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ECOMMERCE - Markenpiraterie

"Trickreiche Propaganda"

24. März 2011

Der Suchmaschinenbetreiber Google hat vorangegangene Woche weitere Verbesserungen im Kampf gegen die Produktpiraterie im Internet angekündigt. Der Schaden, der durch den Verkauf von Produktfälschungen über das Internet entsteht, bewegt sich im zweitstelliger Milliardenbereich. Dr. Alexander Dröge, Leiter Recht/Verbraucherpolitik im Markenverband, erklärt im Adzine-Interview, was es mit dem Vorstoß von Google auf sich hat.

Adzine: Herr Dr. Dröge. Wie hoch beziffert der Markenverband den Schaden, der durch den Vertrieb von Produktplagiaten entsteht?

Alexander Dröge: Kriminalitätszahlen zeichnen sich zumeist dadurch aus, dass es Schätzungen sind. Der Schaden, den die europäische Konsumgüterindustrie durch den Verkauf von Produktplagiaten im Jahr hinnehmen muss, wird auf etwa 35 Mrd. Euro geschätzt.

Adzine: Welche Rolle spielt dabei das Internet als Vertriebskanal?

Alexander Dröge

Alexander Dröge: Eine bedeutende, denn der Schaden, der durch das Internet als Vertriebskanal verursacht wird, bewegt sich im guten zweistelligen Milliardenbereich. Wir haben aber keine ganz konkreten Zahlen. Allerdings Anhaltspunkte aus einer Verbraucherstudie, die wir gemeinsamen mit Ernst & Young Deutschland in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführt haben. Hieraus können wir unsere Schätzungen ableiten.

Adzine: Welche Branchen sind demnach im Internet besonders von der Produktpiraterie betroffen, welche weniger?

Alexander Dröge: Bekleidung, Accessoires sind am stärksten betroffen. Über 50 Prozent der befragten Verbraucher hatten in diesen Bereichen schon einmal Plagiate ganz oder teilweise über das Internet erworben. Mehrfachnennungen waren dabei möglich. Ähnlich verhält es sich bei Kosmetik- und Körperpflegeprodukten. Hier waren es 43 Prozent der Befragten, die schon einmal Fälschungen über das Internet bezogen haben. Bei Produkten aus dem Bereich Nahrung und Getränke vermuten wir einen geringeren Schaden. Aber das liegt auch daran, dass diese Produkte insgesamt weniger im Internet vertrieben und erworben werden.

Adzine: Welche Rolle spielt nach Ihrer Meinung die Suchmaschine Google beim Absatz von Plagiaten?

Alexander Dröge: Wir schauen immer auf die Kette der Verantwortlichkeit. Verantwortlich für einen Schaden ist zunächst einmal derjenige, der diese gefälschten Produkte verkauft, dann derjenige, der den Marktplatz dafür bereitstellt. Wenn ich also jemanden die Möglichkeit gebe, auf meinem Marktplatz solche Produkte zu verkaufen, bin ich näher an der Verantwortung als jemand, der über eine Suchmaschine ein solches Angebot zunächst einmal auffindbar macht.

Adzine: Dann ist Google als fein raus, gleichwohl Millionen von Usern über Suchergebnisse und Textanzeigen auf Angebote für Plagiate gelenkt werden?

Alexander Dröge: Bei einfachen Suchergebnissen, die auf objektiven Kriterien, also den Algorithmen beruhen, besteht meines Erachtens keine Mitverantwortung des Suchmaschinenbetreibers. Die Problematik bezieht sich aber auf die Werbung. Da kann man eine Mitverantwortung sehen, die zwar nicht so groß zu bemessen ist, wie etwa die eines eBay-Marktplatzes, aber durchaus vorhanden ist. Daher sehen wir auch Google in der Pflicht, den Absatz von Produktfälschungen zu bekämpfen.

Adzine: Und das tut Google ja auch mit dem neuen 3-Punkte Plan...

Alexander Dröge: Die Frage ist immer, wem oder was dem jeweiligen Unternehmen zuzumuten ist. Doch was Google hier als neue Aktivität bzw. Verbesserung postuliert, fällt eher unter die Rubrik „trickreiche Propaganda“.

Adzine: Wieso?

Alexander Dröge: Das ist alles nicht wirklich neu. Google verwertet vorab eine Verpflichtung, die sie in einigen Wochen ohnehin gegenüber der EU-Kommission sowieso abgeben wollen.

Adzine: Welche Art Verpflichtung ist das?

Alexander Dröge: Seit zwei Jahren wird von der EU-Kommission eine Internet-Stakeholder-Dialog moderiert. Hier sitzen einige wenige ausgewählte Rechteinhaber mit Internet-Service-Providern zusammen. Mit dabei sind u. a. Google, eBay, Priceminister und auch Amazon. Diese Parteien arbeiten an einem Memorandum of Understanding mit Rechten und Pflichten zur Bekämpfung von Produktpiraterie im Internet.

Adzine: Wann soll es zur Unterzeichnung kommen?

Alexander Dröge: Bis Mitte Februar sollten sich alle Unternehmen, die dieses Memorandum unterzeichnen wollen, bei der Kommission gemeldet haben. Die Unterzeichnung selbst wird im April sein.

Adzine: Und in diesem Memorandum of Understanding verpflichtet sich Google sowieso zu den zuvor selbst angekündigten Maßnahmen?

Alexander Dröge: Ja. Dieses Memorandum legt die Punkte 1 und 3 von Google im Grunde fest. Und Google wird sicherlich dieses Memorandum unterzeichnen. In Ziffer 13. des Memorandums verpflichtet sich der Internet-Service-Provider dazu, eine leicht zugängliche und verständliche Helpcenter-Webseite im Internet zur Verfügung zu stellen. In Ziffer 18. des Memorandums verpflichtet sich der Internet-Service-Provider so schnell als möglich und ohne jegliche Verzögerung bei Kenntnisnahme eines rechtswidrigen Angebotes zur Löschung dieses Angebotes von seiner Plattform. Im Memorandum stehen zwar nicht die 24 Stunden wie in Punkt 1 der Google-Ankündigung. Doch im Grunde handelt es sich bei der Google-Ankündigung um eine Vorwegnahme dessen, zu dem man sich im Memorandum sowieso verpflichtet. Google verkauft das hier also als eine eigene Leistung.

Adzine: Aber Google hat auch schon einiges getan. Letztes Jahr 60 Millionen Dollar eingesetzt, 50.000 Accounts gelöscht und 95 % der AdWords-Schließungen basieren auf eigenen Nachforschungen von Google …

Alexander Dröge: Und das ist Google auch hoch anzurechnen und wir sehen das sehr positiv. Anders als eBay nennt Google nämlich Zahlen und teilt mit, wie sie selbst proaktiv den Absatz der Fälschungen erfolgreich bekämpfen.

Adzine: Aber die Richtigkeit dieser Zahlen können Sie nicht überprüfen?

Alexander Dröge: Das ist richtig. Aber darauf müssen wir vertrauen. Es geht aber um etwas anderes. Google zeigt damit, dass die Service-Provider die Fähigkeiten und Kapazitäten haben, etwas effektiv gegen die Produktpiraterie zu unternehmen. Diese Fähigkeiten sind aufseiten der Rechteinhaber nicht in gleicherweise vorhanden.

Adzine: Werden die Marken oder gar der Markenverband dieses Memorandum unterzeichnen?

Alexander Dröge: Nein. Wir werden dieses Memorandum nicht unterzeichnen und empfehlen auch unseren Mitgliedern es nicht zu tun.

Adzine: Wieso nicht?

Alexander Dröge: Das Memorandum macht zunächst einmal nicht deutlich, dass es nur ein Schritt unter vielen sein sollte, um den Internetvertrieb gefälschter Waren zu bekämpfen. Die Verpflichtungen zur proaktiven Filterung für die Service-Provider sind zudem von den Formulierungen zu weich und zu unbestimmt. Daraus können keine tatsächlichen Pflichten erwachsen. Gleichzeitig werden bestehende Rechte der Rechteinhaber durch das Memorandum eingeschränkt. Das Memorandum legt allen Parteien ein einjähriges gerichtliches Moratorium auf, d. h., in dieser Zeit sind dem Rechteinhaber alle Ansprüche aus europäischem und deutschem Recht, also Ansprüche, auf Schadensersatz oder Unterlassung zu klagen, genommen. Dieser Rückschritt hinter bestehende Ansprüche kann nicht der richtige Weg sein, damit die Internet-Service-Provider ihrer größeren Verantwortung im Kampf gegen die Produktpiraterie gerecht werden.

Adzine: Herr Dröge, wir danken für das Gespräch.

Hier geht es zur Webseite des Markenverbandes.

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