Im Rahmen der Adtrader-Konferenz in Hamburg diskutierten fünf namhafte Experten über die Relevanz von Realtime-Bidding (RTB), den möglichen Einfluss auf die Vermarktung von Premium-Inventar und wie sich die Zusammenarbeit zwischen Mediaagenturen und den Vermarktern durch Einkaufsplattformen und RTB verändern könnte.
Im Performance-Marketing stehen die die Chancen für eine weitergehende Automatisierung und somit den Erfolg von Realtime Bidding Systemen und -Plattformen gut. Wie aber steht es mit Premium-Inventar und Brandingzielen seitens der Werbungtreibenden?
Lohnt sich RTB?
Mathias Ehrlich, United Internet AG: Über RTB wird in einer Art und Weise gesprochen, die dem Thema nicht gerecht wird. Die Ebene der Automatisierung ist unumschränkt positiv zu beurteilen. Wir verlieren heute noch viel zu viel Zeit damit, uns händisch die Banner über die Theke zu reichen. Dadurch sind wir im Wettbewerb zu anderen Medien, von denen wir die Werbegelder haben wollen, unterlegen. Bei RTB von einem Geschäftsmodell zu sprechen ist naiv. Es ist zuerst eine technische Lösung. Wir dürfen den Blick nicht dafür verlieren, warum es geht, nämlich um eine möglichst hohe Werbewirkung und die Refinanzierung der Produktionskosten der Werbemittel.
Wo steht RTB in Deutschland heute?
Ronald Paul, Quisma: Die Akzeptanz bei den Publishern wächst, vor allem die Akzeptanz zu testen. Allerdings testen die Publisher bislang nur Inventar aus dem Perfomance-Bereich in solche Tests gegeben wird. Ein Blick in die USA zeigt aber, dass da viel mehr Potential auch für besseres Inventar gegeben ist. Wer definiert eigentlich, was Premium ist?**
André Pätzold, Spiegel QC:** Auch für Branding-Kampagnen gibt es Performance-Ziele. Wir müssen immer neue Technologien testen, um für unsere Kunden die maximale Werbeleistung zu erbringen. Allerdings stimme ich Herrn Ehrlich zu, dass die Technologie nie das persönliche Gespräch ersetzen kann. Ich muss jeden Tag begründen, warum die Spiegel-Homepage 73 000 Euro kostet. Wir haben das in Footerbereiche auf der Artikel-Ebenen probiert. Das hat uns bei der Prozessoptimierung geholfen. Wir reden aber auch über Preisbereiche, die für uns als Spiegel QC als Geschäftsmodell völlig indiskutabel sind.
Lothar Prison, Vivaki: Aktuell heißen die Erfolgsindikatoren CPL, CPC oder CPO. Das ist auch gut so. Wir werden aber in ein zwei Jahren sehen, dass ich mit den Daten, die RTB zur Verfügung stellt auch Anwendungen im Premiumbereich denkbar sind, die eine präzisere Ansprache bestimmter Zielgruppe ermöglicht. Hier gibt es KPIs, die höchst interessant sind. Ich kann zum Beispiel den Markendreiklang messen. Sympathie, Kaufbereitschaft und Bekanntheit. Das, verbunden mit der gesteigerten Effizienz durch die Automatisierung ist ein hoch interessantes Modell. Aber man muss auch sehen, dass wir von Standard-Werbemitteln sprechen. Eine Spiegel-Homepage sehe ich niemals bei RTB.
Wie weit ist die Technologie?
Marco Klimkeit, YieldLab: Technisch sind wir enorm weit, das Problem ist die Seite des Biddings, die sich im Moment nur auf ganz bestimmte User beschränkt, nämlich im Retargeting. RTB lebt komplett vom Retargeting-Thema. Das sind auch immer die gleichen Advertiser. Dort funktioniert der Auktionsmechanismus schon sehr gut, das ist aber nur ein Bruchteil des Marktes. Technologisch ist die USA uns nicht voraus. Die Basistechnologie ist Open Source. Der Vorsprung der USA besteht in der Nutzung der Daten. Bislang beläuft sich das aber auf Performance-Daten wie Sales, Leads oder Klicks.
Mathias Ehrlich: Ich bin der Meinung, dass wir im Aufbau des Marktes etwas schlauer sind, als die Amerikaner, wir haben nämlich die Zwischenstufe der Ad Networks übersprungen. Die Trennung in SSP und DSP zeigt doch deutlich, welche unterschiedlichen Interessen im Markt existieren und die müssen sich jeweils erst aggregieren. Außerdem erzielen wir im Long Tail deutlich bessere Erlöse. In den USA ist das meiste reines Trash- und Mengengeschäft.
Der Vorteil der USA liegt darin, dass man ein völlig anderes Verhältnis zum Datenschutz hat. Alles, was wir jetzt hier diskutieren, steht im Konjunktiv. Das kann uns in Europa durch die Politik komplett aus der Hand gehauen werden.
Was ist der Wert von RTB?
Ronald Paul: Eine große Sorge der Publisher ist ja der Kontrollverlust. Über die SSPs kann ich inzwischen sehr genau bestimmen, wo mein Inventar angeboten wird. Das ist viel transparenter geworden.
Pätzold: Die Transparenz wird durch RTB ganz bestimmt nicht steigen. Sie werden beim Spiegel nie Automatisierungsprozesse sehen, wo wir nicht mehr die Kontrolle über die einzelnen Kunden haben. Für mich es eine grauenvolle Vorstellung, dass sich die Wertschöpfungskette noch weiter verlängert. Die Werbetreibenden verlieren dadurch die Kontrolle über die Werbemittel.
Lothar Prison: Dem würde ich entschieden widersprechen. Einen solch granularen Markt gibt es doch in keinem anderen Mediasegment. Wie viel Anbieter von Inventar haben wir denn da draußen? 300, 400? Wir haben heute keine Transparenz. Mit RTB kann ich das genau herstellen. Diese Granularität wird es in vier Jahren nicht mehr geben.
Ehrlich: Dem muss ich entschieden widersprechen. Wenn ich heute sehe, wie das Thema Targeting im Markt vergammelt ist, spricht das nicht für Transparenz. Targeting wird in erster Linie benutzt, um die Arbitrage der Agenturen zu maximieren. Richtig interessante Ansätze bringt man da gar nicht durch. Die Agenturen begnügen sich damit, Weibchen nach rechts und Bübchen nach links zu sortieren.
Wird sich der Markt dadurch neu sortieren?
Klimkeit: Völlig klar. Es besteht eine starke Tendenz zum direkten Weg zwischen Agenturen und Publisher. Das sehen wir auf unserer Plattform ganz deutlich. Die Adnetworks werden raus optimiert aus diesem Markt.
Wie wirkt RTB?
Pätzold: Werbewirkung für diesen Bereich zu versprechen, die über Performance-Ziele hinaus geht, halte ich für illusorisch. Ich würde aber gerne mal Retargetingkampagnen für Onlinehändler testen, ob es da in bestimmten Bereichen des Spiegel einen Uplift gibt.
Prison: Ich bin jetzt seit 12 Jahren im digitalen Business, und wir messen immer noch mit den gleichen KPIs. Das ist schwach. Wir haben Werbewirkungsforschung betrieben für den Bereich Video. Gemeinsam mit NuggAd und der GFK haben wir zwei Testkampagnen von L´Oreal gefahren, eine mit einer Umfeldplatzierung und eine eben mit Zielgruppen-Targeting via Nugg.ad. Der Uplift war 168 Prozent und das ist von der GFK bestätigt worden. Das zeigt doch auch, wie schlecht wir mit normaler AGOF-TOP-Platzierung oft unsere Zielgruppen treffen.
Paul:** Ich komme gerade von einer Konferenz in den USA, da saßen fünf Publisher auf der Bühne und haben ganz transparent diskutiert, wie sie das Thema Video durch Technologie besser monetarisieren können. Wir müssen das Thema doch nicht kleinreden.
Ehrlich: Die Beispiele aus den USA funktionieren nicht als Leitbild, weil die ein sicheres Datenschutzumfeld haben. Wir werden in Zukunft vermutlich mit wesentlich weniger Daten arbeiten müssen. In unserem großen System haben wir sehr gute Daten, aber die Kollegen vom Spiegel kommen an solche Daten in Zukunft gar nicht mehr ran. Dann kann ich die Brandingziele gar nicht mehr auf diesem Weg verfolgen. Da würde ich ja versuchen, aus Magerquark Vollmichkäse zu gewinnen.
Wie sieht die Zukunft des Marktes aus?
Ehrlich: Wir müssen kämpfen, und zwar alle.
Paul: Es muss viel Aufklärung bei den Kunden betrieben werden. Es geht darum zu erkennen, dass es funktionieren kann. Und der muss auch definieren, was Premium ist. Da findet derzeit sehr viel Protektionismus statt.
Pätzold: Ich gehe davon aus, dass das Premiuminventar nicht in RTB gehen wird, schon allein wegen des Preisniveaus. RTB ist für einen Publisher ein absoluter Nischenmarkt.
Ehrlich: Kunden wie Zanox sind so schlau, um auch schon die implizite Werbewirkung zu messen. Die können solche Systeme einsetzen. Der mit Abstand größere Teil des Marktes kann das nicht.
Klimkeit: Auf der Nachfrageseite werden die Umsätze deutlich steigen.
Prison: RTB steht in einem Jahr bei einem Marktanteil von 10 Prozent.
Dieser Artikel gibt Teile der ersten Podiumsdiskussion von der AdTrader Conference wieder, die am 19. April 2012 in den Hamburger Briese-Studios stattfand. Moderator war Frank Puscher. Einige Zitate sind leicht gekürzt wiedergegeben. Das gesamte Video zur Paneldiskussion finden Sie neben dem Stream oben zusätzlich auch hier.
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