Als das Internet aufkam, wurden die Geschäftsmodelle von Verlagen kräftig durcheinandergewirbelt. Und während so manches Verlagshaus noch heute Schwierigkeiten hat, eine zeitgemäße Online-Strategie auf die Beine zu stellen, tobt längst die nächste Revolution vor der Tür: Mobile. Insbesondere die von Nutzern heiß geliebten Applikationen stellen aufgrund hoher Entwicklungskosten Verleger vor eine Herausforderung. Wie man damit umgehen kann, zeigt das beherzte Vorgehen der TOMORROW FOCUS AG, die für ihre Marken zahlreiche Apps an den Start gebracht hat. Beim Börsenportal Finanzen100 lautet das Motto sogar „Mobile First“. Adzine spricht mit Oliver Eckert, Geschäftsführer von TOMORROW FOCUS Media (u. a. FOCUS Online) und von Finanzen100, über die Herausforderung, die insbesondere Apps an die Verlage stellen.
Adzine: Herr Eckert, die TOMORROW FOCUS AG bietet sehr viele redaktionelle Inhalte auch als App an. Können Sie aus Sicht von Finanzen100 und FOCUS Online bitte beschreiben, welcher Aufwand dahintersteckt?
Oliver Eckert: Nach unserer Erfahrung braucht man für die Entwicklung von mobilen Applikationen einen Konzeptionierer und ein bis zwei Entwickler, die eine App möglichst nativ programmieren. Hinzukommt ein Interaction Designer – also ein Mitarbeiter, der Usability und Interaktionsmöglichkeiten verantwortet. Diese Kollegen sind bei uns in dedizierten Teams organisiert. Entsprechend der beiden Betriebssysteme iOS und Android arbeiten an Finanzen100 und FOCUS Online also jeweils zwei dedizierte Teams. Sie sind für ihre Apps verantwortlich und können anhand zuvor definierter Leistungsindikatoren, wie z. B. Reichweitenzielen, relativ frei entscheiden. Dadurch schaffen wir es, dass sich die Teams sehr schnell an den Marktbedürfnissen orientieren. Apps, die wir auf diese Weise umsetzen, haben geringe Entwicklungszeiten und kurze Update-Zyklen. Unterstützt werden die Teams von einem erfahrenen Projektmanager.
Adzine: Und wie aufwendig ist es, die Apps mit Inhalten zu füllen?
Eckert: Die Inhalte sind Online und Mobile weitgehend gleich, sie werden vor allem technisch angepasst. Allerdings passiert das bei uns auch in umgekehrter Richtung. So verfolgen wir bei Finanzen100 schon seit über zwei Jahren eine „Mobile First“-Strategie. Neue Produkte und Features werden für Mobile entwickelt und dann für den Desktop angepasst. Auch in der redaktionellen Denke streben wir „Mobile First“ an, denn Mobile hat den kleineren Bildschirm und oft langsamere Internetverbindungen. Wir sehen das als Vorteil. Wir glauben, dass wir bessere Produkte entwickeln, wenn sich Entwickler und Redakteure an „Mobile“ orientieren. Wir vernachlässigen dabei nicht den Desktopbereich, sondern setzen vielmehr eine neue Philosophie durch.
Adzine: Mit welchem Erfolg?
Eckert: Unsere Reichweiten und Umsätze steigen stark. Ein Beispiel: Cardscout.de, unser Vergleichsportal für Kreditkarten, war früher voller Links und Features. Die Kernfunktion – der Kreditkartenvergleich – war nur schwer zu finden. Den fälligen Relaunch haben wir zuerst mobil umgesetzt. Aufgrund der kleineren Bildschirmgröße haben wir ein radikal vereinfachtes, fokussiertes Produkt erhalten. Das mobile Ergebnis haben wir dann für den Desktop adaptiert. Der Erfolg hat selbst uns überrascht: Der Umsatz hat sich unmittelbar verdoppelt – ohne flankierende Maßnahmen. Seit wir „Mobile“ denken, haben wir aber auch redaktionell eine viel größere Sensibilität für die Schnelligkeit und die Aufbereitung von Nachrichten entwickelt. Unsere Redaktion ist jetzt rund um die Uhr besetzt und in den frühen Morgenstunden und am Wochenende stärker als zuvor. Vor allem Sport- und Liveberichterstattungen haben zugenommen. Diese positiven Aspekte aus der mobilen Denkweise helfen uns auch im Desktopbereich.
Adzine: Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, so viel Energie in Apps zu stecken?
Eckert: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die mobile Revolution stärker und durchgreifender ist als die Revolution vom Offline- zum Online-Business. Mobile wirbelt den gesamten Markt durcheinander. Apps bieten in diesem Zusammenhang die fantastische Möglichkeit, eine direkte Kundenbeziehung aufzubauen. Und das wiederum ist gut für die Werbung. Der Traffic auf HTML-Seiten stammt zu einem großen Teil von Google. Der Traffic in einer App kommt von den Stammnutzern, die direkt die Angebote aufrufen. Das ist eine Riesenchance. Außerdem glauben wir auch in HTML5-Zeiten, dass Apps überlegen sind. Sie fühlen sich besser an, sind performanter, lassen sich zum Beispiel passwortschützen und können Push-Nachrichten zustellen.
Adzine: … und man könnte sie auch kostenpflichtig anbieten, wie es unter anderem Springer oder die FAZ machen. Finanzen100 und FOCUS Online sind kostenfrei. Warum?
Eckert: Wir glauben zuallererst an Premium-Advertising. Mit diesem Geschäftsmodell verdienen wir Online gutes Geld und wir sind überzeugt, dass es auch im mobilen Bereich funktionieren wird.
Adzine: Dann muss also die Vermarktung der Apps die Kosten wieder einspielen. Wie gehen Sie dabei vor?
Eckert: Reichweite bauen wir mit klassischen Marketinginstrumenten auf, die sich auch online für uns bewährt haben. Unsere Apps bewerben wir auf unseren Webseiten, wir schalten Anzeigen in unseren Printpublikationen, werben in anderen Applikationen und buchen mobile Werbung. Am wichtigsten ist aber die Produktqualität. Eine gute App spricht sich schnell herum. So ist Finanzen100 innerhalb kürzester Zeit zum Marktführer unter den Börsen-Apps geworden. Für die eigentliche Inventarvermarktung fahren wir eine Doppelstrategie: Mobile Display-Ads und Kooperationen. Bei Letzteren werden unsere Werbekunden tiefenintegriert.
Adzine: Können Sie das bitte näher erläutern ...
Eckert: Für die Tiefenintegration werden Werbekunden bereits während der App-Entwicklung berücksichtigt. Deren Inhalte bereichern die Apps. Werbekunden von Finanzen100 ermöglichen es zum Beispiel den Nutzern, spezielle Börsenprodukte aufzurufen und zu vergleichen, User können Insidernachrichten abfragen oder Newsletter abonnieren. Dabei legen wir Wert darauf, dass Nutzer klar zwischen redaktionellen und gesponserten Inhalten unterscheiden können. Und das funktioniert bisher sehr gut. Solche Tiefenintegrationen wollen wir künftig auch für die Apps von FOCUS Online umsetzen.
Adzine: Apps bieten prinzipiell sehr viele kreative Werbemöglichkeiten. Warum sieht man davon bisher so wenig?
Eckert: Der Werbemarkt für Apps befindet sich in einem sehr frühen Stadium. Viele Kunden sind in der mobilen Welt noch nicht angekommen; oft fehlen Landing Pages, weil sie ihre Websites noch nicht mobilisiert haben. Hier leisten wir als Vermarkter Überzeugungsarbeit – indem wir Werbemittel mit- und vordenken, Landing Pages kreieren oder Werbewirkungsforschung beauftragen.
Adzine: Können sich ihre Apps heute schon aus den Werbeeinnahmen tragen – also Entwicklungs-, Update- und redaktionelle Kosten allein durch Werbung wieder einfahren?
Eckert: Das ist immer eine Frage der Betrachtungsweise. Werden nur die Kosten berücksichtigt, die zu 100 Prozent von den Apps verursacht werden, spielt die Vermarktung die Kosten bereits ein. Bei Finanzen100 haben zum Beispiel Mitte dieses Jahres die Umsätze aus mobiler Werbung erstmals die Umsätze stationärer Online-Werbung überholt.
Adzine: Wie geht es weiter?
Eckert: Viele Gespräche mit Nutzern und Kunden werden uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Was sind die Bedürfnisse? Was sollten wir anbieten? Mit Finanzen100 haben wir bereits zu einem frühen Zeitpunkt zahlreiche positive Erfahrungen gesammelt, die wir jetzt auf weitere unserer Apps ausrollen. Wir machen mobile Entwicklung nicht, um damit 2013 reich zu werden. Das stationäre Internet wird auch im kommenden Jahr der Haupteinnahmebereich sein. Aber der Markt für Mobile wird jetzt verteilt, das Rennen für Medienhäuser ist komplett neu eröffnet.
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