Immer mehr Firmen stürzen sich auf das Trendthema Realtime Bidding, integrieren entsprechende Technologien, bieten RTB-Zusatzfeatures oder positionieren sich direkt als RTB-Dienstleister. Mitunter entsteht der Eindruck, dass Realtime Bidding ausschließlich technologiegetrieben ist und mit dem Mediaeinkauf der Agenturen nur bedingt zu tun hat. Sascha Jansen sieht das anders. Er ist Geschäftsführer der Annalect Group Germany, der Spezialagentur der Omnicom Media Group für datengesteuerte Online-Marketing. Aus Sicht von Jansen – der auch das gesamte Digitalgeschäft der Omnicom Media Group Germany sowie ihrer Agenturmarken OMD und PHD verantwortet – sollte RTB nicht als losgelöste Disziplin verstanden werden.
Adzine: Herr Jansen, haben Sie die dmexco gut überstanden?
Sascha Jansen: Die dmexco ist wie Sport – physisch und mental macht die Messe einen fertig, aber hinterher fühlt man sich gut.
Adzine: Auf der dmexco war RTB wieder ein großes Thema. Man hatte das Gefühl, mindestens jeder zehnte Aussteller macht mittlerweile irgendwas mit RTB. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Jansen: RTB war ja bereits im vergangenen Jahr ein großes Thema auf der Messe. Aber mir ist aufgefallen, dass in diesem Jahr wirklich jedes Gespräch irgendwann auf Realtime Media kam – selbst an Premium-Vermarkter-Ständen. Grund für diese zunehmende Präsenz des Themas Realtime Media ist meiner Meinung nach, dass Realtime Media nicht irgendein Trend ist. Es ist unser Kerngeschäft – nur auf eine neue Art.
Adzine: Sie unterscheiden Realtime Media und Realtime Bidding. Könnten Sie bitte den Unterschied kurz erläutern.
Jansen: RTB heißt, dass Angebot und Nachfrage den Preis für eine Ad Impression bilden. Realtime Media – RTM – heißt, die Preisfestsetzung kann über ein Bidding geschehen, muss sie aber nicht. Die Entscheidung, ob eine Impression abgenommen wird, fällt erst in der Sekunde des Aufrufs beim User. Es kann also durchaus vorkommen, dass der Preis schon feststeht, nicht aber, ob die Ad-Impression auch abgenommen wird.
Adzine: Es gibt DSPs, DMPs, Trading Desks, SSPs, Private Ad Exchanges – selbst Adserver bieten RTB-Ad-Ons. Fragmentiert der Markt?
Jansen: Auch wenn es so scheint, ist das Gegenteil der Fall. Die Begriffe mögen vielfältig und die Akronyme mysteriös sein, aber letztlich versuchen alle in die gleiche Richtung zu marschieren. So, wie sich in der Politik jede Partei möglichst in der Mitte positioniert, um von vielen Menschen gewählt zu werden, ist das im Digital Business ähnlich: Egal wo ein Anbieter originär herkommt – AdServer, Search-Tool, Targeting – alle drängen dahin, umfassend die gesamte Palette im automatisierten Display Business abzudecken. Wir werden zukünftig weniger Einzellösungen und mehr „Stacks“ vorfinden.
Adzine: Momentan scheinen die Technologieanbieter die Meinungsführerschaft zu haben und das Thema voranzutreiben …?
Jansen: Ja. Die Technologieanbieter haben automatisch eine führende Rolle übernommen, denn sie sind es, die das Thema initiiert haben. Aber es kommen jetzt verschiedene Führungsströmungen hinzu. Wenn kein Inventar von Publishern eingestellt wird, ist RTB tot, ebenso wenn Agenturen dies nicht aufnehmen.
Adzine: Aber können es sich Agenturen leisten, dass RTB eher als Technologiethema und nicht als Media-Agentur-Thema wahrgenommen wird?
Jansen: Mediaagenturen sind technologisch durchaus auf gleicher Flughöhe und die aktuelle techniklastige Wahrnehmung des Themas wird sich schnell relativieren. Momentan ist RTB für viele Werbungtreibende noch sehr neu und exotisch, sodass man sich zuerst mit der Technologie auseinandersetzt. Aber Realtime Media ist in erster Linie ein Mediaplanungsthema.
Problematisch ist allerdings, wenn sich in dieser Phase neue Dienstleister um dieses Thema scharen und sich als RTB-Spezialist wie ein Vermarkter bei Kunden präsentieren. Dann wird das gesamte Realtime-Geschäft heterogen, unübersichtlich und unproduktiv. Denn dann hat es der Kunde plötzlich nicht mehr mit einer Demandside zu tun, sondern mit vier oder fünf, die unabgestimmt parallel nebeneinander agieren. Das führt den eigentlich Sinn von 'Demandside Platform' ad absurdum.
Eine Demandside-Plattform sollte man wörtlich nehmen. Sie sollte auf der Demandside angesiedelt sein und nicht als Nischengeschäftsmodell herhalten. Die klassische digitale Mediaplanung und RTB – das sind für Werbungtreibenden extrem wichtige Leistungen, die schlecht realisierbar sind, wenn ein Teilbereich – wie eben RTB – durch Dritte erbracht wird.
Adzine: Und wie bekommt man das als Mediaagentur für seinen Kunden unter einen Hut – klassische Mediaplanung einerseits und voll automatiserten Einkauf via RTB andererseits?
Jansen: Das ist wie bei einem Reißverschluss. Wir haben unten die beide Seiten eingefädelt, jetzt werden sie nach und nach zusammengezogen. Solange ich beispielsweise die beliebten Branding-Wallpaper nicht als Realtime Media buchen kann, muss ich sie noch klassisch buchen. Solange der Reißverschluss noch nicht oben ist, gilt es, beide Sachen zu choreografieren.
Adzine: Mit welchen Instrumenten ist das machbar?
Jansen: Wer beispielsweise monatlich eine bestimmte Festplatzierung bucht, muss diese nicht auch noch via Realtime Bidding beziehen. White- und Blacklisting sind das Mittel, mit dem man manuell beides choreografieren kann. Das Ziel ist aber, irgendwann auch dies zu automatisieren.
Adzine: Neben der Bidding-Technologie spielen Daten im Realtime-Geschäft eine immer größere Rolle. Kann das eine Mediaagentur ebenfalls abdecken oder müssen Werbekunden hier auf externe Dienstleister zurückgreifen? Wie agiert Annalect?
Jansen: Auch hier ist zwischen Realtime Media und Realtime Bidding unterscheiden. Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit Nugg.ad, die momentan aber nicht am Realtime-Bidding-Geschäft angebunden ist. Mit der Hilfe der Open-Targeting-Platform von Nugg.Ad liefern wir Werbemittel vermarkterübergreifend auf gleiche Targeting-Kriterien aus. Dabei geht es vor allem um Formate, die kaum in Ad Exchanges verfügbar sind – zum Beispiel Videos jenseits von YouTube.
Im Realtime Bidding wiederum kooperieren wir mit BlueKai hinsichtlich der Funktionalität als Data-Management-Plattform. Daten beziehen wir aus verschiedensten Quellen, nicht zuletzt auch 1st-Party-Daten der Kunden. 2nd und 3rd Party-Data sind insgesamt in Deutschland aber noch nicht sehr weit entwickelt. Auf der andere Seite wird das Potenzial von Live-Daten noch stark unterschätzt – also jenen Daten, die im Moment der Ad Impression überliefert werden – von IP-Adressen über Tag und Uhrzeit bis hin zu Browser und Internet-Provider – mit diesen Daten kann eine DSP ganz allein und in Echtzeit die Kampagnenaussteuerung schon sehr gut optimieren.
Adzine: Schauen wir fünf Jahre in die Zukunft: Macht RTB die klassische Online-Mediaplanung überflüssig oder unentbehrlich?
Jansen: Realtime Media kann heute noch längst nicht alle Bedürfnisse an Online-Media abdecken, aber wir stehen ja auch erst ganz am Anfang. Für mich ist RTB ein kompletter Paradigmenwechsel in der Mediaplanung. Vielleicht nicht in fünf, aber in zehn Jahren werden wir amüsiert zurückblicken, wie wir damals Online-Media geplant haben. **
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