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DISPLAY ADVERTISING

Die Branche in der Abofalle?

Michael Röhrs-Sperber, 20. April 2011

In den letzten Monaten häuften sich bei Verbraucherzentralen die Beschwerden von Handynutzern, die mit einem Klick auf ein Werbebanner auf mobilen Webseiten oder in mobilen Apps einen Vertrag abgeschlossen haben sollen. Die Verbraucherzentrale von NRW sah sich gar genötigt, zehn Markteilnehmer im Bereich Klingeltöne wegen sogenannter One-Click-Abofallen abzumahnen. Diese besorgniserregende Entwicklung könnte die mobile Werbebranche gefährden. Denn Display Ads aus den mobilen Ad Networks werden zumeist performancebasiert abgerechnet.

Ein Beispielfall unter vielen

Der Handynutzer konnte sich an keinen Vertragsabschluss erinnern, nur daran, dass er aus Versehen auf ein Werbebanner in einer kostenlosen App geklickt hatte. Kontoinformationen oder persönliche Daten hatte er nicht angegeben. Zahlen sollte er trotzdem: 72 Euro für einen völlig sinnlosen Dienst. Ein Anruf beim Netzbetreiber brachte zutage, dass der „Mehrwertdienst“ ihm eine inhaltlich zweideutige Bestätigungs-SMS mit dem Vertragsabschluss geschickt hätte, und der Provider auf die Anfrage des Dienstes, der die sogenannte MSISDN (Mobile Subscriber Integrated Services Digital Network Number oder auch Mobile Station Integrated Services Digital Network Number) kannte, das Konto des Kunden belastete. Der Nutzer ist erschrocken, wie einfach Dritte sein Mobilfunkkonto belasten konnten und auch darüber, wie schlecht der Netzbetreiber seinen Vertragskunden bei der Aufklärung des Falles unterstütze. Nach diesem Vorfall war dem Nutzer vor allem eins klar: Nie wieder wird er auf eine Handywerbung klicken.

Was bei der One-Click-Falle im Hintergrund abläuft

Diese zweifelhafte Art von Werbung setzt den eigentlich schon längst vergessenen und veralteten WAP-Standard ein. WAP stammt noch aus der Präinternetära und war der erste Versuch, mit den damals vorhandenen geringen Bandbreiten Internetfeeling auf die Handys zu holen. Dieser Versuch war erfolglos und der Standard geriet eher in Vergessenheit. Allerdings beherrschen noch fast alle verfügbaren Handys, also auch die sogenannten Feature-Phones, diesen mobilen Standard.

Und er hat etwas Einzigartiges: Mittels WAP kann man die Kennung eines Handys – die MSISDN – abfragen, die Auskunft über den Provider und den Kunden gibt. Dieses Feature wurde damals zum Abbuchen von Kleinbeträgen durch Drittanbieter unter dem Namen „WAP-Billing“ eingeführt. Die Übertragung der MSISDN geschieht ohne Wissen oder aktives Tun des Handynutzers. Öffnet ein Handynutzer eine WAP-Seite, weiß der Anbieter, wer da geklickt hat – und kann diese Information zum Abbuchen von Geldbeträgen über die Handyrechnung nutzen. Auch dies geschieht wieder ohne Zutun des Handynutzers. Selbst das Billing beim Provider ist automatisiert.

Harald Neidhardt

Differenzierung tut not

Ein Klick auf eine Werbung reicht also aus, um Millisekunden später eine Abbuchung von der Handyrechnung zu veranlassen. Mobile Werbung wird so von unseriösen Markteilnehmern zum Selbstbedienungsladen degradiert – mit möglicherweise fatalen Folgen für die ganze Branche.   „Im letzten Jahr mussten wir auch bei uns einen solchen Marktteilnehmer aus unserem Netzwerk nehmen“, berichtet Harald Neidhardt, CMO und Mitbegründer von Smaato Inc., einem der größten internationalen „Vermittler“  für mobile Werbung. „Allerdings trat dieses Phänomen der One-Click-Abos hauptsächlich im asiatischen und südeuropäischen Raum auf“, ergänzt Neidhardt.

Smaato bündelt mit seiner SOMA Plattform die mobile Werbung von gut 60 Ad Networks aus über 200 Ländern und bedient damit monatlich 40 Mrd. Ad Requests auf Publisherseite. Neidhardt legt Wert auf eine saubere Differenzierung: „One-Click-Abofallen sind ganz einfach Betrug,  genauso wie versteckte Abofallen auf  Landing Pages. Im Gegensatz dazu sind Abonnements, die eine zweite Bestätigung des Handynutzers erfordern, also einen Double Opt-In, von der Mobile Marketing Association zertifiziert worden.“ Bei dem Double Opt-In muss der Handynutzer zunächst das Abo auf der Landing Page und später erneut die SMS der Dienstleisters bestätigen.

Aus einigen im Internet geschilderten Fällen geht hervor, dass einige der One-Click- bzw. versteckten Anzeigen beispielsweise über das Ad Network AdMob geschaltet wurden bzw. Jamba als Dienstleister auswiesen. Wir fragten bei dem wohl größten Werbenetzwerk für mobile Bannerwerbung, bei Googles AdMob nach, wie sie dieses Problem sehen. John Gerosa, Industry Leader, Technology bei Google Deutschland, antwortete uns aus London mit bekannt britischem Understatement. Dieser „Subscription Service“ genannte Dienst sei „contentious“, also umstritten, weshalb er sehr stark reguliert sei. AdMob würde nur mit Providern zusammenarbeiten, die korrekt reguliert seien. Außerdem würden die eigenen Policies eine Praxis verbieten, die gegen diese Regulierung verstößt. Solche Verbote in den AGB haben aber eher selten kriminelle Elemente vom Geldverdienen abgehalten.

Ärger mit versteckten Abofallen auf den Landing Pages

Auch bei Jesta Digital kennt man die Thematik der „One-Click“-Banner, allerdings sei dem Jamba.de-Betreiber laut Julia Hornberg, Associate Director Corporate Communications, „noch kein konkreter Fall bekannt geworden, wo tatsächlich ein Klick auf ein Werbebanner zu einer Bestellung geführt haben soll.“ Hornberg weiter: „In uns bekannten Fällen hat sich immer herausgestellt, dass Nutzer nach dem Klick auf ein Banner auf eine weitere Bestellseite geleitet wurden und dort die Bestellung ausgelöst haben. Auf Nachfrage war dies den Kunden letztlich meist bewusst.“ Das Problem scheint aus Sicht von Jesta Digital nur ein Problem von nicht aufmerksam lesenden Nutzern zu sein. Genau diese Art von Bemerkungen treibt die Zornesröte in die Gesichter der Verbraucher. Und auch die den Verbraucherzentralen vorliegenden Fälle widersprechen dieser Darstellung vehement.

Laut Hornberg unternimmt Jesta Digital jedenfalls genug, um diese Missstände zu unterbinden: „Unsere Werbepartner werden von uns auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der zum Teil darüber hinausgehenden Branchenvorgaben vertraglich verpflichtet. Verstöße werden mit Vertragsstrafen geahndet.“ Jesta Digital verlässt sich also auf die AGB und reagiert nur, wenn Verstöße an sie herangetragen werden.

John Gerosa

Bei AdMob verwies Gerosa auf die Guidelines. AdMob schaue sich jedoch alle Ads manuell an, um sicherzugehen, dass sie sich an die Guidelines halten. Leider verriet Gerosa nicht, wie viele Mitarbeiter für diese zeitaufwendige Arbeit beschäftigt werden und wie lange diese Zeit für eine Überprüfung haben. Als weitere Sicherheitsstufe will AdMob nur Ads zulassen, die auf Applikationen verweisen, die für den Vertragsschluss das Opt-in-Verfahren vorsehen. Der Nutzer soll also explizit erklären, dass er einen Vertrag schließen wolle. John Gerosa ist der Meinung, dass diese Art von Abonnements innerhalb der strengen Guidelines legal seien. Und wenn die Werbung sich an die Gesetze sowie die Guidelines halte, dann seien diese Services nicht gefährlich. Das würden sicherlich auch alle Handy-Nutzer so sehen, die vor Abschluss eines Vertrages um ihre Zustimmung gebeten werden. Allerdings lässt diese Antwort auch Interpretationsspielraum. So könnte man auf die Idee kommen, dass sich Werbung, die sich nicht an die Regeln hält – wie die hier geschilderten Fälle –, gefährlich ist.

Noch keine Gefahr für die ganze Branche

Birgt ein Klick auf ein Werbebanner eine konkrete Gefahr für den Geldbeutel, ist beim Verbraucher schnell Schluss mit lustig. Daher sollte man annehmen, dass sich die Branche auch selbst auf die Finger schaut. „Für die Branche wäre eine Verbreitung der One-Click Abofallen fatal und gegen unser eigenes Interesse - aber wir sehen das Risiko derzeit nicht“, sagt Neidhardt.

Oliver von Wersch, G+J Electronic Media Sales GmbH und Unitleiter Mobile Advertising (MAC) beim BVDW bestätigte uns, dass man beim MAC im permanenten Austausch mit seinen Mitgliedern sei. „Nach unserer Kenntnis lassen unsere Mitglieder in ihren Netzwerken diese Vorgehensweise nicht zu. Wenn Kampagnen über Ad Networks geschaltet werden, werden die Kampagnen immer überprüft, um im Zweifel gegensteuern zu können.“ Unter den MAC-Mitgliedern befinden sich drei der vier deutschen Netzbetreiber, also jene Unternehmen, die im Auftrag der „Mehrwertdienstleister“ schneller das Geld einziehen als der Verbraucher sich meist wehren kann.

Aus Sicht des BVDW haben One-Click-Abofallen aber kaum mehr größeres Gefährdungspotenzial für die Branche. Für von Wersch ist die schlimmste Gefahr vorbei: „Nein, das wäre der Stand von vor zwei Jahren gewesen, als der Mobile-Advertising-Markt noch wesentlich juveniler war. Ein Blick auf die Mobile-Advertising-Kampagnenzählung des MAC zeigt, dass das Geschäft mit mobiler Werbung weiter wächst.

Oliver von Wersch

Und tatsächlich: Die Zahlen, die der BVDW nun am 18. April veröffentlichte, scheint von Wersch erst einmal Recht zu geben: „Die CTR halten sich konstant zwischen 0,3 und 2 Prozent, in Ausnahmefällen wie bei interaktiven Sonderwerbeformen liegen die Werte auch darüber.“ Und wiederum ist die Anzahl der mobilen Kampagnen innerhalb der MAC-Mitglieder, also die Vermarkter vieler großer Medienmarken und der mobilen Netzbetreibern, um knapp 40 Prozent gestiegen. Allerdings bedarf es hier einer klaren Trennung zwischen den Angeboten der MAC, deren Mitglieder nach Angaben von Werschs „80 bis 85 Prozent der Premium-Reichweite abdecken“, und den nicht Premium-Inhalten, also dem mobilen Long Tail, der vorranging von Werbung aus den mobilen Ad Networks bedient wird und nicht in den Reichweitenzählungen der MAC einbezogen ist.

Die Heuschrecken fliegen weiter

Ist also doch alles heiter Sonnenschein? Wohl nicht, denn wenn man sich die rasante Verbreitung der kostenlosen Apps betrachtet, muss man weiterhin befürchten, dass Abzockerbanden die Vermarktung mobilen Contents gefährden. Auffällig war bei unserer Recherche, dass kaum ein Unternehmen uns gegenüber zu diesem Thema offiziell Stellung beziehen wollte. Hinter vorgehaltener Hand bestätigte man uns aber, dass das Klickverhalten der Handynutzer in vielen Bereichen sehr wohl stagnieren würde. Zudem sei die Nähe vieler „Mehrwertdienstleister“ zu einigen großen Netzbetreibern schon frappierend.

Allerdings beruhigte uns eine Quelle, die noch vor einigen Monaten bei einem solchen „Mehrwertdienst“ tätig war. Nach ihrer Meinung seien Deutschland und Europa inzwischen weniger attraktiv für ihr Geschäftsmodell, stattdessen gerate Südafrika nun in den Fokus der Ein-Klick-Abzocker. Auch der BVDW bezieht klar Stellung gegen dieses zweifelhafte Geschäftsmodell. „Wir können ‚One-Klick-Abos‘ nicht gut heißen. Der Nutzer sollte immer darüber informiert sein, was passiert und muss selbstbestimmt steuern können, wann er welchen Vertrag abschließt. Dieses Transparenzgebot gilt im Mobile-Umfeld ganz besonders“, sagt von Wersch.

Bild Michael  Röhrs-Sperber Über den Autor/die Autorin:

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