Banken und Finanzprodukte: Mehr Vertrieb als Marketing
Christina Rose, 31. Mai 2012Noch ist der Mediamix bei Finanzdienstleistungen stark offline-orientiert. Doch die Umverteilung Richtung online nimmt weiter zu. Ebenso wie ein Shift von Branding- zu mehr Performance-Maßnahmen.
Banken zählen in den USA zu Googles besten Kunden: Rund vier Milliarden Dollar haben US-Kreditinstitute und -Versicherungen 2011 beim Suchmaschinengiganten investiert, um für sich zu trommeln. Das entspricht rund zehn Prozent der 37,9 Milliarden Dollar, die Google im vergangenen Jahr eingenommen hat (zu 96 Prozent aus Werbung). Zum Vergleich: In Deutschland nahm Google 2011 mit Suchmaschinenmarketing 2,1 Milliarden Euro ein.
Suchmaschinenmarketing für Finanzprodukte
Auch hierzulande investieren Banken einen Großteil ihres Marketingbudgets in Suchmaschinenmarketing. „Für Finanzprodukte ist Suchmaschinenmarketing das Medium, das wir unter Vertriebsaspekten am ehesten nutzen“, sagt Alexander Hauser, Geschäftsbereichsleiter Online-Marketing bei der Sparkassen-Finanzportal GmbH. Unter dem Dach der Sparkassen-Finanzgruppe subsumieren sich 420 Sparkassen bundesweit mit rund 50 Millionen Kunden. Vor allem regional und lokal stehe der vertriebliche Aspekt im Vordergrund und dann „komme man an SEM nicht mehr vorbei“, erklärt Hauser an einem Beispiel: „Jemanden für ein Forward-Darlehen, der seine Baufinanzierung umschulden möchte, per Display-Werbung zu begeistern, ist schwierig. Denn er sucht meist sehr konkret nach einem Begriff und erwartet entsprechend auch ganz andere Informationen – in diesem Falls sehr konditionenorientiert.“
Klassische Zielgruppeneinteilung greift zu kurz
Im Unterschied dazu sei jemand, der sich für einen Bausparvertrag oder vermögenswirksame Leistungen interessiere, großer Wahrscheinlichkeit nach ein Berufsanfänger. Den müsse man laut Hauser „ganz anders abholen“ als jemand, der nach eine Forward-Darlehen sucht. Überhaupt ist die Zielgruppe für Finanzprodukte eine ganz besondere. Laut AGOF dem Branchereport "facts & figures" 2012: Finanzen zeichnet sie sich durch einen deutlichen Männerüberhang und einer starken Präsenz bei den 30- bis 49-Jährigen aus. Knapp die Hälfte hat einen gehobenen Bildungsabschluss, die große Mehrheit ist berufstätig und über ein Drittel hat monatlich mehr als 3.000 Euro zur Verfügung. Zudem sind sie kommunikativ, online versiert, informationssuchend, haben ein ausgeprägtes Markenbewusstsein, sind häufig Trendsetter und aufgeschlossen für Werbung, konstatieren die Marktforscher.
Allerdings warnt Sparkassen-Manager Hauser davor, Maßnahmen nach klassischen Einkommens- und Alterszielgruppen zu planen: „Es gibt zwar immer noch grundsätzlich eine Lebensphase, in der man sich mit dem Thema Baufinanzierung und Altersvorsorge auseinandersetzt. Aber 15-20 Jahre deckt schon eine sehr breite Altersspanne ab.“ Zudem wolle die Sparkasse beispielsweise junge Zielgruppen dazu bewegen, sich schon früh mit der Altersvorsorge auseinanderzusetzen. Da greift die klassische Zielgruppeneinteilung in „männlich, mittleres Alter und einkommensstark“ zu kurz.
Affiliate für bekannte Produkte
Neben Suchmaschinenmarketing ist Affiliate-Marketing „das wichtigste Instrument zur Bedienung des Informationsbedürfnisses des Finanzkunden und zur Konvertierung und deckt die Finanzangebotsvergleichsmedien ab“, weiß Marcus Ambrus, Geschäftsführer von Plan.Net Media. Allgemein bekannte Produkte ließen sich „sehr gut über Affiliate-Marketing verkaufen“, ergänzt Stefan Swertz, Vorstandvorsitzender der Online-Marketingagentur Adisfaction: „Ein gutes Beispiel sind Tagesgeldkonten: Die Affiliates kennen das Produkt, die Nachfrage ist hoch und ein hoher Zins stellt ein wirksames Incentive dar. Auf dieser Basis lässt sich ein Affiliate-Programm wirtschaftlich aufsetzen. Gute und engagierte Affiliates entscheiden dann selbst über Werbemaßnahmen, etwa E-Mails, SEA (Searchengine Advertising) oder sogar aufwendige Inhalte wie Produktvergleiche.“
„Hürde des ersten Klicks“
Im Unterschied zu Performance-Maßnahmen könne man mit Branding-Instrumenten wie Display-Marketing eher jemanden für ein Thema begeistern, mit dem er sich noch nicht beschäftigt habe, ist Hauser überzeugt. Auch bei Produkten, die nicht online, sondern nur in Filialen oder anderen Vertriebsstellen verkauft werden, nutze man besser die Branding-Effekte „großer, optische attraktiver Display-Ads“, rät Stefan Swertz. Generell sei empfehlenswert, stets mehrere Touchpoints zu bedienen. Denn vor Kaufentscheidungen gehen Kunden häufig verschlungene Wege und lassen sich dabei Zeit, weiß Swertz: „Sie googeln, besuchen Finanzwebsites und informieren sich auf Vergleichs- und Verbraucherportalen.“ Im Vergleich zu FMCG müssen Finanzprodukte vor dem Kauf/Abschluss noch eine „Extra-Hürde“ nehmen. Banken müssen vergleichsweise härter daran arbeiten, den Mehrwert herauszustellen, betont Hauser: „Es geht ums Geld. Das ist nicht so sexy wie ein paar neue Sneaker.“ Wenn die „Hürde des ersten Klicks“ genommen sei, könne man sehr gut weiter kommunizieren.
Wie entscheidend diese erste Hürde ist, zeigt eine Studie von MediaMind. Demnach reagieren Verbraucher am häufigsten auf den ersten Werbekontakt, sofern das Angebot relevant für sie ist. Der erste Werbemittelkontakt hat die höchste Konversionsrate. Weiteres Ergebnis: Die höchste Branding-Performance erzielten Finanzdienstleister in den Content-Umgebungen Spiele, Musik, Instant Messaging, Gesundheit und Beauty sowie in sozialen Netzwerken. Die höchsten Konversionsraten (Ziel: Direct Response) verzeichneten sie im Umfeld von Landkarten, Reise, Auto, Unterhaltung, News, Instant Messaging und Homepages.
„Eine kluge Strategie integriert Suchmaschinenmarketing, Displays und hochwertigen Content gleichermaßen und sorgt für ständige Präsenz“, resümiert Stefan Swertz. Nicht mehr empfehlenswert sei es, in On- und Offline zu trennen, betont Marcus Ambrus: „Eine Trennung der Stärke der Medien für Branding- und Performance-Aufgaben ist ratsamer und effektiver. Sicherheit, Zuverlässigkeit, Kompetenz, Glaubwürdigkeit und auch Sympathie sind wichtige Imagewerte für Finanzanbieter. Bewegtbild in TV und Online ist dafür das Basismedium. Print und Display können das sehr gut inhaltlich vertiefen.“
TV mit SEM verknüpfen
Fernsehen sorgt schnell für große Awareness in der Zielgruppe. Aber unabhängig von Produkt, Zielgruppe und Budget sollte man TV-Werbung stets durch Suchmaschinenoptimierung begleiten, empfiehlt Swertz: „Unsere Erfahrung zeigt, dass Spots häufig zu einer anschließenden Recherche nach näheren Informationen im Web führen kann.“ Zum gleichen Ergebnis kam bereits eine Studie des BVDW aus dem Jahr 2010, der zufolge SEM (Searchengine Marketing) parallel zum Fernsehspot die ungestützte Markenbekanntheit um 42 Prozentpunkte erhöht.
Performance wächst
Was das optimale Verhältnis von Branding- und Performance-Maßnahmen betrifft, hat sich laut Marcus Ambrus „bei mittleren und großen Budgets“ die Formel 65:35 als „sehr effektiv“ erwiesen. Seit Beginn der Finanzkrise fahren die Kunden Branding-Elemente allerdings zurück und die Nachfrage nach Performance-Modellen nimmt zu, hat Stefan Swertz beobachtet. Der Anteil der performance-orientierten Maßnahmen erhöhe sich seit Jahren stetig und werde auch in Zukunft weiter wachsen, bestätigt auch Sparkassen-Manager Hauser: „Die Umverteilung geht zulasten anderer. Wir setzen beispielsweise beim Thema Privatkredit gar kein Print mehr ein und fahren Kampagnen zu diesem Thema nur noch online, weil wir dort die Leistungen wesentlich besser darstellen können.“
Beim Thema Kredit schneiden Online-Beratungen sogar deutlich besser ab als Filialen, hat jüngst die Stiftung Warentest ermittelt. Und da die vier häufigsten Gründe für einen Privatkredit die Anschaffung eines Autos, von Unterhaltungselektronik, Möbeln und Reisen sind, unterhält die Sparkassen-Gruppe mit Gebrauchtwagen.de die drittgrößte Autobörse im deutschen Web. Der User erhält dann gleichzeitig mit den Daten seines Traumautos auch den passenden Kredit – quasi als „wunscherfüllendes Vehikel“.
Je mehr man Online als Vertriebskanal nutzt, desto weniger kommt man um Performance-Maßnahmen herum. Durch Online-Prozesse online-affiner Produkte wie Tagesgeld, Kreditkarte und Girokonto lassen sich die Kosten senken, was sich direkt als Wettbewerbsvorteil an die Kunden weitergeben lässt. Voraussetzung: Man muss die Effektivität des Mediums sauber nachweisen. Und da man das kann, stellen auch immer mehr lokale Institute fest, dass man gut beziffern kann, wie viel meine Investition in eine Maßnahme in Abschlüssen auszahlt. Entsprechend wird künftig stärker über Vertriebs- als über Marketingbudgets zu reden sein, ist Hauser überzeugt: „Das ist eine spannende Entwicklung, die sich in Zukunft noch verstärken wird.“
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