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DISPLAY ADVERTISING

"Es gibt keine beste Lösung für alles"

Frank Puscher, 30. Juni 2011

Im Rahmen der ersten AdTrading Conference auf deutschem Boden diskutierten vier Experten die Position der Publisher gegenüber Real-Time Bidding und der Zusammenarbeit mit Trading-Plattformen und Ad Exchanges. An der Podiumsdiskussion nahmen Joëlle Frijters, CEO and Co-Founder von Improve Digital, Martin Lütgenau, Geschäftsführer der Tomorrow Focus Media, Thomas Hinrichs, Head of Display and AdX Partnerships bei Google sowie Matthias Pantke, CEO von Adscale teil.

Adzine: Herr Lütgenau, wohin entwickelt sich das Thema Real-Time Bidding (RTB) und Ad Exchanges aus Publisher-Sicht?

Martin Lütgenau, Tomorrow Focus Media: Es wird höchst relevant werden, gerade für performance-orientierte Kampagnen. Wir glauben, dass es auch im Premiumsegment eine Entwicklung hin zu RTB geben könnte. Da müssen wir aber sehen, wie die Kunden heute und in Zukunft einkaufen. Wir merken aktuell verstärkt, dass sie Sicherheit auf Platzierungsebene wollen und sie wollen auch Sicherheit in der Auslieferung. Wenn die Systeme helfen, dieses Geschäft effizienter zu machen, dann werden wir auch damit glücklich.

Adzine: Herr Hinrichs, was hat Google in diesem Markt vor?

Thomas Hinrichs, Google Deutschland: Ich bin verantwortlich für den Aufbau der DoubleClick AdXchange, einem Geschäft, das auch in Deutschland bereits eine recht ansehnliche Größe erreicht hat. Ich vertrete die Sellside. Google hat sich auf die Fahne geschrieben, nicht nur in den Markt einzutreten und von anderen Marktanteile zu übernehmen, sondern letztlich den ganzen Markt zum Wachsen zu bringen. Wir wollen einen Motor für den Markt kreieren, der es ermöglicht, Displaywerbung besser und effizienter zu handeln. Wir gehen davon aus, dass das Display-Geschäft inklusive Video weltweit derzeit ein Marktvolumen von 25 Mrd. hat und wir wollen das in den nächsten Jahren auf 200 Mrd. bringen.

Adzine: Zweifelt jemand aus der Runde am grundlegenden Wachstum im Display-Sektor? 

Matthias Pantke, Adscale: Der Markt geht in zwei verschiedene Richtungen. Es wird immer den Bereich der umfeldgetriebenen Werbung geben und dort werden wir auch Premium-TKPs erzielen.

Das andere Geschäft ist das Reichweitengeschäft. Schon jetzt werden 30 bis 40 Prozent des Inventars nach Reichweitenkriterien verkauft, sprich durch Veredelung durch Targeting-Technologien etc. Ja, der Gesamtmarkt wächst. Für uns ist es aber noch wichtiger, dass das Reichweitensegment wächst. Wir sagen ganz klar: „Lieber Martin, wenn Ihr die Homepage von Focus verkauft, da gibt es keine bessere Sales-Truppe als Euch selbst“.  

Aber in der Online-Werbung ist es eben so, dass Inventar praktisch beliebig verfügbar ist, auch bei Focus, und Martin Lütgenau muss sich genau überlegen, welche Flächen gebe ich für Ad Exchanges frei. Inzwischen können Sie bei uns zwei Drittel des AGOF-Inventars auf Domain-Basis transparent kaufen. Das ist schon ein eindeutiges Signal in den Markt, dass die Vermarkter mittlerweile verstanden haben, dass die Reichweitenvermarktung ein relevantes Segment ist, auf das keiner verzichten kann. 

Lütgenau: Das ist eben eine Frage der Segmentierung. Wir verkaufen mitunter zu 10 oder 15 Euro TKP und es wäre für uns ein Problem, wenn es viele Plattformen gibt, auf denen Teile des Inventars von Focus Online für 60 Cent angeboten werden und das nicht vom Markt differenziert gesehen wird.

Die Entscheidung, wie viel Inventar wir reingeben, ist situativ komplett unterschiedlich. Es gibt Plattformen wie Elle.de, wo kein Inventar in die Restplatzvermarktung geht. Bei Focus achten wir genau darauf, dass sich die beiden Segmente Reichweite und Premium nicht kannibalisieren. Das ist eigentlich unsere größte Aufgabe. Wenn ich RTB zulasse, hat das Einfluss auf mein Pricing im Premiumbereich.

Aktuell machen wir 85 Prozent kontextbezogen. Das ist unser Kerngeschäft. Die restlichen Prozente sind Performance und Reichweite. Wir wollen den Prozentsatz nicht verändern.

Joëlle Frijters, Improve Digital: Ich glaube wir müssen uns ein bisschen lösen von den starren Kategorien Premium vs. Unsold. Die Grenzen werden mehr und mehr verschwimmen. Worum es geht, ist Kontrolle für den Publisher. Hoher Preis, niedriger Preis, garantiert, nicht garantiert. Der Publisher will frei entscheiden und wir liefern die Technologie dafür. Einige der RTB-Kampagnen würde sogar recht gut auf Premiumflächen passen. Es geht nicht immer nur um Performance. Kontrolle ist der Schlüssel.

Hinrichs: Das gilt auch für die Formate. Wir haben bereits 15 IAB-Standardformate. Im Sommer kommen Expandables und in den USA testen wir derzeit die YouTube-Vermarktung gemeinsam mit fünf Partnern. Derzeit wird viel über datengetriebene Werbeformen diskutiert, aber wir von Google sehen unsere Plattform völlig unabhängig davon. Das kann auch Mobile sein oder irgendwann vielleicht TV.

Adzine: Können die Exchanges auch bis auf die Homepages großer Medienmarken vordringen?

Lütgenau: Aus Publishersicht gilt: Wenn ich darüber mehr herausholen kann als durch meinen eigenen Vertrieb, dann müssen wir uns dem stellen. Die Diskussion dürfen wir nicht vernachlässigen.

Adzine: Ein klassischer Vorbehalt gegen die Zusammenarbeit mit Ad Exchanges ist das Verwässern der Medienmarke, was hält man dagegen?

Pantke: Ich habe großes Verständnis für die Probleme unserer Publisher. Neben Kontrolle ist vor allem Transparenz wichtig. Bei Adscale ist es so, dass jeder Publisher jede Kampagne von Hand freigeben muss. Das hat auch Nachteile, speziell im Long-Tail-Segment, weil kleine Publisher nicht jeden Tag in das Tool gehen und Kampagnen freigeben. Trotzdem haben wir von Anfang an gesagt, dass wir nichts auf die Seiten bringen wollen, wo der Publisher nicht weiß, was dahintersteckt.

Natürlich sind Vorbehalte da. Die sind sehr unterschiedlich, je nach Portfolio des Medienhauses. Publisher mit Communitys haben viel mehr Inventar anzubieten.

Ich möchte aber noch kurz ein Wort zum Preis verlieren. Die Preisschere zwischen Premium und Reichweite geht eben nicht weiter auseinander. Auf Display war in den letzten Jahren ein enormer Preisdruck. Jetzt haben wir es geschafft, vor allem durch Targeting die eTKPs in den letzten beiden Jahren deutlich zu steigern.

Adzine: Wie positionieren sich Adscale und Improve Digital exakt in diesem Markt?

Frijters: Ein großer Unterschied zwischen AdScale und uns ist, dass wir kein Marktplatz sind. Wir sind nur auf einer Seite. Aber es gibt keine beste Lösung für alles. Für manche Kampagnen kann es richtig sein, direkt mit einer Ad Exchange zu arbeiten. Für andere Projekte oder Publisher kann es richtig sein, mit einem neutralen Anbieter zu arbeiten, der aus den verschiedenen Plattformen das Beste schöpfen kann. Vielleicht wollen die Publisher auch eigene Plattformen integrieren.

Pantke: Die Positionierung von AdScale in Deutschland ist genau in der Mitte zwischen Advertiser und Publisher. Publisher können natürlich bei uns ihren eTKP optimieren. Aber wir bieten auch Advertiser-Tools an. Die Plattform ist offen. Wir haben heute 26 verschiedene Retargeting-Companies bei uns angebunden. Wir erlauben natürlich den Publishern, auch andere Dritte einzubinden, um ihr eigenes Inventar zu veredeln. Wir glauben: In dem Moment, wo wir der Webseite sagen können: „Ich bring dir Geld und zwar dort, wo Du es über den eigenen Vertrieb nicht abdecken kannst“, dann funktioniert es.

Adzine: Bei der Menge Vermarkter wird es doch schwierig, eine Medienmarke noch sauber zu handeln.

Lütgenau: Die Gefahr ist auf jeden Fall da. Und die sehen wir auch. Das ist auch ein Thema der Intransparenz. Wenn fünf Companies da raus gehen und das Focus-Logo mitnehmen und den Advertisern wird nicht klar, dass sie nicht auf der Homepage laufen, dann haben wir natürlich ein größeres Problem. Wir brauchen die Kontrolle, um unsere Redaktionen zu finanzieren.

Adzine: Wie sieht die Segmentierung in Ihrem Haus genau aus?

Lütgenau: Jede Website wird kategorisiert nach vier verschiedenen Inventartypen und wir besprechen es mit den Publishern selbst. Bei manchen Seiten mit geringer Reichweite macht ein TKP von 50 Cents einfach keinen Sinn. Da lassen wir Reichweitenvermarktung lieber weg und fahren die exklusive Schiene: „Das gibt es nur hier.“ Premium definieren wir anhand der Nachfrage nach Direktbuchungen und der Auslastung.

Adzine: Wenn Ad Exchanges erfolgreich werden, was passiert denn dann mit dem klassischen Restplatzvermarkter?

Hinrichs: Wenn wir uns die letzten zehn Jahre anschauen, insbesondere die Agenturlandschaft, dann möchten die nicht mehr aus einigen hundert Vermarktern wählen, sondern vielleicht bei 30 einkaufen. Tatsächlich wächst aber die Zahl der Vermarkter und gerade da sehe ich große Möglichkeiten für solche Plattformen, denn es ist ja nicht möglich, zu allen persönliche Beziehungen aufzubauen. Vielleicht wird der Traum der Online-Marketer dann Wirklichkeit, nämlich vermarkterübergreifend Inventar einzukaufen mit einem übergreifenden Frequency Cap und auch übergreifend Performance einzukaufen.

Adzine: Was sagen denn die Publisher zu Google heute? Das ist doch ein ständiges Wechselbad der Gefühle?

Frijters: Das ist eine Hass-Liebe-Beziehung. Die sehen Google als guten Partner – wir übrigens auch. Gleichzeitig wollen sie Google nicht zu groß werden lassen. Alle wollen, dass die Dinge stärker automatisiert werden, aber die Frage ist der Preis. Wenn wir über RTB 15 € TKP erreichen würden, wären alle Publisher sofort dabei. Aber was ist der langfristige Preis der Zusammenarbeit mit z. B. Google?

Ich bin auch etwas skeptisch in Sachen RTB. Im Vergleich zu den USA ist Europa ein wesentlich heterogener Markt, also braucht man viel mehr Einkäufer, um eine Auktion in Gang zu bekommen. Da wird es hart, bessere Preise zu erzielen. Man muss schon Minimumpreise festlegen, um sicherzugehen. Das wird nicht einfach.

Wir empfehlen den Publishern, einfach alle Vermarktungsvarianten zu kombinieren, also RTB, Restplatzvermarkter oder Ad Exchanges. Herr Lütgenau, Tomorrow Focus Media ist doch sehr stark im Premiumbereich, warum managet Ihr die Reichweitenvermarktung nicht selbst und werdet dort stärker?

Lütgenau: Wir nutzen ein DoubleClick-Tool zur Optimierung des Restplatzes. Das System setzen wir bereits seit mehreren Jahren ein. Natürlich fragen wir bei neuen Plattformen: „Was ist der Mehrwert in Euros.“ Wenn die Steigerung des TKP wieder durch die Technologie aufgefressen wird, macht das für uns ja keinen Sinn. Aber wir werden weiter testen und bewerten.

Adzine: Zum Schluss noch das Thema Datenschutz. Was muss noch geregelt werden?

Hinrichs: Geregelt ist noch nichts. Deutschland sollte ja ein Statement zur ePolicy ablegen, hat das aber noch nicht gemacht. Google hat aus den letzten Jahren gelernt. Wir haben extrem eindeutige interne Auflagen, zum Beispiel wer welche internen Daten nutzen darf. Was externe Daten angeht, nutzen wir nur das DoubleClick-Pixel.  

Frijters: Die holländische Regierung hat die Opt-in-Lösung vorgeschlagen, was unsere Industrie um 15 Jahr zurückwirft. Aber wir sind guter Hoffnung, dass das nicht so bleibt.

Aus der Publishersicht wird es Zeit, dass endlich Einblicke gewährt werden. Cookie-Dropping und damit erzielte Umsätze haben eine Beziehung. Wir nennen sie Cookie-Attribution-Rate. Die Zahl sagt dem Publisher, ob der Käufer einen fairen Preis für die Views zahlt, gemessen an der Menge Daten, die er erhebt. Cookies ja, aber nicht für jeden Preis.

Lütgenau: Der Nutzer, dem etwas missfällt, wird sich zuerst an den Publisher wenden. Deshalb müssen wir penibel darauf achten, dass sich alle Partner an die Regeln halten. Das muss schnell gehen.

Adzine: Sowohl AdScale als auch Improve Digital weisen aus, welche Kampagnen Cookies setzen und welche nicht. Reicht das an Transparenz?

Lütgenau: Ich habe in den Systemen noch nicht gesehen, welche Cookies gesetzt und wofür die genutzt werden.

Pantke: Da steht deutlich: „Lieber Publisher, diese Kampagne wird unter Zuhilfenahme von Cookie-Informationen ausgeliefert, willst Du dem zustimmen?“

Generell aber muss ich den Vorrednern zustimmen: Wir brauchen endlich Rechtssicherheit. Was darf man und was nicht. Derzeit ist das schon ein Piratenmarkt, das merkt man an einigen Ecken und Enden.

Ich glaube persönlich, dass auch der Publisher auf seinen Seiten einiges dafür tun muss, um seine Nutzer aufzuklären. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Lütgenau: Haben wir. Ich schicke Dir mal einen Link zu unseren Datenschutzbestimmungen.

Pantke: Ja, sooo klein am Ende der Seite. Mir geht es nicht um die Datenschutzbestimmungen, sondern um die allgemeine Aufklärung.

Adzine: Wenn ein allgemeines Opt-in nach dem holländischen Modell Schule macht. Was passiert mit der Werbebranche?

Frijters: Im Moment weiß noch keiner, wie man das überhaupt durchführen kann. Wovon hängt das denn ab: Steht der Adserver in den Niederlanden, kommt der User daher? Alle warten gerade, was die Arbeitsgruppe ermittelt. Vielleicht sagen die auch, dass es schlicht und einfach nicht geht. Dann müssen die das wieder aufrollen. Die Entscheider haben nicht ganz die Reichweite der Wirkung verstanden.

Bild Frank Puscher Über den Autor/die Autorin:

Frank Puscher arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist in der Online-Branche. Er schreibt regelmäßig für Publikationen wie ADZINE, InternetWorld Business, Ct, Internet-Magazin oder die Absatzwirtschaft. Seine Lieblingsthemen sind Usability, E-Commerce und Online-Marketing. Seit 12 Jahren arbeitet Puscher außerdem als Moderator auf Online-Veranstaltungen. Außerdem berät er Unternehmen und öffentliche Institutionen im Umgang mit Online-Marketing und Social Media.

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