... dann kann er was erleben.“ Diese Redensart trifft nicht nur für Reisen mit der Deutschen Bahn zu, sondern auch für Surf-Touren durchs Web. Insbesondere, wenn an deren Ende ein Kaufabschluss steht. Diese sogenannte Customer Journey ist für Marketer eine äußerst interessante Geschichte. Denn mit einer detaillierten Analyse der Kaufabschlusskette können Kampagnen optimiert und Budgets sinnvoller auf die verschiedenen Kanäle verteilt werden. Noch interessanter wäre allerdings, etwas über die abgebrochenen Reisen zu erfahren – also jene Verhaltensmuster, die nicht zum Abschluss oder zum gewünschten Ergebnis führen und damit Werbe-Budget verbrennen.
Das Customer Journey Tracking macht die Reise eines Users durch das Web nachvollziehbar – vom ersten Kontakt bis zum Kauf. Die Wirkung einzelner Kanäle kann dadurch neu beurteilt und Wechselwirkungen verdeutlicht werden. Marketer erkennen so, welche Marketingmaßnahme in einer bestimmten Kaufentscheidungsphase am besten wirkt, beziehungsweise welcher Kanal kaufentscheidend war. Das Wissen um die Reise der Nutzer durch das Web ist eine wichtige Voraussetzung, um potenziellen Kunden zur richtigen Zeit die passenden Informationen zu liefern. Ein weiterer wesentlicher Punkt: Für welchen Zweck wird der jeweilige Kanal eingesetzt? Laut Dirk von Burgsdorff, Head of Consulting und Gesellschafter von explido, kann zum Beispiel der Kanal Display, aber auch SEA für den Aufbau einer Awareness-Kampagne eingesetzt werden. „Aus unserer Sicht ist die Kombinationen der Kampagnen so aufzubauen, dass sie alle Phasen des Kaufentscheidungsprozesses abdecken. Die optimale Kombination der Kampagnen bedient die Informationsbedürfnisse des potenziellen Kunden in jeder Phase dieses Prozesses“, sagt von Burgsdorff.
Mehr als eine Kaffeefahrt
Um eine Customer Journey zu analysieren, erhält der User beim ersten Kampagnenkontakt einen Cookie. Dieser Cookie registriert, welche Werbemittel der Nutzer sieht. So lange, bis der User auf der gewünschten Seite ankommt. „Man kann auf den Klick und/oder den Sichtkontakt tracken. Letzteres ist besonders aufschlussreich, da die meisten Werbemittelkontakte Sichtkontakte sind“, sagt Christian Inatowitz, Geschäftsführer von pilot Berlin.
Ob eine Customer Journey bereits beim Betreten einer Seite oder erst bei einem Kauf ausgelesen wird, entscheidet letztlich der Werbekunde beziehungsweise dessen Ziel. So ist für viele Branding-Kunden von pilot beispielsweise der Websitebesuch das entscheidende Kriterium für das Analysieren einer Customer Journey. Für diese Unternehmen geht es zudem um die Wirkung der Werbemittel-Sichtkontakte. „Die Customer Journey ist ein Analyseinstrument, das sich sowohl für Branding als auch Awareness-Ziele eignet. Es muss nicht zwangsläufig immer der Kaufabschluss am Ende stehen“, erläutert Inatowitz.
Pilot Berlin setzt Customer Journey Tracking bereits seit vier Jahren ein. „Damals haben wir einen Mitarbeiter eine Customer Journey händisch auswerten lassen müssen, da es noch keine geeigneten Auswertungstools gab. Das hat mehrere Wochen gedauert, aber wir waren neugierig und für den Kunden hat es sich gelohnt“, so Inatowitz. Diese Datenmassen zu organisieren, sei durch die heutige Technik aber zunehmend besser möglich.
Das Datenmonster bändigen
Werden statt Klicks die Sichtkontakte einer Kampagne analysiert, sind die dabei anfallenden Datenmengen gigantisch. „Die Daten schießen bei einer Sichtkontaktanalyse exponentiell in die Höhe“, erläutert Wolfgang Bscheid, Geschäftsführer von mediascale. Dies verdeutlicht ein kleines Rechenbeispiel: Bei einer angenommen Klickrate von 0,1 % auf ein Werbemittel müsste man bei einer Betrachtung auf Basis der Sichtkontakte statt einem Klick gleich 1000 Sichtkontakte verarbeiten – und das über einen längeren Zeitraum.“
„Wir gehen von einem dreimonatigen Kaufentscheidungsprozess aus, um Langzeiteffekte zu berücksichtigen. Denn Markeneffekte können lange ausstrahlen“, so Bscheid. Die meisten Analysen beziehen sich daher ausschließlich auf jene Nutzerkontakte, die letztlich zu einem Kauf geführt haben. Im besten Fall werden die Abbrecher auf der Zielwebsite mit einem Retargeting auf anderen Seiten erneut angesprochen und zum Kauf bewegt. Dann zieht die Customer Journey lediglich eine Schleife. Nur die Erfolgreichen zu betrachten, reduziert die Menge der zu analysierenden Informationen beträchtlich.
Von den Abweichlern lernen
Aber was erfährt man über jene Nutzer, in die man schon viele Euro Kommunikationsbudget investiert hat, die aber nichts abschließen – weder einen Kaufprozess noch ihre Reise zur Website des werbenden Unternehmens? Eigentlich wäre es für Werbungtreibende interessanter, diese Nutzer zu untersuchen und aus häufigen Abbruchpunkten zu lernen; Botschaften besser zu formulieren und optimal zu platzieren. Denn eventuell wurde der User im entscheidenden Moment noch vom Wettbewerber weggeschnappt.
Während für eine Customer Journey im eigentlichen Wortsinn die Zielwebsite der typische Auslesepunkt für die Reisedaten ist, können Werbungtreibende aber auch Informationen über jene User gewinnen, die am Ende des Tages eben nicht auf der erhofften Website ankommen. Denn die Webreisedaten eines Nutzers können auch immer dann gesammelt und ausgewertet werden, wenn dieser Kontakt zur Kampagne hat. Fordert der Browser des Users ein Werbemittel vom Adserver an, hat der Werbungtreibende in diesem Moment ein Lese- und Schreibrecht für Cookies. Werden dem Besucher auf einer Website Werbemittel einer Kampagne angezeigt, kann der Werbungtreibende also ein Cookie schreiben, mit Informationen anreichern oder auslesen. Diese Möglichkeiten macht sich mediascale zunutze.
„Auch wir verarbeiten nur Informationen, die zum gewünschten Erfolg geführt haben. Aber wir schauen uns im Einzelfall an, ob dieses Verhaltensmuster auch unter den Nichterfolgreichen vorhanden war“, sagt Bscheid. Für mediascale ist dies eine Art Plausibilitätsprüfung. „Wir wollen falsche Schlussfolgerungen vermeiden, müssen ausschließen, dass ein Verhaltensmuster womöglich generisch ist und somit gar nichts über den Erfolg oder Misserfolg einer Kampagne aussagt“, erläutert Bscheid. Wenn man sich bei einer Customer Journey ausschließlich die erfolgreichen Verläufe anschaue, könne dies das Bild verzerren.
Mediascale betrachtet Nutzergruppen immer gegeneinander; vergleicht User, die Maßnahme A und B gesehen haben, mit Nutzern, die mit Maßnahme A, B und C Kontakt hatten. „Diese Daten vergleichen nach unterschiedlichen Messgrößen, beispielsweise die Einstellung zur Marke, Warenkorbgrößen oder Kaufwahrscheinlichkeiten – je nachdem was für Kunden wichtig ist. Je nach Messgröße gibt es signifikante Abweichungen in der Reaktion“, erläutert Bscheid.
Google und die fremden Früchte
Egal ob Branding- oder Performance-Kampagne: Der Großteil der Customer Journeys läuft irgendwann über Search. „Wir vergleichen die Kaufwahrscheinlichkeit von Käufern, die keinen Kampagnenkontakt hatten und über Search kamen, mit jenen, die mindestens einen Kampagnenkontakt hatten und ebenfalls über Search auf die Landing Page gelangten“, erläutert Bscheid. Dadurch ergeben sich interessante Erkenntnisse: „Dann kann man sehr schön sehen, dass mit jedem Kampagnenkontakt vor Google die Kaufwahrscheinlichkeit nach dem Klick bei Google zunimmt. Das beeinflusst signifikant die Preis-Leistungs-Situation, weil der Kunde für den Klick bezahlt hat. Entscheidend ist jedoch, mit welcher Wahrscheinlichkeit aus diesem Klick bei Google ein Abschluss generiert wird“, erläutert Bscheid. Mithilfe einer solchen Betrachtung lasse sich auch erkennen, wie die Wirkung der Kampagne mit jedem Sichtkontakt die Kaufwahrscheinlichkeit erhöht. „Man kann auch analysieren, wann der Punkt erreicht ist, an dem ein weiterer Sichtkontakt keine signifikante Leistungssteigerung mehr bewirkt“, so Bscheid.
Eine solche Analyse liefert Antworten auf viele Fragen: Wie wäre das Abverkaufsergebnis ohne Kampagne gewesen, wie viele Abschlüsse, die über Search generiert wurden, kamen von ihrer Wirkung her aus anderen Kampagnen? Bisher wurden die meisten Abschlüsse pauschal Search zugerechnet und die Budgets entsprechend verteilt. Jetzt werden die Karten neu gemischt.
Um Nutzer zum Beispiel dazu zu bringen, kostengünstige Brandkeywords bei Google einzutippen, lautete bisher eine Strategie „vom Allgemeinen zum Speziellen“. „Früher hätte man in generische Keywords bei Google investiert, in der Hoffnung, die Nutzer prägen sich den in den Ergebnissen angezeigten Brand ein und benutzen diesen als Keyword künftig häufiger in der Suche. Heute wissen wir, dass sich so nur wenige Prozent der Nutzer verhalten, wie wir für unseren Kunden Direct Line herausgefunden haben. Aufmerksamkeitsstarke Displaywerbemittel auf Premiumseiten zahlen um ein Mehrfaches umfangreicher auf Brand-Keywords ein“, erläutert Inatowitz. Mittlerweile werden bereits Budgets verschoben und Branding und Response wirken – nun nachweisbar – wechselseitig und gemeinsam. „Was man schon immer geahnt hat, lässt sich jetzt genau messen. Die Kanäle zahlen aufeinander ein, und zwar in einem genau messbaren Umfang“, so Inatowitz.
Doch allem technischen Fortschritt zum Trotz: Von einer allumfassenden Customer-Journey-Betrachtung sind wir noch entfernt. Denn dazu müsste konsequenterweise ein Weg gefunden werden, auch Offline-Kanäle einzubeziehen. Denn vielleicht war es gar nicht das Super-Banner oder die AdWords-Anzeige, die einen Nutzer auf seiner Reise zum Kauf bewegten. Womöglich begann seine Customer Journey schon viel früher: Mit einer 4c-Hochglanzanzeige in einem Printmagazin: Wahrgenommen und für gut befunden irgendwo zwischen Berlin und Stuttgart – während einer Reise mit der Deutschen Bahn.
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