Aufmerksamen Beobachtern mag es bereits aufgefallen sein. Immer häufiger liefern Brands ihre Rich-Media-Kampagnen einfach über die Amazon Cloud aus. Das soll die Kosten reduzieren. Sparen die Werbungtreibenden damit am falschen Ende oder fängt für sie bei Amazon der Regenbogen an?
Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Bei der Kampagne „Taste the Rainbow“ der Candy-Marke Skittles (Wrigley) ging es offensichtlich darum, die Marke Skittles in Deutschland bekannter zu machen. Skittles setzte dazu auf ein interaktives Rectangle Banner, dessen Motiv und Leitidee aus dem bereits vorhandenen Kampagnen-Spot „The Mill“ von TBWA Chiat/Day New York entnommen wurde. Der User konnte per Mouseover im Rich Media Ad für den Hauptprotagonisten eine kleine Tür öffnen, um so einen Regenbogen von Zuckerdrops in seine neu bezogene Wohnung hineinzulassen. Als Landing-Page nach dem Klick fungierte die Facebookseite von Skittles Deutschland. Dort haben sich inzwischen knapp 39 000 User zu dieser Marke bekannt.
Doch wie viele User sich wie lange mit dem Skittles-Werbebanner auf den einzelnen Werbeträgerseiten ohne Klick beschäftigten, wird Skittles und seine dafür verantwortliche Agentur schwerlich in Erfahrung gebracht haben. Denn das Werbemittel kam aus der Cloud, ausgeliefert über Amazon CloudFront Web Service. Dort gibt es kein Reporting samt Dwell- und Visibility-Analyse wie bei einem hochgezüchteten Agenturen-Adserver. Da gibt’s nur Webspace. Abgerechnet wird bei Amazon wie bei einem richtigen Adserver über die ausgelieferten Datenvolumina. Darüber können gewiefte Agenturen auch eine Art Mini-Reporting herauslesen, indem sie die Datenvolumina mit den Ad Impressions der Werbeträger ins Verhältnis setzen.
Amazon wirbt für seine Cloud-Dienste mit einer denkbar einfachen Handhabung, geringen Verzögerungszeiten, hohen Datenübertragungsgeschwindigkeiten ohne Vertragsbindung. Jan Winkler, Geschäftsführer vom deutschen Adserving-Anbieter adspirit in Berlin, zeigt sich, wie viele andere Adserver-Anbieter auch, skeptisch gegenüber solchen Auslieferungsmodellen. Diese Lösung habe laut Winkler zwar Vorteile, wenn kurzfristige CPU-Zeit benötigt wird und man hohen Schwankungen unterworfen sei, aber „letztlich hat dieser Ansatz den großen Nachteil, dass diese Systeme für sehr allgemeine Anwendungen konzipiert sind und daher ggf. langsamer und somit unter Umständen teurer sind als spezialisierte Systeme mit individuellem Zuschnitt, wie wir sie in unseren Rechenzentren zur Verfügung stellen.“
Teuer, günstig oder billig?
Auf dem ersten Blick erscheinen Amazons Volumenpreis für sich betrachtet interessant. Winkler von adspirit sieht hingegen keine großen Unterschiede zum hiesigen Angebot: „Die Preise, die Amazon hier aufruft, sind durchaus vergleichbar mit den Preisen, die wir auch so von unseren normalen Rechenzentren bekommen. Insofern besteht hier kein signifikanter Unterschied.“
Allerdings muss ja auch der Adserver-Anbieter selbst noch etwas verdienen. Und so gesehen, scheint der Amazon-Dienst mit dem Namen CloudFront für die Werbungtreibenden doch kostengünstiger zu sein. „Die Vorteile für den Werbekunden liegen zur Zeit auf der Kostenseite“, bestätigt jedenfalls Oliver Weiss, Managing Director D.A.CH vom Adserver Anbieter Facilitate Digital. Diesen Kostenvorteil als Grundlage für die eigene Entscheidung zu machen, sei aber nach Ansicht von Weiss viel zu kurz gegriffen. Denn die fehlenden Reportingmöglichkeiten einer reinen Cloud-Lösung führten zu einem „höheren operativer Aufwand, da die Usability eines Adservers User Interfaces bei der Cloud-Lösung nicht gegeben ist.“ Für Weiss sei das Steinzeit-Adserving: „Sie lösen die Daten von Rich Media aus den zentralisierten Cross-Channel-Reporting des 3rd Party Adservers heraus, die durch den Adserver gesammelt und verarbeitet werden. Rich Media wird somit zu einem Isolierten Kanal, was zu Zeiten von User-Path- und Conversion-Attribution-Reporting einen Rückschritt in die Steinzeit gleich kommt.“
Cloud als Unterstützerin
Allerdings setzen vermehrt Adserver-Anbieter partiell auf Cloud-Lösungen. Gerade bei sogenannten Mash-up-Werbebannern, bei denen etwa Profildaten und Retargeting-Cookies in Millisekunden über das Aussehen eines an den Nutzer angepassten Werbebanners entscheiden, werden die Rich-Media-Animationen oder Streams aus der Cloud nachgeladen. Das bringt wiederum für die Adserver-Anbieter Kostenvorteile. Dabei bleibt die Auslieferungslogik unter Kontrolle des Agenturen-Adservers. Das wäre bei einer reinen Cloud-Lösung nicht der Fall.
Eine generelle Verteufelung scheint also nicht angebracht, meint auch Hendrik Kempfert, Commercial Director vom skandinavischen Adserving Anbieter Adform: „Das Thema Adserving ist schon etwas komplexer, eine Reduzierung auf die Cloud greift hier zu kurz. Die Möglichkeiten einer Auslagerung von Werbemitteln und Rich Medias auf günstigen Webspace gibt es schon länger und ist nicht wirklich etwas Neues. Der aktuelle Hype über die Cloud-Dienstleistungen von Amazon ändert daran nicht wirklich etwas. Jeder technische Dienstleister in der digitalen Mediabranche überprüft immer wieder seine aktuelle Kostenbasis, dazugehört natürlich auch die Prüfung der Auslagerung und der Einkauf von Ressourcen. Allerdings möchte jeder Kunde unserer Dienstleistungen auch einen überdurchschnittlichen Service bekommen, den erbringen bei uns immer noch Menschen und keine Siri als Assistent.“
Zum Verständnis sei gesagt: Adform betreibt und unterhält auch eigene Rechenzentren in Europa. Dies schon aus Sicherheitsgründen, wie Kempfert meint. „Wir benötigen diese redundante Sicherheit, um jederzeit die Kontrolle über unsere Systeme ausüben zu können. Das wird definitiv auch so bleiben, denn unsere Kunden vertrauen uns ihre Daten an. Die Anforderungen zum europäischen Datenschutz erlauben auch die komplette Auslagerung der Kundendaten aus unserer Sicht nicht.“ Für Kempfert eigne sich eine zusätzliche Nutzung von Cloud Services dazu, um die eigenen Kosten konstant zu halten und damit Preise länger für die eigenen Kunden günstig anbieten zu können. „Ein Allheilmittel ist die Cloud nicht, dass Thema Datenschutz gebietet einen sorgfältigen Umgang mit der Auslagerung von Daten oder rechenintensiven Vorgängen. Letztendlich ist auch eine Cloud nicht immer so stabil. Auch in der Cloud kann es Datenverlust geben“, sagt Kempfert.
Cloud-Dienst als Teil des Spektrums
Trotz der vielen Gegenargumente sehen Werbungtreibende die Amazon Web Services offenbar als Option an, um kurzfristig ganz ohne Adserver hohe Volumen auszuliefern. Geraten damit die 3rd-Party-Adserver-Anbieter hinsichtlich der Rich Media Ads unter Preisdruck? „Ja. Die Rich-Media-Preise werden sinken“, glaubt jedenfalls Oliver Weiss von Facilitate Digital: „Jedoch steigt die Nachfrage und die Anforderung an das Reporting. Die Kunden erkennen mehr und mehr den Wert von stabilen und akkuraten Reportingdaten. Deswegen erwarten wir, dass sich die in heutigen Zeiten teilweise überteuerten TKPs der klassischen Rich-Media-Anbieter auf einem adäquaten Level einpendeln werden.“ Weiss sieht die Verlagerung von Adserving-Teilbereichen in die Cloud als klaren Trend, auch im Hinblick auf die Rich Media Ads: „Wir sehen die Zukunft eher in der Integration von Cloud Services in den Adserver. Rich-Media-Auslieferung über die Cloud ist ein Tool, aber bei Weitem kein Adserver“, sagt Weiss.
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