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Konsumenten auf großer Fahrt

Karsten Zunke, 1. März 2012

Beladen mit reichlich Konsumverlangen kreuzen moderne Konsumenten auf dem Ozean digitaler Konnektivität ihrem Ziel entgegen: dem Kaufabschluss. Sie wechseln die Boote, kommen des Öfteren vom Kurs ab, machen an unbekannten Inseln halt. Mitunter verschwinden sie auch spurlos in den Weiten des Mediums oder stranden an fremden Ufern. Für den Kurs der aufgeklärten Konsumwilligen durch das Web interessieren sich immer mehr Marketer und bieten sich als Lotsen an. Die Idee: Wer entlang der Reiseroute Marketingleuchtfeuer richtig positioniert, hat gute Chancen, dass digitale Weltenbummler den richtigen Hafen ansteuern und die Journey ihr Ziel erreicht – die Conversion.

Die Customer Journey möglichst lückenlos nachzuvollziehen, gilt als Königsdisziplin im Online-Marketing. Die Reise- und Touristikbranche hat naturgemäß große Erfahrungen mit Reisen aller Art. Doch beim Nachvollziehen der Customer Journey steht sie vor einer besonderen Herausforderung. „Um sich für eine Urlaubsreise zu entscheiden, benötigen Menschen nach unserer Erfahrung im Schnitt 50 Tage. Mehr als fünf Stunden surfen die Nutzer dazu über verschiedenste Websites“, erläutert Johann Hermann, Director Key Account Management bei Quisma. Der Entscheidungsprozess der Konsumenten ist damit erheblich länger als beim Kauf eines Fernsehers oder eines Paars neuer Schuhe.

Auch Wolfgang Thomas, Geschäftsführer von Netzwerkreklame, sieht in der Dauer des Kaufentscheidungsprozesses den gravierendsten Unterschied zum Customer Journey Tracking in anderen Branchen. „Der Endscheidungsprozess für einen Sommerpauschalurlaub beginnt häufig unterm Tannenbaum und erreicht seinen Höhepunkt meist Ende Januar/Anfang Februar“, so seine Erfahrung. In dieser Zeit gilt es, die Journey der User zu tracken und an den Touchpoints präsent zu sein. Das ist nicht immer einfach, vor allem Gerätewechsel machen den Marketern und Tracking-Dienstleistern zu schaffen.

Tim Ringel

Urlauber matchen

Zwar kann jeder digitale Kanal für sich gemessen werden, doch was häufig fehlt, ist die kanalübergreifende Verbindung, um Profile zusammenzuführen. Ob sich jemand zuvor via iPhone- oder iPad-App informiert hat, bevor er eine Reise im klassischen Internet bucht, bleibt im Verborgenen. Meistens. „Sobald sich ein Kunde in ein System einloggt, ist aber auch ein plattformübergreifendes Cross Channel Tracking möglich“, erläutert Tim Ringel, CEO von metapeople. So hat sein Unternehmen für eine Fluggesellschaft sogar die Aktionen auf Ticketautomaten am Flughafen getrackt. „Diese Automaten verfügen über ein Web-Interface. Man kann Aktionen auf ihnen also genauso tracken, wie eine SEO- oder SEA-Kampagne“, so Ringel. In dem Moment, wo sich ein Kunde registriert – wenn er sich beispielsweise an einem Bonussystem anmeldet –, kann dieser Kontakt mit den Web-Kontakten einer Airline gematcht werden. Auch der ansonsten schwer integrierbare Kanal Mobile lässt sich in diesem Fall in einer Customer Journey abbilden. Um über verschiedene Endgeräte hinweg zu tracken, muss es eine Aktion des Users geben, die ebenfalls geräteübergreifend sichtbar ist. „Dafür ist eine Verifizierung des Nutzers bestens geeignet“, so Ringel. Allerdings erhöhe eine solche User-ID stets auch die Komplexität der Customer-Journey-Analyse.

Tim Riepenhausen

Bewegungsmuster erkennen

„Das Tracking der Customer Journey lohnt sich umso mehr, desto mehr Fallzahlen vorliegen. Große Fallzahlen begünstigen die Bildung von Mustern“, sagt Tim Riepenhausen, Vorstand Business Development der Online-Marketing-Agentur adisfaction. Die führenden Reiseportale haben reichlich Traffic und bieten Reisen in die beliebtesten Urlaubsländer an. „Da lohnt sich das Tracking“, sagt Riepenhausen. Bei kleineren Plattformen mit wenig Kunden, Spezialanbietern mit Fokus auf ausgefallene Destinationen oder einfach auf kleinen Märkten wie der Schweiz stelle sich schnell die Frage der Effizienz. Lohnt sich der Aufwand, das Tracking einzurichten, und liefern die Daten tatsächlich erkennbare Muster? „Der ROI muss stimmen, auch beim Tracking“, so der adisfaction-Vorstand. Speziell in der Touristik sei das Tracking anspruchsvoll. „Die Customer Journey erstreckt sich über mehrere Wochen und zahlreiche Stationen, häufig durchsetzt mit Pausen. Die Conversion-Kette ist in der Regel lang. Wirklich sinnvoll und effizient wird Customer Journey Tracking dann, wenn sie mit der Optimierung von Maßnahmen Hand in Hand geht“, so Riepenhausen.

Budgets optimal einsetzen

Der Bid-Management-Dienstleister intelliAd bietet beispielsweise eine Lösung an, die Customer Journey Tracking und -Optimierung teilautomatisiert integriert: Bei Keywords mit hohen Conversion- und ROI-Werten steigert das Tool automatisch die Gebote. Das Budget wandert von Keywords mit schwächerer Performance zu denjenigen mit stärkerer. „Wenn ein solches teilautomatisiertes Gebotsmanagement zusätzlich die Conversion-Ketten berücksichtigt, werden nicht nur die Keywords, die direkt konvertieren, hochgeboten, sondern auch diejenigen, die am Anfang oder in der Mitte einer Kette stehen und so ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten“, erläutert Riepenhausen. Auch die wachsende Gruppe der ROPOs – also jener User, die sich online informieren, aber offline abschließen, kann heutzutage berücksichtigt werden. Die Google-Anzeigen werden dazu mit individuellen Servicenummern versehen, sodass bei einem Anruf im Call-Center getrackt werden kann, welche Keywords für Anrufe und telefonische Buchungen sorgen.

Laut einer Google-Untersuchung setzen fast 40 Prozent aller Reisewilligen nach wie vor auf Beratung und Buchung im Reisebüro. Allerdings schrumpft diese Gruppe. Ein Viertel recherchiert online, um dann im Reisebüro abzuschließen. Etwa jeder siebte Reisewillige sucht und bucht online. „Bei dieser Gruppe handelt es sich insbesondere um Schnäppchenjäger. Sie machen nur zehn Prozent vom Umsatz aus, legen aber anteilig zu“, so Riepenhausen. Fast 80 Prozent aller User nutzen Google zur Reiserecherche. Untersuchungen gehen davon aus, dass sich der Anteil der Online-Buchungen bis zur Saison 2014/15 auf 43 % erhöhen wird.

Haltbare Cookies und differenzierte Betrachtung

„Um in der Reise- und Touristikbranche die Customer Journey sinnvoll tracken zu können, sollte die Cookie-Laufzeit von 30 auf 60 – oder noch besser – auf 90 Tage verlängert werden“, rät Hermann. Nur so seien die langen Entscheidungsprozesse analytisch gut greifbar. „Darüber hinaus muss man auch von dem in der Reise- und Tourismusbranche weitverbreiteten Last-Cookie-Wins-Prinzip abrücken“, fordert Hermann. Nur so ließen sich die Budgets effizient auf die einzelnen Werbemaßnahmen verteilen. Eine optimale Budget-Allokation spielt für Werbungtreibende eine immer größere Rolle.

Doch längst kann nicht die gesamte Reise- und Touristikbranche über einen Kamm geschoren werden. Es gibt verschiedene Player in diesem Markt: Große Gruppen sind beispielsweise Hotelanbieter, Fluganbieter sowie Vermittler beziehungsweise Veranstalter. Das Produkt Flug dreht sehr schnell, die Margen sind klein. Hier setzt man eher auf effiziente Search-Kampagnen. Kreuzfahrten hingegen werden auch kanalübergreifend beworben. Doch selbst der Kanal Online bietet in dieser Branche ein große Bandbreite: Es gibt Hotelwebsites, Fluggesellschaften mit eigenen Websites, Pages von Online Travel Agencies (OTA) oder Länderinitiativen, die ihre Heimatstaaten als Reiseziel bewerben – wie Newzeeland.com oder visitscotland.com. Diese Seiten werden für unterschiedliche Ziele eingesetzt und von den Konsumenten entsprechend unterschiedlich genutzt. Suchmaschinen spielen eine besondere Rolle, da so mancher Interessent sein Hotel auch schon mithilfe einer digitalen Landkarte auswählt. Vergleichsportale werden ebenfalls immer wichtiger – vor allem für Flugreisen. „Eine Cross-Channel-Attribution darf daher nicht auf dem letzten Cookie oder einer Plattform aufgebaut werden, sondern muss sich in der Reise- und Tourismusbranche nach den Produkten richten“, sagt Ringel.

Johann Hermann

Andere Produkte, andere Touchpoints

Es gibt sehr viele Möglichkeiten, den Entscheidungsprozess eines Users zu beeinflussen. „Wichtig ist es, an diesen Touchpoints auch präsent zu sein“, sagt Hermann. Denn wer dies bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen, wie sie im Reisebereich häufig vorkommen, versäume, der drohe aus dem Entscheidungsraster des Users „herauszufallen“. Über eine solche komplexe Customer Journey hinweg mit dem Nutzer zu interagieren, gilt als äußerst schwierig. Denn es gibt in diesem Segment keinen idealen „Path to Conversion“. „Nahezu jede Customer Journey ist unterschiedlich“, so der Quisma-Experte. Doch eine Charakteristik lasse sich doch erkennen: „Am Anfang einer Customer Journey werden im Tourismussegment häufig Websites von Tourismusinitiativen von Ländern oder Regionen angesteuert. Dort wird das Bedürfnis geweckt. Dann folgen Foren, in denen man sich über Land und Leute informiert. Erst im nächsten Schritt kommen Vergleichsportale ins Spiel. Suchmaschinen spielen während des gesamten Entscheidungsprozesses eine maßgebliche Rolle“, erläutert Hermann.

Thomas bestätigt diese Beobachtung. „Mit den verschiedenen Seitentypen erreicht man die Menschen in unterschiedlichen Phasen ihres Entscheidungsprozesses. Die hohe Kunst ist es, überall mit der richtigen Botschaft präsent zu sein“, so Thomas. Seine Agentur versucht deshalb immer, Tourismuskampagnen so anzulegen, dass es ein sinnvolles Zusammenspiel ergibt. „Armchair Websites mit redaktionellen Inhalten – beispielsweise über das unentdeckte Mallorca – werden entweder zu einem sehr frühen Zeitpunkt aufgesucht oder dann, wenn die Entscheidung praktisch schon gefallen ist. Hier muss mit Fingerspitzengefühl agiert werden“, so Thomas.

Anna-Lena Radünz

Auch Social immer wichtiger

Neben den Websites der Reiseanbieter und den Vergleichs- und Bewertungsportalen sind insbesondere Empfehlungen aus dem eigenen persönlichen Netzwerk zunehmend Bestandteil vieler Customer Journeys. „Der Einfluss von Social Media auf Kaufentscheidungen ist bekannt, wird aber bisher nur von wenigen Unternehmen ins Customer Journey Tracking einbezogen“, sagt Anna-Lena Radünz, Social-Media-Expertin von Social Passion. Häufig hapere es an der passenden Technik.

Um eine Customer Journey kanalübergreifend nachzuvollziehen, muss in allen Kanälen mit der gleichen Technik getrackt werden. „In der Praxis haben Werbungtreibende aber für jeden Kanal häufig eine Spezialagentur“, so die Beraterin. Das mache die Analyse schwierig. Wer Customer Journey Tracking langfristig für seine Kampagnen implementieren möchte, müsse sich laut Radünz daher zunächst auch über seine Agenturstruktur Gedanken machen – oder seine Agenturen dazu bewegen, für ihn eine ganz bestimmte Trackingtechnologie einzusetzen. „Für Touristikunternehmen sind heutzutage nicht die Kosten, sondern Technik und Organisation die größten Herausforderungen, um ein Customer Journey Tracking zu implementieren“, so Radünz.

Bild Karsten Zunke Über den Autor/die Autorin:

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