Near Field Communication (NFC) weckt große Hoffnungen auf die massenhafte Verbreitung mobiler Mehrwertdienste. Skeptisch sind Branchenexperten dagegen, welche Relevanz NFC für Marketing und Werbung haben wird.
Jetzt geht’s los: Das ewige Nachwuchstalent NFC soll nun endlich erwachsen werden. 2012 soll den Durchbruch für den kontaktlosen, bidirektionalen Übertragungsstandard im Kurzstreckenbereich bringen. Für 2014 erwarten die Marktforscher von Juniper Research, dass etwa 34 Milliarden Euro mit Einkäufen über mobile NFC-Bezahlsysteme umgesetzt werden. Bis 2016 soll der Markt für NFC-Handys laut IMS Research auf 700 Millionen von erwarteten 100 Millionen Stück in diesem Jahr wachsen.
Die imposant anmutenden Prognosen für die weltweite Entwicklung wirken für das in Sachen Sicherheit und Schutz persönlicher Daten bei Handytransaktionen traditionell skeptische Deutschland noch wie von einem anderen Stern. Und doch gibt es sie, die Pionierprojekte: Im November hatte die Deutsche Bahn nach dreijähriger Testphase ihr mobiles Bezahlsystem Touch and Travel offiziell gestartet. Als Besitzer eines NFC-Handys hält man sein Gerät einfach vor die Touch-and-Travel-Station, um sein Ticket zu buchen und zu bezahlen. Inzwischen seien laut Bahn bundesweit alle Bahnhöfe mit Touchpoints ausgestattet.
Nur an NFC-Handys fehlt es noch. Deshalb hatte die Bahn ihre mittlerweile 3000 NFC-Testkunden auch mit den nötigen Handys ausgestattet, wie Bahn-Sprecher Holger Auferkamp erklärt. Kunden ohne NFC-Chip in ihrem Handy müssen alternativ den auf dem Touchpoint aufgedruckten Barcode scannen oder die Nummer des Touchpoints eingeben und per App die Anwendung nutzen, also einen weniger komfortablen Umweg gehen.
Auch Couponing-Anbieter Coupies hat Ende vergangenen Jahres seine Partnergeschäfte mit Touchpoints in Form von Aufklebern im Kassenbereich ausgestattet. Handys, die ein NFC-Modul integriert haben, müssen nur an den Sticker gehalten werden. Nutzer ohne NFC-Smartphone müssen den Sticker aus der Coupies-App heraus abfotografieren, um den Coupon einzulösen. „Bereits seit geraumer Zeit statten Handyhersteller wie Samsung, Nokia oder Motorola ihre Smartphones mit NFC aus, allein es fehlen die entsprechenden Dienste bzw. Apps, die diese Technik auch einsetzen“, schildert Coupies-Geschäftsführer Felix Schul.
„Wir wollen nicht nerdy sein“
Bislang fehlt es an der nötigen Infrastruktur, um NFC-Projekte aus der Innovationsecke zu holen und einen ausreichenden ROI zu erzeugen, bemängelt Joachim Bader, Director Sapient Nitro: „Neben einer flächendeckenden Installation von NFC auf Smartphones müssten auch auf Händler- und Anbieterseite Strukturen gegeben sein, damit ich mit meinem NFC-Handy überhaupt etwas anfangen kann: beispielsweise Kassensysteme, Regale, Rauminstallationen etc. Auch die Außenwerbung muss mehr in diese Richtung tun. Zudem müssen die Nutzer erst mal verstehen, dass ihr Handy NFC-fähig ist und was sie damit anfangen können. Viele wissen beispielsweise bislang nicht einmal, dass bei ihrem Handy ein QR-Code-Reader vorinstalliert ist.“
Technische Voraussetzungen sind das eine, die praktische Durchdringung in der breiten Nutzung das andere. Bis es so weit ist, sieht Mobile-Experte Joachim Bader noch keine Notwendigkeit, seinen Kunden NFC-Projekte zu empfehlen: „Wir holen seit Jahren mit unseren Projekten Mobile aus dieser Kann-man-mal-probieren-Ecke heraus. Relevanz statt Nische. Mit NFC-Anwendungen, die bislang nur von einer sehr überschaubaren Menge genutzt werden, ist das noch nicht zu machen. Und wir wollen nicht nerdy sein.“
An QR-Codes als adäquate Vorstufe für NFC glaubt Bader nicht: „Ich erkenne bei den meisten QR-Codes keinen Mehrwert. Man kann auf jedem Smartphone eine URL eingeben. Und andere, die kein Smartphone haben, benutzen eh keine QR-Codes.“ Wenn das Mobilportal für ein entsprechendes Angebot gut gemacht sei, könne man sofort Content und Apps herunterladen. Nichts anderes mache der QR-Code in den meisten Fällen auch, winkt Bader ab.
„QR-Codes haben nie die Erwartungen erfüllen können, die an Nutzung und Reichweite gestellt wurden“, pflichtet Henning Ralf bei, Director Mobile bei Razorfish. Auch wenn gerne jeder Smartphone-Nutzer zu den potenziellen Verwendern von QR-Codes zähle – wirklich genutzt habe sie praktisch niemand, egal, wie viele Plakate mit Codes versehen wurden. „Sie sind eine Lösung für ein Problem von vorgestern, nämlich das Eintippen von Webadressen auf alten Handys. QR-Codes haben sicherlich bald ausgedient“, ist Ralf sicher. Daher sei es besser, „saubere mobile URLs zu kommunizieren statt QR-Codes zu propagieren“.
Mobile Impulse für das stationäre Web
QR-Codes sind also nicht die Zukunft. NFC noch nicht. Das Vakuum dazwischen wird sich füllen, wenn Händler und Dienstleistungsunternehmen erkennen, an welchen Touchpoints sie NFC einsetzen können: an der Kasse, im Regal, auf dem Flughafen, im Taxi. „Das geschieht dann auch über Werbung, aber nicht mehr im klassischen Sinne von One-to-many, sondern interaktiv. Das würde auch den erhofften Mehrwert bringen können“, skizziert Joachim Bader. Mobile Bezahlverfahren oder das papierlose Einlösen von Coupons sind da nur der Anfang. Stationäre Händler stehen durch die Online-Konkurrenz und deren mobiles Engagement erheblich unter Druck. Im Sinne der Steigerung des Einkaufserlebnisses und Services müssen Händler ein Gesamtpaket schnüren, das neben Buchungs-, Bezahlungs- und Coupon-Einlösefunktionen beispielsweise auch Beratung, Treueprogramme und Location based Services umfasst.
Dann könnte Mobile auch für das stationäre Web interessante Impulse bieten, wie Barcoo-Gründer Benjamin Thym am Beispiel des standortbezogenen sozialen Netzwerkes Foursquare erklärt: „Foursquare macht derzeit eine interessante Entwicklung durch und beweist, dass es nicht nur für die Nutzer relevant ist, die diesen Dienst per Check-in schon nutzen. Basierend auf diesem Check-in können wiederum Social Recommendations ausgegeben werden für Nutzer, die keine aktiven Foursquare-Einchecker sind. Das heißt, Foursquare geht von Mobile to Web. Basierend auf der Anzahl der Check-ins sucht man sich die angesagteste Bar in Berlin o. Ä. Um davon zu profitieren, muss ich kein Foursquare-User sein.“ Foursquare erschließe sich so neue Nutzungsschichten unabhängig von den Leuten, die den Check-in machen. „Das kann für jemanden wie Qype auf längere Sicht lebensbedrohlich sein. Mobile hat somit das Potenzial, Dienste zu bedrohen, die im Web angesiedelt sind und nicht in diese Richtung denken.“
Roll-out in der breiten Masse noch nicht 2012
Erfolgsgeschichten, wie man mobile Empfehlungsfunktionen in der Werbung einsetzt, gibt es bislang hierzulande noch nicht. In den USA dagegen hat beispielsweise Draftfcb für den Lebensmittelkonzern Del Monte schon erfolgreich ein Projekt umgesetzt, schildert Thorsten Linz, Senior Vice President und Director Emerging Technologies bei Draftfcb München: „Draftfcb hat für den Lebensmittelspezialisten in San Francisco, Chicago, New York und Los Angeles 434 Kontaktportale, sogenannte Geo-Fences, im Handel aufgestellt. Über diese versorgt Del Monte Kunden mit gezielten Informationen in Form von SMS.“ Das Ergebnis: 37 Prozent der User hätten daraufhin einen Kauf getätigt und 17 Prozent zusätzliche Infos zu den Produkten abgerufen.
„NFC kommt, im Bereich E-Commerce naturgemäß stark“, resümiert Joachim Bader, der für seine Kunden, wie beispielsweise Lufthansa, schon die ein oder andere Idee hat – auch in Verbindung mit Außenwerbung: „Da gibt es noch viele Möglichkeiten.“ Allerdings dämpft er Erwartungen, noch in diesem Jahr mit massenmarktfähigen Projekten aufwarten zu können. „Ob sich NFC in Zukunft die Erwartungen an Nutzung und Reichweite erfüllen wird, muss sich zeigen“, bremst auch Henning Ralf die Euphorie. „Die Relevanz dieser Technologie für Werbung und Marketing lässt sich noch gar nicht einschätzen. Wie sich NFC entwickelt, sehen wir in diesem Jahr. Wir sind gespannt.“