Hat das klassische E-Mail-Marketing sein Optimierungspotenzial ausgeschöpft? Zu dieser Annahme kann man gelangen, wenn man die durchschnittlichen Öffnungs-, Klick- und Konversionsraten betrachtet. Der aggressive Preiswettbewerb im Adressbereich bestätigt den Eindruck, dass Effizienzgewinne fast nur noch durch Kostensenkungen erzielt werden. Umso bedauernswerter erscheinen diese Phänomene angesichts der Tatsache, dass kein anderes Medium näher dran ist am Kunden. E-Mails sind zum Zwecke der Kundenbindung und Kundenwertsteigerung absolut unverzichtbar.
Nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Ausweg aus der Sackgasse über eine intensivere Datennutzung führt. Verhaltensdaten geben Aufschluss über Kaufinteressen und ermöglichen E-Mails mit individuell relevanten Informationen und Angebote, sogenannte Behavioural-E-Mails. Höhere Relevanz führt zu höherer Kaufwahrscheinlichkeit. Daher investieren Unternehmen und Dienstleister enorme Summen in neue Datensilos mit gewaltigen Speicherkapazitäten. Womit es bisher hapert, ist die Kapitalisierung der Daten. Der Grund: Lösungen, die Verhaltensdaten und Adressen in einer Datenbank integrieren und damit eine einheitliche Kundensicht sowie Handlungsfähigkeit in Echtzeit gewährleisten, sind noch kein Standard.
Warum nicht? Den Gründen möchte ich im Folgenden anhand einiger ganz praktischer Fragen nachgehen, die sich um die Selektion der Daten, die instrumentelle Ausgestaltung sowie die Kosten-Nutzen-Relation von Behavioural-E-Mail-Marketing drehen.
Welche Daten werden für Behavioural-E-Mail gebraucht?
Interessant sind insbesondere zwei Sorten Daten: Daten aus der Eigenwahrnehmung (Präferenzabfragen, Umfragen) sowie Daten zum tatsächlichen Verhalten, also historische Transaktionsdaten und aktuelle Daten zu Online-Aktivitäten im geöffneten Kauffenster. Diese Daten fließen in der Regel aus Webanalyse, E-Mail-Marketing und CRM zusammen und statten, richtig eingesetzt, E-Mails mit zeitlicher und inhaltlicher Relevanz aus.
Das Tagesgeschäft mit den Daten obliegt bis dato tendenziell den IT-Fachleuten. Sie kümmern sich um die Speicherung der wachsenden Datenmengen, um die Erschließung neuer Datenquellen und auch um die Analyse der Daten – alles technische und berechtigte Fragen. Das Ziel der Kapitalisierung verlangt jedoch eine eher betriebswirtschaftliche Sicht.
Mit der steigenden Datenmenge wächst auch die Schwierigkeit, die für die herrschenden Zwecke nützlichen Daten zu identifizieren, zu selektieren und zu bearbeiten. Separate Datensilos – Webanalyse da, CRM-Daten dort – machen es fast unmöglich, Daten einzelnen E-Mail-Empfängern auf effiziente Art und Weise zuzuordnen. Grundlage erfolgreicher Datenkapitalisierung im E-Mail-Marketing ist aber eine integrierte Sicht der entsprechenden Daten in einer Datenbank, die Wissen und Wirken vereint. Des Weiteren benötigt ein Anbieter die Einsicht, welche Daten in seinem speziellen Fall notwendig sind, um umsatzrelevante Prozesse in Gang zu setzen. Konkret heißt das beispielsweise für einen Reiseanbieter, dass er für ein E-Mail-Programm zur Reaktivierung von Buchungsabbrechern wissen muss, dass ein Kunde den Buchungsprozess abgebrochen hat, was jener buchen wollte, wie er ihn per E-Mail erreicht und ob er ihn anschreiben darf.
Gut zu wissen wäre außerdem, ob es sich um einen Vielreisenden handelt oder nicht, ob er sich nach der ersten Erinnerungs-E-Mail zur Buchung entschieden hat oder nicht und ob es sich womöglich um einen serienmäßigen Buchungsabbrecher handelt. All diese Informationen steigern die Relevanz der Ansprache, sofern man sie in der Kommunikation berücksichtigt.
Die Frage nach dem Wert von Daten gehört an den Anfang, nicht ans Ende betriebswirtschaftlicher Überlegungen. Zuerst müssen Ziele und KPIs formuliert und dann die dazu notwendigen Daten qualifiziert werden. So macht das Datensammeln von Anfang an Sinn.
E-Commerce-Anbieter, gleich welcher Branche, stehen vergleichbaren Herausforderungen gegenüber. Wie lege ich ein Willkommensprogramm an, das den Neukunden zum Erstkauf führt und seine Loyalität steigert? Wie hole ich Warenkorb-/Buchungsabbrecher mit mehrstufigen Kampagnen zurück, ohne die Reaktanz zu erhöhen? Wie erhöhe ich über Cross-Selling den Kundenwert? Wie aktiviere bzw. reaktivere ich wenig engagierte Kunden? Wie gewinne ich Exkunden zurück? Ob es um Bücher, Schuhe, Möbel, Reisen, Mietwagen oder Versicherungen geht – die Ziele sind die gleichen, auch wenn für den einen jenes und für den anderen ein anderes wichtiger sein mag.
Welchen Kriterien sollten Behavioural-E-Mail-Lösungen unbedingt genügen?
Prozessorientierte Behavioural-E-Mail-Lösungen, die Datenerhebung und Datenverwertung nahtlos integrieren, sollten drei Anforderungen genügen: Automation, Relevanz und Einfachheit.
Automation garantiert Schnelligkeit und Effizienz. Die immer wieder geforderte Echtzeitkommunikation ist nur in Form automatischer Prozesse denkbar, die – einmal aufgesetzt – von alleine laufen und nur noch optimiert werden müssen. Man denke nur an den Aufwand, angesichts ständiger Kundenaktivitäten jederzeit bestehende Segmente zu aktualisieren und neue zu bilden. Solche Aufgaben sind nur durch Automation zu bewältigen – allein schon wegen des Zeitfaktors. Je weniger Handarbeit bei Datenerfassung, Segmentierung und Versand vonnöten ist, desto mehr gewinnen Prozesse an Geschwindigkeit. Und Geschwindigkeit ist angesichts zeitlich begrenzt geöffneter Kauffenster ein echtes Erfolgskriterium. Der Auswahlprozess bei Reisen und Tagesgeldkonten mag länger dauern, bei Hosen und DVDs aber nicht. Zudem ist Handarbeit teuer, Automation erhöht also den ROI.
Relevanz heißt: Die E-Mails orientieren sich am Verhalten und damit an den signalisierten Interessen des Empfängers. Das Erfolgskriterium Relevanz hat mehrere Aspekte. Zeitlich relevant ist ein Angebot, wenn es im geöffneten Kauffenster wahrgenommen wird. Und inhaltlich relevant ist es, wenn es das höchstwahrscheinlich passende Produkt enthält. Genau aus diesem Grund ist eine einheitliche Kundensicht so wichtig, denn allzu oft basieren E-Mail-Inhalte „nur“ auf dem Klickverhalten im Newsletter, nicht aber auf der mindestens ebenso wichtigen Recherche auf der Website. Relevanz bemisst sich aber auch am Engagementstatus des Empfängers. Handelt es sich um einen Vielkäufer? Dann macht es Sinn, Angebote in hoher Frequenz zu versenden. Wenn es jedoch nur ein Gelegenheitskäufer ist, wirken viele E-Mails gar nicht oder sogar kontraproduktiv. Relevanz basiert also auch auf der Fähigkeit, Empfänger möglichst genau nach Engagement zu segmentieren und die Kommunikation entsprechend einzustellen. Alle diese Anforderungen lassen sich im Übrigen ohne weitgehende Automation kaum bewältigen.
Einfachheit meint in erster Linie Komplexitätsreduktion. Es geht darum, Prozesse zu definieren und zu implementieren, die angesichts des Datenwusts und der unzähligen Möglichkeiten der Kommunikation zu nachweislich positiven Ergebnissen führen. Gute Richtlinien bieten die oben genannten Businessziele, beispielsweise die Reaktivierung von Warenkorbabbrechern. Außerdem sollten diese Prozesse Ressourcen schonen. Mehrere Datensilos über aufwendig programmierte Schnittstellen verknüpfen und dafür viel Geld und Personal investieren, all das rechnet sich allenfalls für E-Commerce-Riesen. Allen anderen seien Lösungen empfohlen, die Daten aus Webanalyse, E-Mail-Marketing, CRM und anderen Quellen in einer Datenbank speichern und verarbeiten. Nur eine einheitliche Kundensicht gewährt Transparenz und Handlungsfähigkeit. Denken Sie an das verschenkte Potenzial der Kunden, deren Klickverhalten im Newsletter sie messen, deren Aktivitäten auf Ihrer Website aber nicht in den Inhalt der E-Mails einfließen.
Wenn eine Lösung diesen Anforderungen entspricht, winken höhere Öffnungs-, Klick- und Konversionsraten. Ein Tipp noch: Halten Sie Ausschau nach Behavioural-E-Mail-Fallstudien, denn sie beweisen, dass das Rad für Sie nicht neu erfunden werden muss.
Für wen und unter welchen Umständen lohnen sich die Investitionen in Behavioural-E-Mail?
Das ist aus kaufmännischer Sicht die Gretchenfrage. Eine pauschale Antwort gibt es nicht, wohl aber einige interne und externe Einflussfaktoren, die zu beachten sind. Ein Faktor ist sicher der Umsatz. Je höher der Umsatz, desto eher lohnen sich Investitionen in verhaltensbasierte Kommunikationslösungen. Wichtig sind auch Preise und Margen: Hochpreisige Produkte mit hohen Gewinnspannen erhöhen die Kosten-Nutzen-Relation. Außerdem spielen Fallzahlen und die Größe des Verteilers eine gewichtige Rolle. Für drei Warenkorbabbrecher braucht kein Online-Shop ein eigenes E-Mail-Programm, für 3.000 hingegen schon.
Die ungeheuren Wachstumsraten der E-Commerce-Branche haben den zunehmenden Wettbewerb in der Vergangenheit aufgewogen. Jetzt nicht mehr, der Effizienzdruck steigt. Das gilt insbesondere fürs Online-Marketing, gerade weil es Mess- und Optimierbarkeit für sich in Anspruch nimmt. Eine bessere Kapitalisierung der Verhaltensdaten ist der evolutionär nächste Schritt. Und Behavioural-E-Mail-Marketing löst diese Aufgabe, indem es von Geschäftszielen ausgeht und Daten nach ihrer Bedeutung für diese Ziele gewichtet und verwertet.