Uli Hegge zählt neben Stephan Noller von nugg.ad zu den hiesigen Targeting-Pionieren der digitalen Werbebranche. Er ist der Gründer des Behavioral Targeting Unternehmens Wunderloop, das nach seinem Austritt aus dem operativen Geschäft vom Wettbewerber AudienceScience übernommen wurde. Bis 2010 verantwortete der gelernte Jurist dann das Burda Media Innovation Lab. Von einem Leben als Privatier scheint Hegge noch immer weit entfernt. Überall dort, wo über Targeting und Data Management gesprochen und konferiert wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, Ihn anzutreffen. So auch auf den Data Days in Berlin.
Adzine: Herr Hegge, was macht Uli Hegge heute?
Uli Hegge: Aktuell bin ich an sechs Unternehmen beteiligt oder habe dort Board-Funktionen übernommen. Zwei davon haben ihren Sitz in Deutschland. Ich kümmere mich darum, dass diese Firmen so gut wachsen, wie es eben geht. Ich denke, dass meine unfassbar vielen Fehler aus der Vergangenheit nun dabei helfen, die Fehlerrate bei diesen Unternehmen möglichst niedrig zu halten.
Adzine: Was sind das für Unternehmen, wollen sie welche nennen?
Hegge: In Deutschland gehört beispielsweise der Mobile-Vermarkter apprupt dazu, hier bin ich im Advisory Board. Dann möchte ich noch eyeota nennen, die in Europa vielleicht noch nicht so bekannt sind. Eyeota ist eine Publisher-DMP (Anm. d. Red.: Data Management Platform) mit angeschlossenem Data-Marktplatz.
Adzine: Wo hat eyeota denn seinen Sitz?
Hegge: Das Headquarter ist in Singapur, das Technologiezentrum ist in Shanghai. Klingt vielleicht etwas verwegen. Das sind aber alles sehr seriöse Partner.
Adzine: Überall wo das Thema „Data“ aufpoppt, findet man Sie. Wie ist nun Ihr Eindruck von den ersten Data Days, hat diese Konferenz und dieses Format eine Zukunft?
Hegge: Definitiv haben die Data Days eine Zukunft. Das ist eine klasse Idee. Was vielleicht einige Besucher zunächst irritiert haben mag, ist die Tatsache, dass hier auf einer Metaebene diskutiert wird. Das ist keine „Hands-on“-Veranstaltung wo wir über den Wert und den Verkauf von Daten sprechen. Absolut nicht. Da hat nugg.ad einen tollen Job gemacht. Der Aufbau der Konferenz mit dem Bogen von Data, deren Relevanz für das Business und für die Gesellschaft, die Bedeutung für unsere Privatsphäre bis hin zum Thema Innovationen finde ich persönlich sehr gelungen. Es tut auch gut, sich mal die Zeit zu nehmen, sich einmal zurückzulehnen und das alles in den großen Kontext einzubauen. So etwas hat es in der Art noch nicht gegeben.
Adzine: Stach für Sie irgendein Vortrag heraus?
Hegge: Alles war auf seine Art interessant. Ich kann aber wirklich nicht mit allem übereinstimmen, was dort gesagt wurde. Da sehe ich aus meiner Perspektive vieles anders. Enttäuschend fand ich vielleicht die Privacy-Diskussion.
Adzine: Wieso?
Hegge: Insgesamt war es vielleicht ein guter Rundumschlag, um noch einmal alles zu hören, aber es gab leider – wieder einmal – keinen einzigen neuen Gedanken dazu. Das ist einfach schade. Dieser typische deutsche Ansatz beim Datenschutz alles so negativ zu sehen wurde hier genauso deutlich wie zuvor bei der Relevanz-Diskussion die übertriebene Euphorie der Amerikaner.
Adzine: Warum werden eigentlich persönliche Nutzerdaten nicht als eine Art Währung wahrgenommen, die den Nutzer selbst in die Lage versetzen, darüber zu bestimmen?
Hegge: In der Tat. Das wäre ein solcher wesentlich neuer Ansatz. Ein einfaches System, sagen wir zum Beispiel eine Einteilung nach Gold, Silber, Bronze, in dem der Nutzer seine persönlichen Daten zur Verfügung stellt, um bestimmte Services in Anspruch zu nehmen. So könnte er also von der Freigabe seiner Daten profitieren. Dazu bräuchte es einer zentralen Verwaltung der eigenen Daten, beispielsweise über ein Browser-Plug-in, wo die eigenen Daten gezielt freigegeben werden.
Adzine: Da gibt es ja bereits die ersten Ansätze wie die von Enliken …
Hegge: Ja, oder das Locker Project oder das, was die Mozilla Foundation aktuell mit „Persona“, einem neuen Identity-Management-System, gerade macht. Auch daraus könnte noch etwas sehr Spannendes resultieren.
Adzine: Und wenn der Nutzer Geld bezahlt, damit seine Daten eben nicht genutzt werden, ein gangbarer Weg?
Hegge: Nein. Wenn mir jemand erzählt, ein Drittel der mobilen Nutzer wären bereit, extra Geld dafür zu bezahlen, dass ihre Daten dafür privat bleiben, glaube ich das nicht. Viele Geschäftsmodelle, die Privacy gegen Geld angeboten haben, sind gnadenlos gefloppt. Solche Geschäftsmodelle funktionieren einfach nicht, auch wenn eine Umfrage etwas anderes behauptet. Gerade beim Thema Datenschutz ist die Schere zwischen Anspruch oder Behauptung und der bequemeren Realität sehr weit.
Adzine: Eben bei der Relevanz-Diskussion und zum Thema Empfehlungs-Engines haben Sie sich öfters zu Wort gemeldet und schienen mit dem Begriff Information-Overload unzufrieden, gibt es etwa keinen Information-Overload?
Hegge: Hier wurde nicht deutlich getrennt. Im persönlichen individuellen Bereich kann es natürlich zu einem Information-Overload kommen, wenn ich als Nutzer nicht lerne, mit den theoretisch zur Verfügung stehenden Informationen richtig umzugehen. Das ist aber skalierbar im individuellen Kontext. Erlernt der Nutzer den richtigen Umgang, wird Information zu einer wunderbaren Quelle enormen Wissens, genau wie das Wissen um die Nutzung einer klassischen wissenschaftlichen Bibliothek, beispielsweise. Im kommerziellen Bereich sehe ich das aber anders. Ob als Medienanbieter, Produktanbieter oder Werbetreibender, man stellt sich immer die Frage, welche der gesammelten Daten ich so nutze und zuschneide, dass meine Botschaft für den Nutzer relevant ist. Da geht es um die Frage, wie man mit den Algorithmen umgeht. Und dazu gibt es keinen Information-Overload, sondern zahlreiche Ansätze, die bereits gut funktionieren. Meine verkürzte These: Personalisierung ist dort sinnvoll und notwendig, wo sie mit kommerziellen Interessen zusammenhängen. Dort lassen sich auch Erfolge der Personalisierung nachweisen. Im individuellen bzw. persönlichen Bereich ist Erfolg weit schwieriger, weil subjektiver und vielleicht auch nicht so direkt im Zusammenhang der Nutzung.
Adzine: Schauen wir ein Jahr in die Zukunft. Werden uns 2013 hier auf den Data Days wieder die gleichen Themen wie bspw. Privacy begegnen?
Hegge: Garantiert! (lacht) Aber genau solche Formate wie die Data Days bringen uns ja vielleicht auch mal dazu, um zu schauen, wohin sich Enliken, Locker Project und Mozilla Persona entwickelt haben.
Adzine: Sollten mehr Advertising-Unternehmen auf den Data Days sprechen?
Hegge: Auf gar keinen Fall. Dafür gibt es zum Beispiel die Adtrader Conference oder ähnlich gelagerte Veranstaltungen. Das sind die richtigen Foren für die Advertising-Industrie. Aber bitte nicht auf den Data Days.
Adzine: Herr Hegge, vielen Dank für das Gespräch.
Tipp der Redaktion: Die Panel-Diskussionen und Vorträge der Data Days können hier auf YouTube abgerufen werden.