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Crossmedia-Experten brauchen 2011 eine neue DNA

Gunnar Brune, 24. Mai 2011

Wenn es ein Jahr gibt, in dem sich die Auguren der Kommunikation auf die Schulter klopfen dürfen, dann 2011. Plötzlich ist so vieles möglich, wie sie in vielen Trendreports jahrelang prophezeit haben. Plötzlich geht irgendwie alles … Doch wenn man sich umschaut, werden die Möglichkeiten wirklich genutzt oder scheitert das aktuelle Marketing nicht vielmehr daran, mit der Entwicklung von Medien, Technik und Verbraucherverhalten Schritt zu halten?

Location based Services, Couponing, Facebook. Das sind keine Randerscheinungen der Gesellschaft mehr. Auch am PoS ist eine neue digitale Dimension hinzugekommen: iPads für Produktinformation im Obst- und Gemüsebereich? Selbst das gibt es schon in einem Edeka-Supermarkt. Für viele in Marketingverantwortung ist dieser Traumzustand zum Horrorszenario geworden.
    
Ja, es stimmt. 2011 ist wahnsinnig viel möglich geworden. Aber mit den neuen Möglichkeiten von Crossmedia ist die Disziplin Crossmedia in eine echte Krise geraten. Die Komplexität ist zu groß. Wir sind tatsächlich in einem Labyrinth. Und dessen Natur ist es, dass es auch von oben betrachtet keinen einfachen Ausweg bietet. Marketing im Jahr 2011 braucht einen neuen Zugang zum Kommunikationsmix, denn die bisherigen Modelle scheitern vor den Aufgaben der Gegenwart. Die Risiken von Fehlinvestitionen steigen und wir brauchen eine neue Steuerungs-, Lern- und Fehlertoleranzkultur.

Media- und Kreativkompetenz müssen wieder zusammengeführt werden

Die letzten 20 Jahre sind zwei Dekaden der Einführung des Taylorismus in die Kommunikationskultur. Aber eine Kommunikationskampagne ist kein Auto, sondern soll Autos verkaufen. An die Stelle des Ateliers für große Ideen genialer Köpfe sind arbeitsteilige Werbefabriken mit einer feindifferenzierten Just-in-time-Lieferstruktur fast wie in einer Keiretsu-Produktionspyramide getreten. Selten lösen Media- und Kreativkompetenz das Henne- und Ei-Problem der Entwicklung durchschlagender Crossmedia-Kampagnen kooperativ. Oft werden sie getrennt, schlimmstenfalls auf unterschiedliche Ziele gebrieft. Das typische Ergebnis: eine interaktionsorientierte Kreatividee und ein reichweitenoptimiertes Mediakonzept liegen am Ende gemeinsam auf dem Tisch. Crossmedia kann diese beiden Ideen zusammenbringen, besser wäre, sie fußten auf einem echten und gemeinsamen crossmedialen Konzept.

Wir brauchen eine neue Marketingintelligenz

Das Marketingcontrolling hat leider keine Excel-Spalte für die intelligente Idee. Die Komplexität der Realität ist hinter Potemkinschen Tabellenkalkulationen verborgen. Wir messen Marketingeffizienz oft mit den abstrakten Zahlen einer realitätsfernen KPI-Welt. Natürlich verdoppelt die in der Praxis so oft vorgeschlagene Halbierung der Spotlänge von 30 auf 15 Sekunden den GRP. Aber leider implodiert die Wirkung des Spots. Natürlich lässt sich eine digitale Interaktion gut quantifizieren, aber eine Vergleichbarkeit von interaktionsorientierten und imageorientierten Maßnahmen ist trotz neurowissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts noch lange nicht zu erwarten. Noch besteht in den Köpfen der Verbraucher keine API, auf der sich Apps programmieren ließen. Und das ist nur die vielbeklagte Praxis monomedialer Betrachtungsweise.

Es wäre tragisch, wenn es sich um ein alternativloses Dilemma handeln würde. Aber so ist es nicht. Die unglaublichen Optionen von heute sind eigentlich der Königsweg der Kommunikation. Wichtig dafür ist, dass man sein Basishandwerk beherrscht. Strategische Planung, Kreative Konzeption und Fokussierte Umsetzung sind die klassischen Instrumente, mit denen schon vor Web 2.0, Social Media und mobilem Internet Crossmedia effizient und effektiv Wettbewerbsvorsprung generierte.

Strategische Planung

Crossmedia verlangt nach einem intensiven und diskussionsgeprägten Planungsprozess, einer neuen Planungskultur zwischen Kunden und Agenturen. Daher ist es zuvor wichtig, seine Ziele in einem strategischen Planungsprozess genau zu definieren. Es ist wichtig, genau zu definieren, wer den Prozess führt, denn aktuell arbeiten Kreation und Media zu häufig parallel. Das bedeutet auch, dass auf Kundenseite Effizienzen zu heben sind: zu oft sind Media und Marketing in unterschiedlichen Händen.

Kreative Konzeption

In einem kreativen Konzept ist das eigentliche Storytelling einer Kampagne dann als integriertes Ideen- und Mediakonzept zu entwickeln. Leider hat die Evolution der Agenturhonorarsysteme eine fatale Trennung von Media und Kreation hervorgebracht. Doch wenn Kreativagentur und Mediaagentur in einen Wettbewerb um die beste Idee eintreten, ist eigentlich klar, dass man die Ergebnisse schlecht vergleichen kann. Die unterschiedlichen finanziellen Anreize für die Agenturen verstärken zusätzlich die zentrifugalen Kräfte in der Kreationsphase. Am Ende steht häufig eine crossmediale Storytelling-Idee der Kreativagentur gegen ein GRP-optimiertes crossmediales Sponsoringkonzept für das Castingformat eines Fernsehsenders. Gegen dieses Dilemma helfen aktuell nur drastische Lösungen. Ein Weg ist die „Papstwahl“-Konstellation – ein mehrtägiger Workshop und keiner kommt raus ohne gemeinsame Lösung. Dies ist für Media und Kreation ein viel zu selten gewählter, aber effektiver Weg. Nur wenn Media und Kreation gemeinsam ergebnisorientiert arbeiten, wird Crossmedia zu einem schlagkräftigen Konzept und nicht zu einer Ausrede für nicht zueinander passende Konzepte.

Fokussierte Umsetzung

In jedem guten kreativen Prozess explodiert ab einem bestimmten Punkt das kreative Potenzial. Das ist großartig und anstrengend zugleich. Crossmedia bedeutet nicht, alles möglich zu machen, sondern sich auf Effektivität und Effizienz zu fokussieren. Deshalb gilt es, die wirklich wichtigen Medien herauszufiltern und Komplexität aus der Kampagne zu nehmen. Nein sagen zu dem, was leicht umzusetzen, aber nicht wichtig für die Wirkung ist. Das ist eine ganz wichtige Tugend.

Crossmedia braucht Wettbewerb um die beste Idee

Für eine Entwicklung über das saubere Handwerk hinaus und hin zur Zukunft von Crossmedia hat sich mit dem Neptun Award (Link: http://www.neptun-award.de) eine wichtige Initiative in Hamburg aufgestellt. Seit sechs Jahren werden die besten crossmedialen Kampagnen mit dem Neptun prämiert. Im Sinne einer gänzlich neuen Diskussionskultur werden die Sieger in diesem Wettbewerb von dem hochkarätigen Experten-Publikum mit über 300 Teilnehmern (darunter regelmäßig 100 Werbeleiter und Geschäftsführer) in einem Live-Voting gekürt. Die Sieger des Neptun Award bieten jedes Jahr im Mai einen Blick in die Zukunft von Crossmedia und die Shortlist einen wertvollen Überblick des State of the Art.

Fazit

Es ist wichtig, dass sich die Branche in Awards und in der täglichen Arbeit immer wieder mit dem Status quo von Crossmedia misst, denn Crossmedia bedeutet eben auch, sich von den Trampelpfaden der Kommunikation zu verabschieden und jeweils maßgeschneiderte Lösungen für eine kommunikative Aufgabenstellung zu finden.

Die Crossmedia-Experten müssen eine eigene neue Generalisten-DNA entwickeln. Methodenwissen schlägt dabei Spezialexpertise. Dazu gehören ein breites Anwendungswissen, Fantasie und Kreativität für neue Lösungen, Risikofreude für unbeschrittene Wege und eine Menge Spaß an der Sache. Für alle, für die dies gilt, wird 2011 nicht das Jahr des „alles-ist-möglich-aber-nichts-geht“. Vielmehr stoßen sie neue Türen auf. Unter ihnen werden die Gewinner des Jahres 2011 sein, weil sie die Chancen von Crossmedia intelligent genutzt haben.

Bild Gunnar Brune Über den Autor/die Autorin:

Gunnar Brune, 42, ist Diplomkaufmann mit den Schwerpunkten Marketing und öffentliches Recht, Markenstratege, Kommunikationsberater und Kopf der Unternehmensberatung Tricolore Marketing Er war langjährig in den renommierten Hamburger Kreativagenturen Zum goldenen Hirschen und Scholz & Friends tätig und war zuletzt Geschäftsführer von Lowe Deutschland. Er ist außerdem Autor, u. a. für Advertising Age, und hat den Neptun Award für crossmediale Kommunikation mit ins Leben gerufen.

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