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Real Time Bidding mit Potenzial für Publisher?

Sandra Goetz, 1. Juni 2011

In der Online-Vermarktung scheint auch weiterhin Kreativität und menschliches Know-how gefragt zu sein – Arne Wolter, Geschäftsführer von G+J EMS, stellt sich aktuellen Fragen zu automatisierten Vermarktungsoptionen und spricht über deren zukünftige Bedeutung für Publisher und Vermarkter. Wolter macht deutlich, dass trotz modernsten Technologien und Optimierung, der Werbungtreibende gut beraten ist, auf menschlichen Sachverstand zu vertrauen.

Adzine: Herr Wolter, wie schätzen Sie das Potenzial der dynamischen Tradingplattformen wie Ad Exchanges und Supply-Aggregatoren für Ihre Publisher und Ihr Vermarktungsgeschäft ein?

Arne Wolter

Arne Wolter: Grundsätzlich stellt sich bei solchen Entwicklungen natürlich immer erst mal die Frage, ob die Wertschöpfungskette der Vermarktung hier nur um weitere Glieder erweitert werden soll – sprich, es zusätzliche Instanzen gibt, die auch noch an der Online-Vermarktung mitverdienen möchten. Das ist m. E. hier nur bedingt der Fall, da es durchaus Optionen gibt, die auch für Publisher und ihr Vermarktungsgeschäft attraktive Potenziale bieten.

Aus Sicht eines zu einem Verlagshaus zugehörigen Vermarkters sehe ich derzeit das größte Potenzial beim Realtime Bidding (RTB), da dieses dynamische Allokationsprinzip grundsätzlich die Möglichkeit bietet, die Koordination von Angebot und Nachfrage noch effizienter zu gestalten. Eine Steigerung des effektiven TKP wird man jedoch nur dann erreichen können, wenn die gehandelten Ad Impressions, z. B. durch für Advertiser relevante Targetingdaten angereichert, zum knappen Gut werden.

Eine Alternative könnten Private Ad Exchanges sein, über die Publisher ihr unverkauftes Inventar in einem automatisierten Prozess in Echtzeitauktionen an interessierte Netzwerke und Plattformen versteigern. Bei dieser Variante kann der Publisher die Menge der angebotenen Ad Impressions nach seinen Bedürfnissen variieren und zudem den Vorrang von durch ihn verkauften Kampagnen bei der Auslieferung über den Adserver sicherstellen – für den Advertiser würden lauter vermarktereigene Private Ad Exchanges als Anlaufstellen allerdings einen erhöhten Handlingbedarf darstellen, was das Potenzial dieses Handelsprinzips daher eher gering erscheinen lässt.

Adzine: Es ist ja heute noch sehr viel Theorie im Spiel, aber ist es aus Ihrer Sicht realistisch, dass Advertiser und Publisher in gleicher Weise von einem automatisierten Matching zwischen Media-Angebot und -Nachfrage profitieren werden?

Wolter: Diese Frage erfordert eine differenzierte Betrachtung. Ob Advertiser und Publisher in gleicher Weise von RTB profitieren können, hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, die gehandelten Ad Impressions mit relevanten Daten (z. B. Soziodemografie oder Produktinteresse) anzureichern, sodass dadurch eine für den Advertiser interessante Zielgruppe angesprochen werden kann. Dabei wird es vermutlich solche Usergruppen geben, die knapp, aber sehr begehrt sind und um die eine Auktion stattfindet, und solche, die nicht knapp sind und wo es demnach zu keiner Auktion kommt. Es liegt auf der Hand, dass getreu dem Prinzip von Angebot und Nachfrage der eTKP bei einer nicht knappen Zielgruppe eher fallen wird.

Adzine: Konnten Sie im Rahmen ihrer Vermarktungsaktivitäten bereits Erfahrungen mit dynamischen Trading-Plattformen oder Exchanges sammeln?

Wolter: Ja, wir haben bereits Erfahrungen mit unterschiedlichen dynamischen Allokationsprinzipien gesammelt. Dabei konnte der eTKP nur gesteigert werden, wenn zum einen ein Nachfrageüberhang bestand und zum anderen die Ad Impressions um Daten angereichert einen expliziten Mehrwert für die Advertiser geboten haben.

Adzine: Entsteht durch ein automatisiertes Trading möglicherweise ein völlig neues Segment im Display Advertising, durch das zusätzliche Werbebudgets für Display erschlossen werden können (z. B. aus dem Search Marketing)?

Wolter: Das ist denkbar, allerdings ist es zum jetzigen Zeitpunkt zu früh, um hier schon konkrete Prognosen abzugeben – dafür müssen erst einmal alle Marktpartner ihre praktischen Erfahrungen mit den verschiedenen Systemen des automatisierten Tradings sammeln.

Adzine: Rechnen Sie in absehbarer Zeit mit deutlich stärkerer Nachfrage im Performance-Segment (auch durch immer mehr E-Commerce Advertiser) und dadurch auch mit steigenden effektiven TKP?

Wolter: Generell beobachten wir bei Ligatus, die ja für den Performance-Part in unserer digitalen Vermarktung zuständig sind, durchaus steigende Buchungsnachfragen. Gleichzeitig verstehen immer mehr Werbungtreibende, dass es auf ein intelligentes Zusammenspiel von Branding- und Performance-Kampagnen – also von Marketing- und Vertriebsaktivitäten – ankommt, um am Ende der Customer Journey das bestmögliche Resultat für das beworbene Produkt zu erzielen.

Anders ausgedrückt: Es gibt durchaus ein Preisbewusstsein und das Bedürfnis nach Kostenkontrolle, zwei Punkte, die mit Performance-Marketing sehr gut bedient werden können. Auf der anderen Seite haben die Werbungtreibenden aus Erfahrung gelernt, dass Performance-Marketing umso besser funktioniert, wenn zuvor durch entsprechende Branding-Maßnahmen auch der dafür notwendige Markenaufbau betrieben wurde – und das ist nun mal mit gewissen Kosten verbunden, insbesondere wenn man maßgeschneiderte Kommunikationslösungen umsetzen möchte.

Adzine: Wie bewerten Sie das Datenthema. Sind Userdaten wirklich der einzige Schlüssel zu mehr Performance oder gibt es auch noch andere wirksame Einflussgrößen?

Wolter: Mithilfe von Userdaten in Form von soziodemografischen Kriterien, Produktinteresse oder Affinitäten lässt sich die Performance einer Kampagne durchaus positiv beeinflussen, indem man diese Daten bei der Auswahl des geeigneten Werbeträgers sowie bei Optimierungsmaßnahmen wie z. B. Targeting berücksichtigt.

Darüber hinaus spielt aber auch das Werbeumfeld selber eine entscheidende Rolle. So haben wir ja im Rahmen unserer Editorial-Brand-Impact-Studie (EBI-Studie) belegt, dass journalistische Premium-Umfelder deutlich effektivere Werbeumfelder als E-Mail-Portale oder Social Community Sites sind: Sie haben deutlich bessere Wirkungsvoraussetzungen und viel stärkere Wirkungseffekte als die Vergleichsumfelder, wobei dafür bis zu sechsmal weniger Kontakte aufgewendet werden müssen.

Adzine: Müssen Publisher durch eine Öffnung in Richtung Trading-Plattformen fürchten, dass immer mehr externe Optimierungssysteme ihre Nutzerdaten ohne ihre Erlaubnis auch an anderer Stelle einsetzen? Kann man etwas tun oder muss man sich damit abfinden, wenn man sich für eine technologiegetriebene Vermarktung entscheidet?

Wolter: Auch in einer technologiegetriebenen Vermarktung werden es immer noch die Publisher sein, die aktiv darüber entscheiden, welche Partner auf ihren Websites profilieren und Daten sammeln dürfen und welche nicht. Daher wird es insbesondere beim RTB-Aufgabe der Sell-Side- und Demand-Side-Plattformen notwendig sein, Lösungen zu erarbeiten, die einen sicheren und kontrollierten Umgang mit Userdaten gewährleisten und damit den Anforderungen der Qualitätsvermarkter gerecht werden.

Adzine: Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie als Vermarkter auf sich zukommen bei einem stärkeren Technologieeinsatz?

Wolter: Gerade bei Markenartikler-Kampagnen in Qualitätsumfeldern spielen der Leistungsaspekt – also die Qualität der Werbewirkung – und eine gute Beratung sowie die Entwicklung individueller Kommunikationslösungen eine entscheidende Rolle; Aspekte, die bei rein automatisierten Ansätzen schnell in den Hintergrund geraten. Aus diesem Grunde gehe ich davon aus, dass Online-Advertising nie ein hundertprozentiges Hightech-Geschäft sein wird, da Maschinen nicht die Bedürfnisse von Marken verstehen können. Für hochwertige Kampagnen wird man immer Vermarktungsexperten brauchen, die das Umfeld verstehen und den Kunden entsprechend beraten können, damit er seine Zielgruppe auch sicher trifft.

Markenprodukte müssen mithilfe von Markenumfeldern inszeniert werden, zumal sich hier nachweislich eine höhere Werbewirkung als in anderen Umfeldern erzielen lässt. Damit sind kreative Vermarkterteams mit umfassendem Medium- und Markenverständnis und manchmal auch dem Mut zur außergewöhnlichen und zielgruppengerechten Produktinszenierung die beste Voraussetzung, um Premium-Online-Angebote bestmöglich zu vermarkten. Darüber hinaus ist es wichtig, keine Lösungen von der Stange anzubieten, sondern maßgeschneiderte und bedarfsgerechte Kommunikationslösungen gemeinsam mit dem Kunden und/oder der Agentur zu entwickeln und so die Vorteile der Premiumplattform optimal im Sinne des Werbungtreibenden einzubringen – ein Umstand, den wir als Qualitätsvermarkter schon seit Jahren in unserer Vermarktungsphilosophie berücksichtigen und auch weiterhin verfolgen werden.

Adzine: Herr Wolter, vielen Dank für das Gespräch!

Bild Sandra Goetz Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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