Standards für Angebots- und Auftragsprozesse: Schluss mit chaotisch
Christina Rose, 8. März 2012Der Begriff „historisch“ wäre etwas hochgegriffen, einen Meilenstein haben die Beteiligten immerhin gesetzt: Die Planungs- und Buchungsprozesse im Display Advertising sollen ab dem zweiten Quartal 2012 mit dem neuen OVK-Standard erheblich effizienter werden. Und das ist erst der Anfang.
„Vom Prozess her war es eine Katastrophe“, fasst Martin Lütgenau, Geschäftsführer des Online-Vermarkters Tomorrow Focus Media, die gängigen Planungs- und Buchungsabläufe in der Online-Werbebranche zusammen. Vermarkter und große Network-Agenturen arbeiten auf Basis gelebter Prozesse und Tools, deren Ursprung häufig in der klassischen Werbevermarktung liegt. Jedoch sind diese Geschäftsprozesse und deren Lösungen nicht unbedingt für das Online-Geschäft geeignet, hat Bernd Bube beobachtet. Er ist Geschäftsführer von Advendio.com, Anbieter einer Angebots- und Auftragsmanagementlösung für die Online-Vermarktung. Advendio hat durch seine Beratertätigkeit für Vermarkter Trends für Standards in den Angebots- und Auftragsprozessen wesentlich mitgeprägt. Im Vergleich zu beispielsweise Print und TV sind die Abläufe online komplexer und abstimmungsintensiver, was umfangreiche manuelle Tätigkeiten nach sich zieht. In einem Umfeld mit starkem Wettbewerbsdruck gilt es aber, effizient zu sein.
„Wenn es dazu kommt, sich von Vermarktern Angebote machen zu lassen, Rabatte, Verfügbarkeiten etc. abzufragen, herrscht meist chaotisches Telefoninterviewen“, schildert Sascha Jansen, Managing Director von Annalect, der Digitalagentur der Omnicom Media Group. Die Gründe: Agenturen und Vermarkter setzen unterschiedliche IT-Systeme ein. Technische Schnittstellen gibt es dabei nur in Ansätzen. Auch den Angebotsformen waren bislang kaum Grenzen gesetzt. Bei Feedback per E-Mail kam das Angebot entweder als Plain Text in der E-Mail, als xls-Anhang, als PDF oder als ganz eigenes Template. Einer gewährte fünf Arten von Rabatten, der andere nur drei. Bei einem hieß der Rabatt Mengenrabatt, beim anderen Volumenrabatt. Bei einem standen sie in Spalten, beim anderen in Zeilen.
Holte ein Mediaplaner Angebote bei Vermarktern ein, musste er oft feststellen, dass die Belegungseinheiten nach AGOF-Standards und die Elemente aufseiten der Vermarkter nicht synchron sind, Beispiel Film: Die Belegungseinheit heißt in der AGOF Film. Im System des Vermarkters aber umfasst das zwei Inventarelemente (bspw. Kino und DVD). Wenn eine Agentur also für „Film“ anfragt, bekommt sie im besten Fall ein Angebot für Kino und DVD. Und das ist noch ein überschaubares Beispiel. In anderen Bereichen wird es richtig kryptisch und nicht mehr nachvollziehbar. Bei der Werbeplanung und -buchung hat man es bislang mit mehreren Systemen zu tun, in denen unterschiedliche Produkte stehen: die der Vermarkter, der Mediaplaner und der AGOF, manchmal auch die der Kunden.
Mühsame Handarbeit
Im Extremfall ende es darin, dass man sich Faxe hin- und herschickt und Daten mehrfach erfassen müsse, ergänzt Lütgenau: „Man schreibt ein Angebot, schickt es an die Agentur, wo jemand die Daten ins Agentur- und Kundensystem übertragen muss.“ Das Chaos wird komplett, wenn man bedenkt, dass manche Agenturen immer noch 350 Vermarkter buchen. Offenbar gilt auch für die Innovationsbranche Internet die alte Regel, dass der Schuster die schlechtesten Schuhe hat. Denn die Daten würden noch bei fast 30 Prozent aller Kampagnenbuchungen auf diese Weise bearbeitet und ausgetauscht, schätzt Lütgenau: „Wir haben vor Jahren angefangen, Rechnungen elektronisch abzuwickeln. Aber auch hier war nur die Hälfte dazu bereit.“
Chaos ordnen
Dass eine Standardisierung von Bezeichnungen und Vorgängen und die Schaffung einer gemeinsamen Schnittstelle für den Datenaustausch wie jetzt durch den Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) so lange auf sich hat warten lassen, hat nach Aussage der Beteiligten mehrere Gründe. „Die Hürde für eine Standardisierung lag hoch“, argumentiert Sascha Jansen. „Alle paar Jahre, wenn nicht sogar Monate werden neue Werbeformen erfunden, neue Buchungsformen eingeführt und Vermarktungsmandate neu vergeben. Das Investmentrisiko in Standardisierungssysteme ist in einem solchen Umfeld hoch.“ Der Ruf nach Standardisierung und damit nach Effizienzsteigerung wird immer dann lauter, wenn die Dynamik abflacht. „Am Anfang hat man mit der Bewältigung des Wachstums zu tun, erst danach kümmert man sich darum, das Chaos zu ordnen“, beschreibt Jansen.
Das System hat auch so lange gut funktioniert, solange die Anzahl der Buchungen eine kritische Größe nicht überschritten hat. „In den ersten Jahren lag der Schwerpunkt fast ausschließlich auf Verkauf. Jetzt wird viel mehr Wert auf Automatisierung und Prozessoptimierung gelegt. Das liegt daran, dass der Markt hauptsächlich über die Anzahl der Kampagnen und Kunden wächst“, erklärt Martin Lütgenau. Das durchschnittliche Kampagnenvolumen wächst dagegen nur langsam, liegt aber generell zwischen 10.000 und 100.000 Euro. „Wenn ich im nächsten Jahr 30 Prozent mehr Kampagnen habe, dann gilt es, durch Prozessoptimierung nicht 30 Prozent mehr Personal einstellen zu müssen. So viele Fachkräfte sind momentan im Markt eh nicht zu finden“, gibt Lütgenau zu bedenken. Wie kann ich also Prozesse optimieren, bei denen ich Daten nicht mehr doppelt erfassen muss?
Der neue OVK-Standard ist der erste Schritt in Richtung eines einheitlichen Ausgabe- und Übergabeformats. Die Idee: Bevor jeder einzelne Vermarkter Schnittstellen mit Agentursystemen baut und man dann nachträglich versuchen muss, diese zu standardisieren, macht man diesen Schritt lieber vorher, meint Jens Pöppelmann (IP Deutschland), Leiter der Unit Ad Technology Standards des OVK im BVDW: „Der OVK-Standard ist ein Angebot an die Media-Agenturen, um einheitliche Belegungseinheiten und Buchungsprozesse zu schaffen. Wenn wir die Standardisierung weiter umsetzen, wird das eine Signalwirkung im Markt haben, sodass sich alle Beteiligten an der Open-Source-Lösung orientieren werden“, ist sich Pöppelmann sicher.
Im Idealfall wird dann ein Mediaplaner in seinem System seine Planung machen und dort auch Verfügbarkeiten, TKP etc. bekommen. Wenn alles passt, bucht er. Dann erhält er eine Buchungsbestätigung mit allen Informationen, skizziert Pöppelmann: „Das Einzige, was wir als Vermarkter noch zusätzlich neben der Buchungsbestätigung machen müssen, ist der Einbau der Werbeform selber.“ Mit dem Austausch von Informationen zu Aus- und Übergabeformaten sei die erste Hürde genommen.
Erst 10 Prozent des Verbesserungspotenzials ausgeschöpft
Ein rund 170 Seiten starkes PDF – vollgepackt mit Vorschlägen zur Darstellung der Werbeformen – und die OVK-Schnittstelle für Dateien in XML-Format seien das Fundament für Verbesserungen. Solange es aber nur bei standardisierten Angebotsdokumenten bleibe, mache das nur die „ersten zehn Prozent des Verbesserungspotenzials“ aus, mahnt Sascha Jansen. Dass Angebotsdokumente von IP künftig so aussehen wie von UIM oder Yahoo, erspare die Suche nach dem Rabatt etc. Die übrigen 90 Prozent bestünden aber darin, dass die Systeme untereinander kommunizieren können müssen, betont der Mediaplaner: „Die Initiative ist gezündet, wie ein uniformer Datensatz aussehen soll. Aber nun muss sich jede einzelne Agentur überlegen, wie das, was sie als Planungsprozess aufgebaut hat und benutzt, automatisiert in eine Kommunikation mit Vermarktern übergehen kann.“ Operativ sei man im vergangenen Jahr ein gutes Stück vorangekommen, berichten beteiligte Dienstleister, berichtet Martin Lütgenau. Vor allem große Vermarkter und Mediaplaner entwickeln Schnittstellen zum Datenaustausch und bauen aus ihren Angeboten XML-Dateien, die ins System des beteiligten Dienstleisters eingespielt werden könnte.
Da der Drang zur Effizienzsteigerung da ist, wird der flächendeckende Einsatz zügig vorangehen, sind sich die Beteiligten sicher. Flächendeckend heißt: 20 Prozent aller Angebotsanfragen, vor allem Standardbuchungen wie Ad Bundle und Kampagnen, die schon über Commitments festgelegt wurden. Über Premium-Buchungen werde auch künftig am Telefon verhandelt. Dementsprechend sei ein Fünftel aller Anfrage schon eine ganze Menge – zumal es im internationalen Vergleich keine ähnliche Initiative gebe, betont Pöppelmann nicht ohne Stolz.
Daten kommen immer noch per E-Mail
Doch digitale Datensätze statt Faxe oder PDFs auszutauschen, ist nur die erste Entwicklungsstufe. „Auf der nächsten Stufe könnte die Agentur beispielsweise beim Vermarkter abrufen, ob Buchungsslots bei Freundin.de oder Faz.net frei sind. Oder man könnte Reportings austauschen“, skizziert Martin Lütgenau. Der Datenaustausch wird in einem ersten Schritt zwar bidirektional ablaufen, aber immer noch manuell per E-Mail. Es bedarf noch einer Austauschplattform, fordert Bernd Bube: „Man braucht einen Marktplatz, wo Vermarkter ihre Angebote einstellen und die Agenturen sich diese automatisiert abholen können.“ Neben Vermarkterangeboten könnten Mediaagenturen beispielsweise auch Reichweiten und soziodemografische Daten abrufen, sodass ich mir als Agentur zusammenstellen kann, welcher Vermarkter das für mich passendste Angebot hat. „Das wäre ein folgerichtiger nächster Entwicklungsschritt“, ist Bube überzeugt. Ein zentrales System ist für Jens Pöppelmann aber erst einmal Zukunftsmusik. Sein nächstes Etappenziel ist der Datenaustausch zwischen AGOF und den OVK-Mitgliedern bis zur dmexco – „wenn alles gut läuft“.
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