Die Dynamik und Mechanismen des App-Marktes werden noch immer nicht überall verstanden. Das meint jedenfalls Matthäus Krzykowski, Mitbegründer des App-Suchmaschinenanbieters Xyologic in Berlin. Wir sprachen mit Krzykowski über die Entwicklung des App-Marktes und wie die Publisher die Verbreitung ihrer Anwendungen für mobile Endgeräte und Tablets verbessern können.
Matthäus Krzykowski ist in der mobilen Branche zu Hause. Der 33-jährige gebürtige Pole kommt aus dem Silicon Valley, wo er u. a. beim Fachmagazin VentureBeat arbeitete, für die er das Mobile Event Business aufgebaut hat und Konferenzen wie den Mobile Summit und MobileBeat moderierte. Daher ist er mit der US-Start-up-Szene und dem Marktverständnis der dahinterstehenden Inverstoren bestens vertraut.
Inzwischen hat der Wahlberliner mit Zoe Adamovicz und Marcin Rudolf sein eigenes Venture Xyologic gegründet. Xyologic ist ein App-Such- und Analysetool, das von wichtigsten App-Plattformen in 29 Ländern die Downloadzahlen der einzelnen Apps zählt, wodurch sich so deren Verbreitung in den Märkten vergleichen und prognostizieren lassen. Die Ergebnisse stellt Xyologic kostenlos in Reports bereit. Damit können auch Advertiser äußerst aufschlussreiche Einsichten zur nationalen und internationalen Verbreitung von Apps gewinnen.
Adzine: Herr Krzykowski, im Juni soll es laut Xyologic-Hochrechnung so weit sein, dann wird die Downloadzahl der Android Apps die von Apples Apps übersteigen. Wann wird es wohl in Deutschland so weit sein? Bröckelt auch hier die Apple-Dominanz, wie zuletzt überall behauptet?
Krzykowski: Wir halten weiterhin an dieser Hochrechnung vom letzten September fest. Die Downloadzahlen bei iOS wachsen exponentiell, bei Android sogar hyper-exponentiell. Das sehen wir weiterhin, Monat für Monat, wenn wir unsere neuen Daten veröffentlichen. Was Deutschland angeht, da ist eine genauer Prognose schwierig. Es gibt die ersten Staaten in Europa – die Tschechei, Polen, Portugal und Spanien –, wo Android bereits iOS bei den monatlichen Downloadzahlen überholt hat. Apps stehen für das mobile Internet. In Deutschland könnte es Ende des Jahres so weit sein.
Adzine: Vergleicht man die Dynamik der Downloadzahlen für WP-7 Apps mit den Anfängen von Apple und Android, bekommt Microsoft mit Nokia eigentlich bereits ein wenig Grip auf die App-Strecke? Ihre Einschätzung?
Krzykowski: Von der Qualität ja, von der Quantität noch nicht. Für die Geldgeber im Silicon Valley ist es entscheidend, welche User Experience seitens der Plattformen und der dazugehörigen App unterstützt wird: benutzen die User der Apps die Apps so, dass sich die dahinterliegenden Businessmodelle rentieren? Das ist ein rechnerisches Kalkül, welches die Investoren Monat für Monat in den Reports ihrer Start-ups sehen und dann rational entscheiden. Aus Gesprächen weiß ich, dass dies nicht nur bei Android, iOS, sondern auch bei WP7 der Fall ist. Apps sind also nicht gleich Apps. Jedoch fehlt bisher WP die Reichweite, vor allem in den USA, was der Kernmarkt für Start-ups ist.
Adzine: Wie erheben Sie eigentlich Ihre Daten?
Krzykowski: Wir kopieren monatlich die öffentlichen Daten aus den Appstores in unser System. Das verbinden wir mit unseren selbst entwickelten statistischen Modellen und rechnen dann die Zahlen hoch.
Adzine: Das sind also Schätzungen, wie hoch ist Ihre Fehlerquote?
Krzykowski: Umso kleiner die Downloadzahl, umso höher ist leider die Fehlerquote. Für Android haben wir eine Fehlerquote von bis zu 26 Prozent, bei Apple Apps mit niedrigen Downloadzahlen um die 10.000 oder 20.000 Downloads kann sie deutlich höher liegen. Wir haben die dahinterliegende Technologie in den letzten zwei Jahren entwickelt und werden uns dort in den nächsten Monaten noch verbessern.
Adzine: Wie lang ist die durchschnittliche „Halbwertszeit“ einer kostenlosen und einer Bezahl-App, wie lange sind diese durchschnittlich in Gebrauch, bis sie deinstalliert werden? Haben Sie dazu Erkenntnisse?
Krzykowski: Die Industrie veröffentlicht dazu regelmäßig die Kennzahlen. Die sind bei iOS und Android ähnlich. Faustregel ist, dass 90 % aller installierten Apps nach drei Monaten nicht mehr benutzt werden. In einigen App-Kategorien, zum Beispiel „News“, sind es „bloß“ 75 %.
Adzine: Die Vermarktung von Apps erscheint deutlich komplizierter als eine mobile oder stationäre Webseite. Wie kann man nun einer App „Beine machen“, damit sie häufiger runtergeladen wird. Welche Tricks kennen Sie?
Krzykowski: Ganz ehrlich. Das ist viel komplizierter, als man denkt. Grundsätzlich gibt es drei Wege. Es gibt Advertising-Unternehmen wie beispielsweise Madvertise , die mit ihrer Dienstleistung KatAPPult die Platzierung im Ranking für einen App-Publisher verbessern können. Häufig nutzt der Publisher aber In-App-Advertising für andere Apps aus dem eigenen Haus (Stichwort Cross-Advertising). Dann gibt es noch die Incentivized-Installs-Anbieter, allen voran Tapjoy, aber auch SponsorPay.
Adzine: Damit können Publisher ihre App-Downloads nach oben puschen?
Krzykowski: Genau. Tapjoy ist ein pay-per-install advertising network für kostenlose Apps. In der Werbung einer App, zumeist in Games, klappt sich eine Übersicht für andere Apps auf. Wenn der User eine App daraus installiert, wird er zum Beispiel mit virtuellen Gütern belohnt, um im Spiel weiterzukommen. Für Apple Apps sind diese Incentivized-Installs-Angebote seit April 2011 jedoch stark rückläufig, weil Apple interveniert hat und die effektivsten Formen der Incentivized Installs verboten hat.
Adzine: Warum?
Krzykowski: Aus meiner Sicht hat Apple diese Incentivized Installs untersagt, weil allein Tapjoy damit auf iOS-Geräten mehr Umsatz gemacht haben soll als der Apple-Vermarkter AdMob. Seitdem haben sich die Vermarktungsmöglichkeiten für Apps auf iOS deutlich verschlechtert. Auf Android sind weiterhin alle Formen der Incentivized Installs möglich.
Adzine: Gibt es Unterschiede in den Verdienstmöglichkeiten mit Android und Apple Apps?
Krzykowski: Ja. Deutliche. Die Zahlungsbereitschaft ist beim Android-Nutzer viel niedriger. Es ist also für den Android Publisher einfacher, einen Userdownload zu erzielen, doch viel schwieriger ist es, mit der App auch Geld zu verdienen. Es ist schwierig, eine Zahl anzugeben, die Dimensionen wiedergibt. Vielleicht hilft diese: Grob gilt es für einige der Werbeanbieter in der Industrie, dass sie bereit sind, für einen Lead bei einem Apple Publisher 5,- US-Dollar und einem Android Publisher 2,- US-Dollar zu bezahlen.
Adzine: Nutzen einige Publisher Incentivized Installs auch außerhalb des Gaming-Bereichs?
Krzykowski: Ja, das tun sie. Da sind Publisher in den Bereichen Messaging, News, Business/Finance, Travel, Utilities etc. zu nennen. Der Trend wird jedoch immer noch am stärksten von US- und japanischen Firmen verstanden und schwappt nur vergleichbar langsam nach Deutschland über. Die meisten hiesigen Publisher verstehen nicht, dass dies gerade die Zeit des Wilden Westens ist - wo die internationalen Spieler gerade aggressiv ihr Publikum mithilfe solcher Taktiken aufbauen.
Adzine: Gibt es für die App-Nutzer eine zentrale, neutrale und plattformübergreifende Webseite, über die er sich über alle aktuellen Apps erkundigen kann?
Krzykowski: Eine solches Portal, das einem Konsumenten eine umfassende Übersicht über alle Apps geben könnte, gibt es meiner Ansicht nach nicht wirklich. Die Anzahl der Apps wächst wie gesagt sehr schnell und einen Dienst, der das Problem für Apps löst, wie es Google für das Web löst, existiert noch nicht. Ein Beispiel zur Verdeutlichung der Dimension der Herausforderung: Bei Xyologic indexieren wir unter anderem im Moment mehr als 1 Mio. Android, iOS und WP Apps und dazu aggregieren wir über 30 Mio. Userbewertungen dieser Apps. Wir glauben, dass jeder Anbieter, der es schafft, in dieser App-Ökonomie mehr Ordnung zu schaffen, die Möglichkeit hat, ein gutes Business aufzubauen.
Adzine: In Ihrem Blog sagen Sie, dass die meisten Publisher bzw. Verlage noch gar nicht die globalen Mechanismen in der App-Ökonomie verstanden haben, auch Deutschland sei da keine Insel …
Krzykowski: Viele Leute behaupten, sich mit dem Apps-Business auszukennen, tatsächlich verstehen nur die wenigsten das Business wirklich. In Deutschland sind das nur eine Handvoll Unternehmen. Typischerweise sind von den 150 in einem Monat am meisten gedownloadeten Apps ungefähr 120 internationale. Hierzulande gibt es ein „altes Mobile Business“, das nur im eigenen Saft schmort, und das „neue Mobile Business“, das von vornherein global agiert und entsprechende Ressourcen hat. Viele im deutschen Web etablierte Player lassen sich gerade im mobilen Internet vom Silicon Valley und aggressiven internationalen Akteuren die Butter vom Brot nehmen und merken es nicht mal.
Adzine: Herr Krzykowski, vielen Dank für das interessante Gespräch!