Behavioral Targeting auf Webseiten hat seinen Erfolgsbeweis erbracht, nun folgt die nächste Stufe: Behavioral Targeting in E-Mails. Experten fürchten eine neue Datenschutzdiskussion. Im August 2011 veröffentlichte Jakob Gomersall von RedEye Deutschland einen Fachbeitrag im Adzine-Newsletter und löste damit eine kontroverse Diskussion aus.
RedEye versucht derzeit mit E-Mail-Retargeting Kunden zu gewinnen. Vor allem die Kaufabbrecher stehen im Fokus von Werbe-E-Mails, die den Fastkunden zur Rückkehr in den Shop und zur finalen Conversion aktivieren sollen.
Das Prinzip ist schlüssig. Die sehr direkte Kommunikation via E-Mail kann durch passgenaue Angebote deutlich an Relevanz und somit an Klickrate gewinnen. Der Teufel steckt im Detail, nämlich in der Verknüpfung von persönlichen Daten wie zum Beispiel der E-Mail-Adresse mit den aufgezeichneten Verhaltensmustern aus der Webanalyse. Gomersall ist folgender Auffassung: „Die Zusammenführung persönlicher und verhaltensbezogener Informationen in einer Datenbank entspricht der geltenden Rechtslage in Deutschland“.
Wettbewerber Mediascale ist da anderer Meinung. Im Mediascale-Blog formulierte Alexander Emmendörfer: „nur leider ist die Idee in dem von Herrn Gomersall beschriebenen Verfahren verboten.“ Emmendörfer bezieht sich konkret auf die Zusammenführung der personenbezogenen Daten wie zum Beispiel der E-Mail-Adresse mit den verhaltensbezogenen Daten aus der Webanalyse. „Streng genommen ist es sogar schon verboten, innerhalb des Mediums E-Mail das Klickverhalten individuell zu speichern und später für relevantere Angebote zu nutzen“, so Emmendörfer.
Die Diskussion ähnelt der ewigen Cookie-Debatte. Retargeting per Web-Browser, wie es von Criteo exzessiv angeboten wird, speichert die Verhaltensdaten und verbindet sie mit einem Browser-Footprint, der IP-Adresse und einem oder mehreren Cookies. Browser-Footprint und Cookie sind vergleichsweise anonym, die IP-Adresse lässt sich kürzen und bleibt dennoch verwertbar. Der Sitebetreiber muss im Wesentlichen das Tracking selbst in seinen Geschäftsbedingungen erklären und den Nutzern eine Widerspruchsmöglichkeit einräumen. Auf dieser Grundlage wird Retargeting derzeit geduldet, wenngleich Datenschützer eine strengere Auslegung des Telemediengesetzes fordern. „Das Nachbearbeiten von nicht verkauften Warenkörben ist meines Erachtens deshalb unzulässig, weil zum einen eine Geschäftsbeziehung durch das Nichtbestellen des Kunden nicht zustande kam und zum anderen hierzu kein ausdrückliches Opt-in für die Werbegenehmigung erteilt wurde“, meint Jörg Eichinger, Präsident des Vereins sicherer und seriöser Internetshopbetreiber e. V.
Beim E-Mail-Retargeting erfolgt die Zuordnung nicht durch eine anonym ausgestaltbare Erkennung via Cookie und IP-Adresse, sondern direkt durch die Datenbank. „Die Verknüpfung der Daten ohne ausdrückliches Opt-in ist definitiv illegal“, weiß Webanalysespezialist Christian Bennefeld von etracker. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: „Selbst die Bewegungsdaten, die unmittelbar vor dem Opt-in gemessen wurden, dürfen streng genommen nicht ins Nutzerprofil aufgenommen werden. Das Opt-in gilt für erst für die nächste Transaktion oder den nächsten Besuch.“
Kein Kontakt ohne Opt-in
E-Mail-Experte Thorsten Schwarz von Absolit hält den grundlegenden Ansatz des Retargeting per E-Mail für funktionsfähig. „Das Prinzip ist wunderbar, es funktioniert in den USA und in UK, aber wir Deutschen sind eben anders.“ Schwarz befürchtet, dass es hierzulande eine intensive Datenschutzdiskussion geben wird, wenn einzelne Marketer mit dieser neuen Werbeform sehr offensiv umgehen. „Wenn die E-Mail konkret auf das Tracking des Surfverhaltens Bezug nimmt, zum Beispiel auf den Kaufabbruch, dann werden sich viele Nutzer darüber ärgern.“ Christian Bennefeld spürt heute schon eine wachsende Vorsicht der Nutzer gegenüber Cookies, weil ein Teil der Retargeting-Kampagnen zu aggressiv vorgeht und den Nutzern auch dann Produkte anbietet, wenn diese sie bereits gekauft haben.
Thorsten Schwarz glaubt auch, dass es schwierig wird, dem Nutzer die Zusammenhänge zu erklären. „Wenn ich den Nutzer in der E-Mail mit Namen anspreche und ihm ein verhaltensbasiertes Angebot unterbreite, wird es schwierig zu erklären, dass das System in einer Blackbox läuft und der Absender gar keine einzelnen Datensätze herausziehen kann.“ Schwarz fordert, dass sich die großen E-Mail-Dienstleister zusammensetzen und eine Zertifizierung für eine sichere „Blackbox“ auf den Weg bringen, um das Erfolg versprechende System nutzen zu können. Bennefeld widerspricht: Die bloße Zusammenführung der Daten ist nicht rechtens, völlig egal, ob das ein Shopbetreiber selbst oder ein zertifizierter Dienstleister macht.
Retargeting für Bestandskunden
Wer sein E-Mail-Marketing weiterentwickeln, aber rechtlich auf der sicheren Seite bleiben will, wird Retargeting per E-Mail nur bei Bestehen eines expliziten Opt-ins nutzen. Die Zusammenführung von personenbezogenen und CRM-Daten ist beim Kontakt mit Bestandskunden gang und gäbe. Shopbetreiber dürfen in sehr eingeschränktem Umfang für Folgeprodukte und ähnliche Artikel auch ohne Opt-in werben, müssen dem Nutzer aber die Widerspruchsmöglichkeit einräumen. Ob diese Daten mit aktuellen Trackingdaten angereichert werden dürfen, bleibt zu klären. Amazon bietet eine entsprechende Einstellung für Newsletterempfänger an, die allerdings als Opt-out ausgeführt und daher in Deutschland kritisch anzusehen ist.
Liegt ein Opt-in vor, erzeugen personalisierte Kampagnen häufig höhere Klickraten und Conversions. Travel London addiert entsprechende Verhaltensdaten zu den Nutzerprofilen, um die Nutzer der Website zu Ticketkäufen für die Olympischen Spiele in London zu animieren. Die durchschnittliche Öffnungsrate der E-Mails wurde eigenen Angaben zufolge verdoppelt. Bei bestimmten Kampagnen verzeichnete man eine Verzehnfachung der generierten Umsätze. JupiterResearch glaubt in einer Studie, dass sogar eine 18-fache Steigerung durch E-Mail-Retargeting möglich ist.
Für Deutschland ist sicher ein vorsichtiger Umgang mit der Technik an sich gefragt, auch im Hinblick auf Formulierung und Versandfrequenz der personalisierten E-Mail. In einem etwas älteren Blog-Post freute sich Lyz Lynch von eDialog über eine Retargeting-Mail eines Möbelanbieters und notierte mit wohlwollendem Erstaunen, dass das Retargeting erst vier Tage nach dem Sitebesuch und auch nur einmalig stattfand. „Das ist etwas weniger big-brother-artig“, schreibt Lynch. Blogger Frank Rix nennt es „Diskretionsabstand“. Unterdessen wundert sich die Marketingspezialistin nicht, woher der Anbieter ihre E-Mail-Adresse kannte, wo sie doch in der beobachteten Session den Kauf abbrach. Da sie an anderer Stelle aber von den „üblichen Werbemails“ des Möbelanbieters sprach, könnte daraus geschlossen werden, dass bereits eine Kontaktbeziehung vorliegt. Oder es ist ihr einfach egal, solange der Inhalt stimmt.