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MOBILE

Mobile Commerce – Zwischen Chancen und Wirklichkeit

Daniel Rieber, 15. September 2011

Ende der Neunzigerjahre hielt das Internet Einzug in die Wohnzimmer und wurde binnen weniger Jahre zu einem Massenmedium, das die Wirtschaft grundlegend veränderte und große Teile des Handels auf den heimischen Computer verlagerte. Durch die Einführung von Smartphones befinden wir uns inmitten einer weiteren Veränderung des Marktes. Der Handel wird mobil und ermöglicht es den Konsumenten, erstmals von überall zu jeder Zeit auf Informationen zuzugreifen und Geschäfte zu tätigen.

Als das Time Magazine das iPhone zur Erfindung des Jahres 2007 kürte, war selbst für Experten noch schwer abzusehen, welche Auswirkungen dieses neue Gerät auf Mediennutzung und Konsumverhalten haben würde. Vier Jahre und genau vier iPhone-Versionen später wurden weltweit über 120 Millionen Exemplare verkauft und über 400.000 Apps veröffentlicht. Und auch bei Google wurde längst von oberster Stelle die Strategie „Mobile First“ ausgerufen und mit Android ein zeitgemäßes Betriebssystems für Smartphones und Tablets auf den Markt gebracht.

Am Markt herrscht Goldgräberstimmung. Risikokapitalgeber investieren horrende Summen in Start-ups und in den Medien liest man von Mobile Couponing, Augmented Reality und Location-Based Services. Zwischen all den Erfolgsmeldungen fällt es schwer, zwischen Hype und echten Chancen sowie zwischen Marketing und Wirklichkeit zu unterscheiden.

Der Handel wird mobil

Mobile Commerce steht für den Einsatz von mobilen Geräten wie Smartphones für den Handel und umfasst sowohl den direkten Kaufprozess als auch vorbereitende Prozesse wie Werbung, Marketing oder Produktinformation. Wie wichtig die Rolle des mobilen Internets heute schon für Anbieter von E-Commerce sein kann, verdeutlichen die von eBay veröffentlichten Zahlen für das Jahr 2010. So wurde die eBay App im vergangenen Jahr weltweit über 30 Millionen Mal heruntergeladen und für ein Handelsvolumen in Höhe von 2 Milliarden US-Dollar eingesetzt. Der Einsatz der Mobile App verschafft dem Nutzer einen eindeutigen Vorteil gegenüber anderen Bietern, da er Gebote von überall her zu jeder Zeit abgeben kann und benachrichtigt wird, sobald eine Auktion abläuft.

Neben der Möglichkeit, von überall zu jeder Zeit auf mobile Angebote zugreifen zu können, bietet der Einsatz des Smartphones noch vielseitige weitere Vorteile. Dank der Ortung der Position über GPS können ortsbezogene Dienste (sogenannte Location-Based Services) dem Nutzer Angebote in Abhängigkeit seines aktuellen Aufenthaltsortes liefern. Mobile Commerce kann hier den Konsumenten beim lokalen Kauf beraten und bei der Suche nach Anbietern und Produkten unterstützen. Über mobile Coupons kann dem Konsumenten sogar ein konkreter Anreiz geboten werden, bestimmte Lokalitäten aufzusuchen und Angebote wahrzunehmen.

Foto: barcoo

Die Konkurrenz im eigenen Laden

Ein weiterer Mehrwert von Mobile zeigt sich im Kaufprozess selbst vor Ort. So können Konsumenten vor dem Kauf eines Produktes im Geschäft über ihr Smartphone Zusatzinformationen recherchieren, Preisvergleiche anstellen oder das Produkt noch im Geschäft bei der Konkurrenz bestellen. Besonders attraktiv wird dies für Konsumenten durch die Möglichkeit, über die Kamera des Smartphones den Barcode einzuscannen und so direkten Zugriff auf alle Informationen zu dem Produkt zu erhalten.

Die über eine Million aktiven Nutzer des deutschen Anbieters barcoo setzen diese Technik bereits ein, um Zugriff auf erweiterte Informationen wie z. B. eine Lebensmittelampel zu erhalten oder um sich mit der Community über die Produkte auszutauschen. Da Kaufprozesse stark an Vertrauen und Empfehlungen gekoppelt sind, bietet gerade die Verbindung von mobilen Endgeräten mit sozialen Netzwerken ein mächtiges Instrument. Den Mehrwert der Scan-Technologie für Mobile Commerce haben auch die etablierten Unternehmen erkannt. So kaufte eBay im vergangenen Jahr das Start-up RedLaser und integrierte die Technologie in die eigene App.

Das Schweizer Messer der Informationsgesellschaft

Mobile Commerce etabliert sich in allen Bereichen des Alltags. Das Ticket für die Bahn kann auf dem Weg zum Bahnhof heute schon bequem über das mobile Gerät bezogen werden und macht das Smartphone zur Eintrittskarte. In der Kaufsituation kann der Konsument ohne Bonuskarte Punkte sammeln oder digitale Coupons einlösen. Überweisungen können von überall getätigt und Transaktionen eingesehen werden. So können PayPal-Kunden zum Beispiel mit der hauseigenen App durch das Aneinanderstoßen („bumpen“) von zwei Smartphones Geld übertragen. Darüber hinaus können kommende Smartphone-Generationen dank Techniken wie NFC (Near-Field-Communication) sogar zur Bezahlung im Geschäft eingesetzt werden. Nachdem das Smartphone bereits für viele zum Ersatz für den Terminplaner, die Spielekonsole und die Digitalkamera geworden ist, wird es in den nächsten Jahren nun auch noch die Frage nach der Existenzberechtigung des Portemonnaies stellen.

Und wo die Grenzen des Smartphones erreicht scheinen, setzen Tablets wie das iPad an und ermöglichen die digitale Publikation von Printmedien wie Katalogen, Büchern und Zeitschriften. Durch die Anreicherung des Contents mit Multimediainhalten und durch die Einbindung von Livemeldungen können dem Leser entscheidende Mehrwerte geboten werden. Und anstatt die Tageszeitung am Kiosk zu kaufen, kann die aktuellste Ausgabe einfach heruntergeladen oder sogar abonniert werden. Dank des App Store scheint so nun erstmals eine Realisierung von Paid-Content für digitale Inhalte möglich.

Und auch für die Werbung und das Marketing sind die neuen Möglichkeiten vielfältig. Der Nutzer trägt sein mobiles Gerät immer bei sich und ermöglicht es so Marken, zu einem Teil seines persönlichen Raums zu werden und den Konsumenten im Alltag zu begleiten.

Erfolgsrezept: Dem Nutzer Mehrwerte bieten

Während es in den vergangenen Jahren für viele Unternehmen in erster Linie darum ging, Erfahrungen mit dem neuen Medium zu gewinnen und „einfach dabei zu sein“, steht nun eine Konsolidierung des Marktes bevor. Denn hinter den Erfolgsgeschichten, mit denen man täglich in den Medien konfrontiert wird, stehen viele Negativbeispiele. So werden laut einer Studie von Deloitte 80 % der Unternehmens-Apps weniger als 1.000 Mal heruntergeladen.

Die Grundvoraussetzung für die Entwicklung erfolgreicher Mobile-Strategien ist das Verständnis für die veränderte Mediennutzung und dessen Auswirkungen auf das Informations- und Kaufverhalten der Konsumenten. So investierte das Medienhaus Axel Springer Anfang des Jahres in ein eigenes Marktforschungspanel für iPad Nutzer, das für die Erforschung der veränderten Mediennutzung und der Wirkung neuer Werbeformen eingesetzt wird und das Verlagshaus in der Weiterentwicklung seiner digitalen Geschäftsmodelle unterstützt.

Modelle, die in der Online-Welt funktionieren, können im mobilen Nutzungskontext an den Bedürfnissen des Nutzers vorbeigehen. Daher ist eine klare Fokussierung auf die Ziele und eine Reduktion auf die wesentlichen Bestandteile gerade bei mobilen Angeboten unabdinglich. Eine einfache Portierung klassischer Modelle ist nur in den seltensten Fällen möglich. Bei der Konzeption sollten vor allem die neu gewonnenen Möglichkeiten im Vordergrund stehen. So können Funktionalitäten wie die Bestimmung der Position, das Scannen von Barcodes oder der Einsatz der Kamera entscheidende Mehrwerte liefern. Hierbei sollte es aber weniger um das gehen, was technisch möglich ist, sondern vielmehr um das, was die Bedürfnisse der Konsumenten erfüllt.

Eine Erfolgsgeschichte

Auch wenn der Handel gerade in Deutschland noch zurückhaltend ist und immer wieder auf die im Vergleich zu anderen Medien geringe Reichweite hinweist, ist die Richtung klar vorgegeben. Innerhalb der nächsten Jahre wird das Smartphone zum Massenmedium avancieren und für Privatnutzer wird es die Nutzung des Internets über den klassischen Computer in vielen Bereichen ablösen. Das mittlerweile jede dritte Statusmeldung bei Facebook mobil gepostet wird, ist ein eindeutiges Indiz für diesen Wandel. Mobile Commerce steht in den Startlöchern und hat bereits erste erkennbare Spuren im Markt hinterlassen. Die Frage ist nicht, ob es eine Erfolgsgeschichte wird, sondern welche neuen Formen des Handels es ermöglicht und welche klassischen Formen es vielleicht sogar ganz ersetzen wird. Zwar kann der Handel aus den Erfahrungen profitieren, die er bereits mit der Einführung von E-Commerce machen konnte, allerdings wird die Mobilisierung des Marktes wesentlich schneller voranschreiten.

Über den Autor

Daniel Rieber ist Leiter des Bereichs für Mobile Research beim Marktforschungsinstitut Interrogare. An der Fachhochschule des Mittelstands vermittelt er als Dozent seit 2011 Wissen über alle Formen von Mobile Commerce.

Bild Daniel Rieber Über den Autor/die Autorin:

Daniel Rieber leitet das internationale Marketing bei Mobile Data Exchange adsquare. Rieber ist Co-Chair der Mobile Marketing Association Germany und konnte sich darüber hinaus in den vergangenen zehn Jahren als Blogger, Dozent, Redner und Berater auch über die Landesgrenzen hinaus einen Namen machen. 2017 erschien sein Buch “Mobile Marketing - Grundlagen, Strategien, Instrumente”, in dem er sich für ein Mobile-First-Denken im Marketing ausspricht

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