Die Optionen für Unternehmen online zu werben, fächern sich immer weiter auf. Um die Entscheidung, wo geworben wird, buhlen neben den Themenkanälen etablierter Medien auch immer mehr Sites aus dem Mid und Long Tail via Vertical Networks.
Um Vertical Networks, eines der Boomthemen 2010, ist es ein wenig ruhiger geworden. „Der Hype ist vorbei, das Segment wird erwachsen“, deutet Stefan Zarnic die Entwicklung. Er ist Director Sales und Marketing der Vertical Network Media GmbH, die im vergangenen Jahr im Zweimonatstakt neue vertikale Vermarktungsnetzwerke aus der Taufe gehoben hat. Der Grundgedanke dahinter: Ein Vertical Network bündelt kleine und mittlere Themen-Websites unter einem Dach und vermarktet sie gemeinsam über die aggregierte gemeinsame Reichweite. Auf diese Weise werden Angebote aus dem Mid und Long Tail des Webs für Werbekunden interessant, für die sie allein nie groß genug für den attraktiven Teil des Werbemarktes wären.
Doch für das werbetreibende Unternehmen stellt sich dabei die Frage: Worin besteht nun genau der Unterschied zwischen dem klassischen Themenchannel und einem Vertical? Und wo soll ich werben? Denn Themen- und damit auch Zielgruppenspezialisierung schreiben sich beide Anbietergruppen auf die Fahne. Und um die Verwirrung komplett zu machen, betreibt beispielsweise auch T-Online ein Vertical über sein Portal, dessen Positionierung Frank Bachér, Geschäftsführer Marketing & Sales des T-Online-Vermarkter InteractiveMedia, erklärt: „Während T-Online.de ein breites Angebotsspektrum, wie Nachrichten, Lifestyle-Themen oder Sport-Schlagzeilen bietet, befasst sich das Vertical Zuhause.de ausschließlich, dafür vertiefend, mit den Themenfeldern Bauen, Wohnen und Garten.“ Das Vertical profitiert dabei von der Reichweite der großen Mutter.
Somit stehen dem Werbungtreibenden drei Arten thematisch fokussierter Werbekanäle offen: Themenchannel etablierter Medien, Verticals großer Portale oder eigenständige Verticals, an denen wiederum Medien beteiligt sein können, wie beispielsweise Burda an Glam. Hinzu kommt: Die Umschreibungen für Themenchannel werden immer schwammiger, kritisiert Mediaplanerin Sabine Raffel: „Unter dem Begriff Entertainment subsumiert sich mitunter alles, was man in seiner Freizeit konsumiert und betreibt: Video-Inhalte ebenso wie Horoskope oder Gaming.“ Wenn man Mediaplanung ernst nehme, seien oft verwendete Begriffe wie „Lifestyle“ oder „Entertainment“ zu vielschichtig, um sie in einen Themenchannel einzubuchen.
„Unter einem Themenchannel verstehen wir bei G+J EMS eine definierte Belegungseinheit mit einem konkreten inhaltlichen Schwerpunkt, z. B. Auto oder Sport, innerhalb eines redaktionellen Online-Angebotes“, erklärt G+J EMS-Geschäftsführer Arne Wolter. Neben der inhaltlichen Fokussierung spiele für Werbungtreibende hier die Marke des dazugehörigen Online-Angebots und die damit verbundene redaktionelle Kompetenz sowie die Qualität der Nutzerstrukturen eine wichtige Rolle.
Inhaltehoheit liegt nicht mehr allein bei Medien
Doch die Inhaltehoheit beanspruchen schon längst nicht mehr allein die Redaktionen für sich. „Vertical Networks bringen eine Anzahl von Publishern aus einem Themenbereich zusammen, die im Vergleich zu einer klassischen Redaktion sowohl in der inhaltlichen Breite als auch in der thematischen Tiefe stärker drin sind. Das können klassische Redaktionen kaum bieten“, wirft Zarnic für die vertikalen Netzwerke in die Waagschale. „Expertenblogs werden wichtiger“, pflichtet Ralf Hirt, Vice President International bei Glam Media, bei und führt LesMads.de als Paradebeispiel an: Der Glam Style Publisher und Modeblog hat jüngst mit der Nominierung für den Grimme Online-Preis den medialen Ritterschlag erhalten. „Ein Blogger fungiert wie ein Unternehmer. Er hat mehr Drive und Innovationsgeist als ein Angestellter eines Medienunternehmens“, erklärt Hirt das Erfolgsrezept. Mit dem Pfund einer Award-Nominierung können aber nur die wenigsten Mid- und Long-Tail-Angebote wuchern.
Vertikale Netzwerke hätten andererseits mehr Möglichkeiten, Werbekunden zu inszenieren, betont Hirt. Im Unterschied zu einem klassischen Magazin mit bestimmtem Layout und Regeln könnten Verticals „viel Umfangreicheres und Spezifischeres“ bieten, betont er und erzählt: „Eine große Automobilfirma sagte uns: ‚Sie brauchen uns nicht zu zeigen, wo wir preiswert Ads einkaufen können. Uns geht es darum, dass Sie uns helfen, wie wir unsere Marke im digitalen Umfeld positionieren können‘. Das sei ein anderer Ansatz, als nur Ads zu verkaufen: Wir bieten ein breiteres Marketingspektrum als dies ein Themenchannel kann.“ Auch Zarnic argumentiert in diese Richtung: Durchschnittlich 50 Websites bündelt Vertical Network Media in jedem seiner Themenkanäle, die jeweils über ein redaktionelles Dachportal verfügen, das von einem eigenen Redakteur betreut wird. „So können wir über die klassische Bannerwerbung hinaus Themen inszenieren.“
Während ein Themenchannel ein Ad Network sei, das sich „auf ein bestimmtes Thema spezialisiert hat und Ads verkauft“, versteht sich Glam Media als Medienunternehmen und Technologieanbieter: „Wir kuratieren zwischen Content und Marketinglösung.“ Vertical Media könne über Reichweite hinaus Lösungen mit interaktiven Komponenten bieten. So geschehen zur Berliner Fashion Week, zu der Glam das Social-Media-Widget „Tinker“ gestartet hatte, mit dem Werbetreibende im Social Web mit Konsumenten in Kontakt treten konnten. Zudem könnten vertikale Netzwerke dem Trend zur Fragmentierung und Granularisierung im Web besser Rechnung tragen: Die Zahl der Experten, die im Web ihren Content bereitstellen, steige, schildert Hirt und führt als Beispiel den Food-Bereich an: „Immer mehr Chefköche betreiben einen eigenen Blog zu dem Thema, sind aber keine Medienunternehmen, erzielen aber Traffic, weil sie einen Bekanntheitsgrad haben.“ Hohe Relevanz und Reichweite sind die erklärten Ziele.
„Verwässerung und Kontrollverlust“
Diese Kompetenz gesteht G+J EMS-Chef Wolter den vertikalen Netzwerken zu und räumt sogar ein: „Die Reichweite eines Vertical Networks kann durch die Bündelung vieler Websites unter einer Dachmarke mit eigener URL deutlich höher ausfallen als die eines Themenchannels.“ Das Aber folgt auf dem Fuße: „Durch die Verlinkung auf die verschiedenen Partnersites mit ganz unterschiedlichen Nutzerstrukturen und Inhalten kommt es bei einem Vertical Network häufig zu einer Verwässerung der Qualität, die bei einem Themenchannel durch die Anbindung an eine renommierte Marke gegeben ist."
Wer im Umfeld einer starken (Medien-)Marke werben will, für den sind Themenchannel und nicht Vertical Networks erste Wahl, pflichtet Arne Wendte, Director Online Planning bei OMD Düsseldorf, bei: „Für einige Kunden, die sehr stark über das Thema Marke kommen, sind Vertical Networks auch deshalb zu hinterfragen, weil Inhalte von einer Vielzahl von Seiten aggregiert werden und man so gefühlt auf diesen Platzierungen stärker die Kontrolle über das Umfeld aufgibt.“
„Bei der Belegung eines redaktionellen Themenchannels hingegen weiß ein Werbungtreibender genau, in welchem Umfeld er läuft und welche Zielgruppenstrukturen hier anzutreffen sind“, unterstreicht Wolter. Damit habe er Planungssicherheit – sowohl in puncto Qualität des Umfeldes als auch in Bezug auf die erreichbaren Zielgruppenkontakte. Auf diese Kriterien könne sich ein Advertiser bei einem Vertical Network nicht verlassen, winkt er ab, da „die Reichweitengenerierung bei den Vertical Networks im Vordergrund steht“. Denn in vielen Fällen kämen die Zugriffe über generische Suchanfragen von Google, was die Zielgruppenstrukturen verwässere.
Auch Sabine Raffel schaut für ihre Werbekunden genauer hin, damit sie nicht auf irgendwelchen Sites landen, auf die sie nicht wollen. „Schließlich kann es nicht das Interesse eines werbenden Unternehmens sein, mit einer hochwertigen und mühsam aufgebauten Marke auf irgendwelchen gebastelten Sites präsent zu sein“, bringt die Mediaplanerin es auf den Punkt. Denn teilweise belegen Verticals zwar die Erreichung gewünschter Zielgruppen, das Umfeld passt jedoch nicht immer optisch und inhaltlich zur Qualität der Marke. Da lohne sich das genauere Hinsehen und evtl. Ausschließen einzelner Sites innerhalb eines Verticals. Denn auch wenn Verticals oft mit im Verhältnis zu Themenchannels preislich attraktiven Angeboten locken, so sei es letztlich von der Gesamtstrategie der jeweiligen Kampagne abhängig, ob ein derartiges Angebot überhaupt passt.
Aus einem weiteren Grund betrachtet G+J-Chef Wolter den Vertical-Boom mit Skepsis: „Schwierigkeiten führen bei der Lokalisierung der gesuchten Inhalte in vielen Fällen zu einer geringen Stickyness der User innerhalb der Vertical Networks, sodass es schwer ist, hier eine hohe Kontaktintensität mit definierten Zielgruppen aufzubauen.“ Künftig werde die Relevanz der Umfelder für Brandingkampagnen weiter zunehmen. Und hier fürchten die G+J-Vermarkter keine Konkurrenz durch vertikale Netzwerke: „Themenchannel renommierter Marken sind als hochwertige Umfelder für Brandingkampagnen sehr gefragt, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.“
„Verticals verfügen nicht über die Strahlkraft einer etablierten Medienmarke“, räumt Stefan Zarnic ein. Sie liefern aber Umfeld/Themenrelevanz und Reichweite. Deshalb definiert er als Erfolgskonzept: „Das Zusammenspiel aus Reputation einer Medienmarke und dem passenden Umfeld, gepaart mit themenrelevanter Reichweite macht einen smarten Mediaplan aus.“
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