Ob zunächst nur mit einem professionellen Webauftritt oder schon mit gezielten Online-Marketing-Maßnahmen – die Unternehmen in Deutschland scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und nutzen das Web mehr denn je, um sich dort erfolgreich zu positionieren. Freilich gibt es noch reichlich Luft nach oben.
Sie mehren sich, die Online-Marketing-Erfolgsgeschichten aus dem deutschen Mittelstand. So zum Beispiel die der Versandapotheke apo-rot. Die Hauptapotheke ‚Apotheke am Rothenbaum‘ wurde 2002 als reine Offline-Apotheke in Hamburg gegründet. Zwei Jahre später erhielt sie die Versandhandelserlaubnis nach dem Apothekengesetz. Bereits 2005 konnte die Apotheke 100.000 Kunden beliefern, im Jahr 2011 sind es inzwischen 800.000.
Der Erfolg von apo-rot beruht nicht allein auf günstigen Preisen, sondern auch auf dem konsequenten Einsatz von Online-Marketing-Maßnahmen, allen voran dem Searchmarketing. „Wir beschäftigen uns seit 2003 mit Online-Marketing und setzen dieses seitdem erfolgreich um“, sagt Jörg Dumke, Geschäftsleitung apo-rot. Neben dem Searchmarketing arbeiten die Hamburger inzwischen auch mit der Customer-Journey-Analyse und Crossmedia, ein großes Thema, wie Dumke sagt. „Wir stimmen unsere Online- und Print-Maßnahmen aufeinander ab, sodass wir die größtmöglichen Effekte erzielen können.“ Eine externe Agentur wird hierzu nicht beschäftigt. Die Hamburger Versandapotheke, die diverse Apothekenkooperationen u. a. auch in Berlin und Sachsen hat, macht diesbezüglich alles Inhouse.
Deutschland ist Mittelstand
In Deutschland gibt es 3,6 Millionen Klein- und mittlere Unternehmen, sogenannte KMUs, davon sind 3 Mio. Familienunternehmen, so das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn. Diese Unternehmen umfassen rund 99,7 Prozent aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen und erwirtschaften rund 37,5 Prozent aller Umsätze. Die Zahl ihrer Existenzgründungen betrug 2010 rund 417.000; im Vergleich zum Vorjahr war das eine Steigerung um 1,2 Prozent, so das IfM.
Geburtswehen
Doch noch oft fehlt diesen Unternehmen genau das, was einem typischen ‚Samwer-Start-up‘ in die Wiege gelegt ist: ein ordentlicher Webauftritt und entsprechendes Online-Marketing-Know-how. So bieten nur 13 Prozent aller KMUs ihre Produkte und Dienstleistungen auch online an. Das besagt eine Bestandsaufnahme von Google zur Initiative ‚Online Motor Deutschland‘, die der Suchmaschinenanbieter gemeinsam mit dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) ins Leben gerufen hatte. Aber nicht alle dieser KMUs müssen oder können das Internet gleichermaßen als Vertriebskanal nutzen. Ein Maschinenbauer muss dort für sich andere Schwerpunkte setzen als ein Handelsunternehmen.
„Wir kratzen im Online-Marketing erst noch an der Oberfläche“, gesteht beispielsweise Frank Witte, Geschäftsführer der TPA GmbH aus dem baden-württembergischen Öhringen. Das mittelständische Unternehmen mit über 30 Mitarbeitern hat sich auf mobile Zufahrtslösungen aus portablen Aluminiumplatten für Schwertransporte, Großbaustellen und Großevents spezialisiert. „Den Weg ebnen“, nennt Witte diesen Anwendungsbereich. Um auf das eigene Angebot aufmerksam zu machen, setzt TPA zunehmend auf den Onlinekanal. „Das Internet ist der Suchkanal. Fast 50 Prozent unseres Marketingbudgets fließen dort rein. Über unsere Website wollen wir auf unser Angebot aufmerksam machen und Neukunden gewinnen“, sagt Witte. Derzeit arbeitet TPA an einem Seitenrelaunch.
Witte tut gut daran, seine Anstrengungen hinsichtlich der eigenen Unternehmensseite zu erhöhen. Knapp die Hälfte der deutschen Bevölkerung verschafft sich inzwischen mithilfe des Webs gezielt Informationen über bestimmte Firmen und deren Produkte. 91 Prozent der Internetnutzer – so die aktuelle Allensbach Infosys-Studie ‚Social Media, IT & Society‘ vom Mai 2011 – greifen zu allererst auf die Unternehmenswebsite zu, wenn sie nach Informationen über bestimmte Firmen suchen. Die hohe Bedeutung eines professionellen Online-Auftritts haben die Verbände, aber auch die Wirtschaftsministerien auf Bundes- wie auf Landesebene erkannt und fördern gezielt unterschiedliche Wettbewerbe in diesen Bereichen. So zum Beispiel den Webaward Mittelstand Baden-Württemberg 2011. Mit dem ersten Platz wurde etwa der Gmeiner Verlag in Meßkirch ausgezeichnet.
Performance macht sexy
Doch der Webauftritt allein macht es nicht, auch wenn dieser die Eintrittskarte ist. Um vom Starlet zum Star zu wachsen, muss die Webseite auch von Informationshungrigen und Kunden mithilfe der Suchmaschinen gefunden werden. Für 70 Prozent der Internetnutzer geht es bei der Online-Suche speziell um Informationen zu Produkten oder Dienstleistungen. Dabei hat jede fünfte Suchanfrage inzwischen einen lokalen Bezug. Somit gewinnt das Search Engine Marketing (SEM) mit seinen Einzeldisziplinen der Suchmaschinenoptimierung (SEO) und der Suchmaschinenwerbung (SEA) für das Marketing der Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Knapp ein Jahr setzt etwa Mittelständler TPA auch Googles AdWords-Anzeigen ein. „Mit dem Relaunch werden wir den Onlineauftritt noch intelligenter aufziehen, das Texting verbessern und hoffen so auch die Ausgaben für AdWords-Anzeigen wieder zurückfahren zu können“, sagt Witte. Bei TPA ist AdWords und Online-Marketing noch Chefsache, nur bei der neuen Webseite lässt sich Witte extern beraten.
Für SEM/SEO-Berater Stefan Karzauninkat, Autor der „Die Suchfibel“ und Mitautor des Buches „Suchmaschinenoptimierung“, ist Search Engine Marketing gerade für Klein- und mittlere Unternehmen ein großer Vorteil im Vergleich zu anderen Performance-Maßnahmen: „Genaue Kostenkontrolle und Tests mit kleinen Budgets sind Inhouse möglich, ebenso die Kontrolle des ROI. Wenn ich einen Nachteil sehe, dann eventuell das Tracking. Es ist aufwendig und das Know-how im Unternehmen selten vorhanden. Auch wenn Agenturreports kommen, muss die jemand im Unternehmen verstehen und bewerten können. Daran scheitert es oftmals.“
Gute Messbarkeit
Ein weiteres Beispiel aus dem Handel: Das, was als Know-how nicht im dreißig Mitarbeiter starken Unternehmen vom Online-Buchversand buecher.de vorhanden ist, holt sich Geschäftsführer Dr. Gerd Robertz von außen herein. Die unterschiedlichen Marketing-Accounts werden im Unternehmen gemanagt und mit diversen Agenturen umgesetzt. Für Robertz zählt SEM zur wichtigsten Maßnahme: „Unsere Marktposition ist aus dem Grund so gut, weil wir über SEM die Performance so gut messen können. Damit können wir sowohl strategisch als auch taktisch sehr fokussiert agieren.“ buecher.de, das 1999 als Booxtra.de auf den Web-1.0-Markt kam und inzwischen in buecher.de umfirmierte, hat sieben Millionen Artikel u. a. aus den Bereichen Bücher, Hörbücher, E-Books, Software, Spielwaren im Angebot. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Umsatz auf rund 50 Mio. EUR verdoppelt.
Mangelnde Fokussierung
Eine solche fruchtbare Fokussierung auf das Online Marketing ist längst nicht bei allen Unternehmen so gut ausgeprägt. Daniel Vogel, Geschäftsführer von der auf B2B spezialisierten Marketingagentur concept one, sieht noch immer viel Aufklärungsarbeit. Concept one berät Unternehmen aus dem Mittelstand, zum Kundenstamm zählen namhafte und global agierende Baustoffhersteller genauso wie Solarunternehmen oder auch Unternehmen aus der Sanitär- und Heizungsbranche. „Proaktiv setzen sich viele Unternehmen leider noch zu wenig mit den sich bietenden Möglichkeiten des Marketing- und Vertriebskanals Internet auseinander. Das liegt auch daran, dass es in den Abteilungen an einer Affinität zum Online-Marketing fehlt.“
Zudem mangelt es laut Vogel an einer umfassenden Marketingstrategie für das Internet. Anstatt zunächst die genauen Marketingziele für sich zu definieren, agieren Firmen aus dem B2B-Bereich oftmals zu situationsbezogen. „Eine Unternehmensseite haben ja inzwischen fast alle, SEO-Maßnahmen und AdWords werden aber zumeist eher punktuell eingesetzt“, berichtet Vogel. Und das mit unterschiedlichen Ergebnissen, denn AdWords-Schaltungen bringen für den B2B-Vertrieb meist weniger. „Wir haben Kunden, die konnten ihre Website-Besucherzahlen mithilfe von AdWords verzehnfachen. Doch das allein ist noch kein Erfolgsindikator für den Vertrieb. Es muss sichergestellt werden, dass die wirklich relevanten Besucher kommen. Daher müssen die Unternehmen ihre Vertriebsprozesse und Zielgruppen vor dem Einsatz von AdWords besser analysieren.“
Allerdings ist manchmal auch mehr Zurückhaltung geboten. Berater Vogel berichtet, dass einige Firmen ihren vorangegangenen Dornröschenschlaf nun mit Aktionismus zu kompensieren versuchen. Dies gelte vor allem im Bereich Social-Media-Marketing, der allzu oft noch vor E-Mail-Marketing-Maßnahmen berücksichtigt werden würde. „Das ist ein Klassiker: Der Geschäftsführer hat sich eine Facebookseite und ein LinkedIn- bzw. Xing-Profil in den Kopf gesetzt und die Marketingabteilung folgt operativ im blinden Gehorsam, ohne sich vorher konkrete Gedanken darüber zu machen, was und wen man damit erreichen will und wer die Seite zukünftig betreuen soll.