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Mehr Werbegeld für Blogs?

Christina Rose, 28. Juli 2011

Mehrere Hunderttausend Blogger bestücken das Web täglich mit Inhalten zu den unterschiedlichsten Themen und investieren dabei viel Herzblut und Zeit. Nur wenige dieser Überzeugungstäter bestreiten allerdings ihren Lebensunterhalt damit. Dabei sind die Möglichkeiten der Refinanzierung, insbesondere bei Spezialthemen, noch lange nicht ausgeschöpft.

Mit Tagebüchern, was Weblogs im Wortsinn sind, haben die meisten Blogs inzwischen nicht mehr viel gemeinsam, wenn man das Tagebuch seiner Jugend vor Augen hat. Geblieben ist zwar die Subjektivität der Eindrücke und Meinungen ihrer Verfasser. Eine Diskussion zu entfachen, wäre wohl das Letzte gewesen, was ein Tagebuchschreiber im Sinn hatte. Internet-Tagebuchschreiber dagegen suchen die öffentliche Reibung. Die Zusatzdefinition als „Journal“ (laut Wikipedia) zeigt, wohin sich Blogs in den letzten Jahren bewegt haben: in Richtung Medien. Manche haben sich gar zu Fachinformationsdiensten gemausert, die ihre Leser mit hoch spezialisierten Inhalten zu den verschiedensten Themen bedienen und damit nicht selten etablierten Fachmedien Konkurrenz machen.

Doch die Mehrheit der hierzulande geschätzten mehreren Hunderttausend Blogger hat anderes im Sinn. Vielen reicht es, ein bisschen zu schreiben, Traffic und Feedback zu generieren. Die kommunikative Aktivität dient der Identitätsfindung. Es gibt Merkmale, die sich als blogtypisch etabliert haben: Einzelne Autoren publizieren (un)regelmäßig und nicht erwerbsmäßig oder zu kommerziellen Zwecken. Es entspinnt sich daraus eine moderierte Diskussion um subjektive Inhalte, wobei auf die klassischen Qualitätssicherungsmerkmale verzichtet wird, die man von den klassischen Medien her kennt. Viele wollen mit ihrer Tätigkeit gar kein Geld verdienen. Nur wenige können davon leben.


„Dieser Zustand wird in einigen Jahren nicht mehr als allgemeingültig für Blogs gelten“, ist Vasco Sommer-Nunes überzeugt, Geschäftsführer von Mokono, das kürzlich als Vermarkter den seit Februar pausierenden Blogaggregator Rivva wiederbelebt hat. Blogs haben trotz hoher Reichweite (laut Comscore lesen 40 Prozent der deutschen Internetuser Blogs) bislang ein Schattendasein geführt. Das werde sich signifikant ändern: „Es kommt Geld in das System. Geld ist nicht alles, wird aber der Blogosphäre enorm Auftrieb geben, weil viel mehr Menschen in Zukunft vom Bloggen leben können werden. Sie werden sich in kleinen Autorengruppen organisieren, sich eigene Freiräume erarbeiten und eigene Titel aufsetzen“, skizziert Sommer-Nunes.

Rivva hat er mit der Verpflichtung vom BMW i als Sponsor gerettet. Einen Konflikt zwischen Sponsorship und kritischer Berichterstattung, wie er bei klassischen Medien entstehen würde, sieht er dabei nicht. Viele Marketingverantwortliche hätten erkannt, dass sich die Medienlandschaft wandelt, dass der Konsument mündiger geworden ist. „Als Marketingverantwortlicher muss ich damit umgehen, dass Konsumenten kritisieren. Ich bewege mich nicht mehr in einem Umfeld, in dem ich Publikationsräume habe, die durch Redaktionen kontrolliert werden können“, erklärt der Rivva-Vermarkter. Immer mehr Marken würden die Angst vor Kontrollverlust überwinden und verstehen, dass gerade diese Kritiker ihre größten Fans sein können: „Insbesondere Kritikern ist das Produkt oder Unternehmen nicht egal. Gerade sie wollen, dass das Produkt gut ist“, betont Sommer-Nunes.

Christoph Kappes

Für Sponsoring plädiert auch Christoph Kappes. Er war beim Autorenblog Carta bis Mai Mitherausgeber. Anfang Juni ging Carta dann wegen Problemen bei „Skalierbarkeit und Refinanzierung" für unbestimmte Zeit „in Sommerpause“. Carta war eben "nie groß genug, um sich selbst zu vermarkten", argumentiert Gründer Robin Meyer-Lucht. Kappes widerspricht: "Nicht Reichweite ist das Primärkriterium, sondern Qualität und Umsatz pro Nutzer." Deshalb hätte er Carta auch weniger über Bannerwerbung und Textanzeigen als via Sponsoring finanziert.

Auch wenn er sich damit bei den Carta-Kollegen nicht durchsetzen konnte, hält er Sponsoring künftig für einen wichtigen Refinanzierungsweg, ebenso wie crossmediale Aktivitäten, beispielsweise mit Fachvorträgen auf Branchenveranstaltungen. Um Umsatzerlöse aus Werbung zu erzielen, dürfe man "keine Scheuklappen bei der Finanzierung tragen", mahnt Kappes: "Wenn man allerdings eine antiwerbliche, antikommerzielle oder antikapitalistische Grundausrichtung vertritt, wird es schwierig."

Sascha Pallenberg ist einer der wenigen, der vom Bloggen leben kann. Gemeinsam mit einer Handvoll Mitstreiter bestückt er das Techblog Netbooknews.de von Taiwan aus mit Nachrichten und Testberichten und erzielt damit nach eigenen Angaben monatlich Einnahmen im fünfstelligen Bereich. Gerade einmal zehn Prozent davon entfallen auf Sponsoring. Dabei sei Transparenz und proaktive Kommunikation darüber überlebenswichtig, wer das Blog als Sponsor unterstütze, betont er. Jegliche Einflussnahme auf den Inhalt hätte keine Chance: „Sponsored Articles werden schnellstens entlarvt und bloßgestellt. Dies kann ich weder betriebswirtschaftlich noch moralisch verantworten.“

Sascha Pallenberg

Besonders gut lassen sich laut Pallenberg YouTube-Videos vermarkten. Dieser Bereich macht mit 40 Prozent den Löwenanteil der Einnahmen von Netbooknews aus. „Der Fokus auf Videos hat sich für uns voll und ganz ausgezahlt, denn hier erleben wir nicht nur die größten Zuwächse bzgl. des Traffics, sondern haben in den vergangenen zwei Jahren auch eine 100-prozentige Auslastung bei der Kampagnenbuchung durch Werbepartner. Dies dürfte zumindest in Deutschland einzigartig sein“, freut sich Pallenberg. Für ein Techblog, das über Hardware berichtet, eine nachvollziehbare Strategie. Auch Blogs, die sich beispielsweise mit Mode, Kosmetik oder Kinderspielzeug beschäftigen, sind prädestiniert, Videos einzusetzen. Für Blogs mit abstrakteren Themen bieten sich Videos nicht an erster Stelle als Vermarktungstool an.

Werbung hat noch Planbarkeits- und Effizienzproblem
20 Prozent der Einnahmen erzielt Netbooknews über Affiliate-Marketing, 30 Prozent über klassische Displaywerbung. Das laut Sommer-Nunes hierzulande kommerziell erfolgreichste Blog, dessen Namen er nicht verrät, verzeichnet 200.000 Euro Umsatz im Jahr mit Onlinewerbung: Textanzeigen, Banner und Buttons. Andere Ertragskanäle wie Affiliate, Videoseeding, Produkttests, Textadvertising, Eventblogging oder Sponsorships seien hier noch nicht mitgezählt. Erheben Blogs den Anspruch einer (Fach)Publikation, müssen sie sich mit klassischen Medienangeboten messen lassen. Dann sieht man die Dimensionen, in denen man sich bewegt: Das US-Vorzeigeblog Huffingtonpost macht 30 bis 40 Millionen Dollar Umsatz mit Werbung im Jahr – ein Betrag, den Medienkonzerne an einem Tag einfahren. Demgegenüber sind 200.000 Euro Jahresumsatz kaum der Rede wert. „Aber nicht, wenn sie von nur drei Leuten erwirtschaftet werden“, verteidigt Sommer-Nunes das Ergebnis.

Vasco Sommer-Nunes

Das größte Problem, Blogs via Werbung zu monetarisieren, ist ein strukturelles, erklärt Sommer-Nunes: „Die Bereitschaft, Blogger anzusprechen, ist bei Werbern gestiegen, aber noch nicht durchführbar. Während ich bei Facebook einen Ansprechpartner habe, bei Twitter Trends buchen kann, gibt es bei Blogs noch kein einheitliches Werbebuchungssystem, weil die Blogosphäre zu fragmentiert ist.“ Ein Blog mit 20.000 Unique Usern sei einfach zu klein, als dass sich ein Marketer in einem großen Unternehmen überhaupt damit auseinandersetzt. „Es kostet zu viel Zeit, eine signifikante Reichweite effizient buchbar zu machen. Da fehlt eine Schnittstelle“, erläutert er. Mokono will in Zukunft diese Rolle übernehmen und Unternehmen Formate und Reichweite nicht mit mehreren 10.000 Unique Usern, sondern mit mehreren Millionen bieten können. Daher arbeite man derzeit an strukturellen Punkten wie einer AGOF-Ausweisung von Blogs. Dieser Weg sei steinig, weil kommunikativ aufwendig, aber nötig, um Reichweite zu aggregieren, in der AGOF abbildbar zu machen und dann planbar für effiziente Buchungen zu werden. „Die großen Werbegelder zirkulieren innerhalb der großen ausgewiesenen Werbetitel. Über der Blogosphäre wird kaum etwas abgeworfen. Wenn man auch sie in der AGOF abbildet, erschließt man enormes Werbepotenzial“, ist Sommer-Nunes überzeugt.

Den eigenen Traffic besser nutzen
„Werbung in Form von Bannern halte ich für ein Auslaufmodell“, hält Tobias Knoof dagegen. Er ist Geschäftsführer von Digitale-Infoprodukte.de, das sich als Online-Marketing-Magazin positioniert, und von DrWeb.de, einem bereits seit 1997 existierenden Fachblog, das er kürzlich nach neun Monaten Funkstille wiederbelebt hat. „Das Geschäftsmodell Blogging/Content und Banner/Werbung läuft absolut entgegengesetzt“, begründet er seine steile These. Denn durch den Aufbau von redaktionell hochwertigem Content werde alles versucht, um möglichst viele User auf die eigenen Seiten zu bekommen. Sind diese dann endlich da, würden Werbebanner, so gut es nur geht, positioniert, um die User mit möglichst einem Klick auf andere Webseiten zu leiten. „Man muss mit dem Traffic arbeiten, ihn steuern, multiplizieren ... aber nicht so schnell wie möglich wieder wegleiten“, argumentiert er. Das gleiche Problem sieht er beim Affiliate-Marketing: Vom Grundsatz her schicke man den Traffic weg. „Zumal man keinen Einfluss auf die Landing Page hat, wo man den Traffic hinschickt“, winkt er ab.

In Sachen Monetarisierung sei es meist viel lohnenswerter, eigene Produkte (wie Audios, Videos, Templates, Plug-ins, Apps, Add-ons, Vorlagen, Texte, E-Books, Software etc.) zu verkaufen als Bannerplätze. Content-Aufbau sei „praktisch der einzige Weg, um Ergebnisse in die Suchmaschinen zu bringen und Suchergebnisse zu besetzen“, betont Knoof. Gelangen Besucher dadurch auf die eigene Seite, sollte dort der Fokus auf Listen-/Newsletteraufbau liegen, da dies eine gewisse Art von „Trafficrecycling“ sei, rät er. Denn die meisten Besucher seien „auf nimmer Wiedersehen“ weg. Aber die paar Prozent, die sich in den Newsletter eintragen, können immer wieder angeschrieben werden. Knoof: „Wer das richtig macht, erzielt eine höhere Ein- als Austragerate und damit kontinuierliches Listenwachstum. Über die eigene Liste forciert man dann gezielt seine Marke, formt sein Image, wird Freund, unterstützt den Leser und baut sich so eine Reputation auf.“

Bild Christina Rose Über den Autor/die Autorin:

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