanten Themen und Anforderungen beschäftigen wir uns natürlich auch grundsätzlich mit dem Thema Real-Time Bidding. In diesem Kontext gibt es noch Definitionsbedarf im Hinblick auf die Abgrenzung von Real-Time Bidding, Real-Time-Advertising, Programmatic Buying und Programmatic Selling." Hinter „connect“ ‘verbirgt sich der Austausch von Bewegungs- und Stammdaten. Allen Nutzern der AGOF sollen die Studienangebote, Aufträge und Tarifdaten über eine zentrale Schnittstelle bzw. später über ein Portal zur Verfügung gestellt werden. Connect wurde vom OVK entwickelt und dann an die AGOF zur Umsetzung übergeben.
Alles auf Linie oder Multikulti?
Planungsgrundlagen im Echtzeitbusiness beginnen jedoch bereits mit ganz grundlegenden Dingen. So wollen Publisher beispielsweise beim Real-Time Bidding stets die Qualität der Inhalte auf ihrer Seite kontrollieren und unangenehme Werbung ausschließen können. Advertiser hingegen sind um ihre Marke besorgt und müssen zwielichtige sowie schlicht unpassende Umfelder für ein Real-Time Bidding ausschließen können. Um dies sicherzustellen, muss mit Ausschluss- und Erwünscht-Listen hantiert werden. Verwenden DSP und SSP unterschiedliche Taxonomien, kommt es auf den gesunden Menschenverstand an, um beispielsweise unpassende Umfelder beziehungsweise unerwünschte Werbung zu erkennen und auszuschließen.
Um solche Kontrollmechanismen planungssicherer abzubilden, könnten Standards helfen. „Für ein effizientes Realtime Advertising muss sowohl auf DSP- als auch auf SSP-Seite ein einheitliches Black- beziehungsweise Whitelisting möglich sein. Standards könnten an dieser Stelle umständliche Taxonomie-Übersetzungen überflüssig machen“, sagt Mark Thielen, CTO bei Adtech. Hinzu kommt: Nur so ist es künftig möglich, das Black- und Whitelisting auch vollautomatisiert abzuwickeln. Wenn hingegen Taxonomien unklar sind, kann dies sogar den Preis der zu versteigernden Ad Impression beeinflussen. „Sind Werbekategorien nicht eindeutig, schließen Publisher auf ihrem Inventar sicherheitshalber mehr Werbung für das Real-Time Bidding aus, als nötig wäre“, so Thielen. Die Folge: Es werden weniger Gebote abgegeben und in ungünstigen Fällen wird vom Publisher nur der Floorpreis erzielt. Eine einheitliche Sprache im RTB-Business wäre somit der erste wichtige Schritt, um Real-Time Advertising effizienter – und vor allem besser planbar zu machen.
Ob es im zunehmend automatisierten Display-Advertising tatsächlich zu einer Entwicklung kommt, an deren Ende einheitliche Audience-Strukturen auf Einkaufs- und Verkaufsseite vorliegen, bleibt aber fraglich. Laut Prison wäre dies nur über Standards möglich, „die aber natürlich Einschränkungen mit sich bringen und wenig Raum für Individualität lassen.“ Aus seiner Sicht ist es keine zwingende Anforderung, dass Einkaufs- und Verkaufsseite die gleiche Audience-Struktur aufweisen. „Das ist heute im Targeting auch nicht unbedingt der Fall“, so Prison.
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